Grundsatzentscheidung in Taiwan für und Grundsatzdiskussion in Südkorea über den stufenweisen Ausstieg aus der Kernstromerzeugung

Die ostasiatischen Nachbarländer Japans verfolgen aktuell eine sehr unterschiedliche Energiepolitik. Während die VR China den Ausbau der installierten Kernstromerzeugungskapazität und von erneuerbaren Energien wie Windkraft und Photovoltaik weltweit so stark wie kein anderes Land forciert, haben die politischen Spitzen von zwei der „vier asiatischen kleinen Drachen“ [jp. Ajia Yonshōryū アジア四小龍, ch. Yàzhōu sì xiǎo lóng 亚洲四小龙 (Kurzzeichen), 亞洲四小龍 (Langzeichen) = Taiwan, Hong Kong, Südkorea und Singapur, auf Englisch besser bekannt als die “Four Asian Tigers”], namentlich Taiwan und Südkorea, einen stufenweisen Atomausstieg angekündet und zum Teil bereits konkrete legislative Schritte zu seiner Realisierung unternommen.

Die taiwanesische Präsidentin Tsai Ing-wen (geb. 1956), Amtsinhaberin seit Mai 2016, und das taiwanesische Parlament haben im Januar 2017 gesetzlich verfügt, dass die Kernkraftwerke des Landes zum Zwecke der Stromerzeugung bis zum Jahr 2025 abgeschaltet und stillgelegt werden sollen. Taiwan und Südkorea gelten als relativ arm an Bodenschätzen und müssen Energierohstoffe großenteils importieren. Der Anteil von Kernenergie an der Stromerzeugung liegt in Taiwan aktuell bei etwa 16 Prozent, in Südkorea bei rund 30 Prozent.

Zum Vergleich: Die japanische Regierung hat nach der Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011 (Erdbeben, Riesenflutwelle, Kernschmelzen) für das Jahr 2030 im Rahmen des nationalen Energiemixes einen Kernstromanteil zwischen 20 und 22 Prozent als Zielvorgabe formuliert. In Deutschland fiel der Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung von 30,6 Prozent im Jahr 2000 auf 13,1 Prozent im Jahr 2016. Schon im Jahr 2011 lag der Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung „nur“ noch bei 17,8 Prozent. Das Atom-Moratorium der Regierung Merkel vom 14. März 2011 läutete dann den Einstieg in den definitiven Atomausstieg ein, der in Japan von Regierungsseite – noch – nicht gewünscht ist.

In Europa war zunächst Italien nach der Volksabstimmung vom 8. November 1987 mit seinen vier Kernkraftwerken vollständig aus der Kernstromerzeugung ausgestiegen. Nicht zuletzt unter dem Einfluß der Nuklearkatastrophen von Tschnernobyl (1986) und Fukushima (2011) haben neben Deutschland schließlich auch Belgien, die Schweiz und mittlerweile auch Österreich einen Atomausstieg aus der mittlerweile nur noch als „Brücken- und Übergangstechnologie“ apostrophierten Kernstromerzeugung angekündigt und zum Teil bereits in die Wege geleitet.

Selbst die Atomnation par excellence Frankreich hat im Jahr 2015 – als verspätete Einlösung eines zentralen Wahlkampfversprechens von Präsident François Hollande – definitiv zugesagt, dass der Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung von rund 75 Prozent bis zum Jahr 2025 auf 50 Prozent reduziert, erneuerbare Energien verstärkt gefördert und Treibhausgasemissionen reduziert werden sollen.

Südkorea peilt unter seinem neuen Präsidenten Moon Jae-in (geb. 1953), Amtsinhaber seit Mai 2017, bis zum Jahr 2030 eine Reduzierung seiner Treibhausgasemissionen des Basisjahres 2005 um 37 Prozent an. Taiwan ist mit minus 20 Prozent nicht ganz so ambitioniert. Beide Länder wollen den Anteil erneuerbarer Energien signifikant ausbauen und werden dafür zeitweilig eine Erhöhung von Flüssigerdgasimporten hinnehmen, um den Atom- sowie den Kohleausstieg vollziehen und gleichzeitig Energieversorgungssicherheit gewährleisten zu können. Die Regierung von Präsident Moon arbeitet gerade an einem neuen Langzeitplan zum Stromangebot und zur Stromnachfrage in Südkorea, der möglichst noch vor Ablauf des Jahres veröffentlicht werden soll.

Wegen Verzögerungen bei der Fertigstellung von erdgasbefeuerten Kraftwerken und der Außerbetriebnahme von Kernreaktoren hat sich in Taiwan der Spielraum bei der angebotenen Regelleistung zwischen den Jahren 2010 und 2016 von 25 auf 10 Prozent vermindert. Mit über die letzten Jahre sukzessive reduzierter Stromreserve fielen die Grenzkapazitäten im August 2017, dem Monat mit der Jahreshöchstlast in Ostasien, auf unter 5 Prozent. Als die verbliebenen Spitzenlastkraftwerke die Stromnachfrage nicht befriedigen konnten, waren Stromausfälle die Folge.

Südkorea und Taiwan sind wie Japan nicht an überseeische Stromnetze angeschlossen und können Strom nicht – wie zwischen vielen Ländern in der Europäischen Union üblich – importieren oder exportieren. In Japan kommt noch erschwerend hinzu, dass West- und Ost-Japan Strombedarfsschwankungen überregional beziehungsweise landesweit nicht ausgleichen können; das japanische Stromnetz weist mit einer auch im weltweiten Vergleich sehr niedrigen Netzspannung (100 Volt) seit der Industrialisierung in der Meiji-Zeit (1868–1912) Frequenzunterschiede in Ostjapan (50 Hertz) und Westjapan (60 Hertz) auf, weil in Ostjapan deutsche Stromgeneratoren und in Westjapan amerikanische Stromgeneratoren importiert wurden. In den Präfekturen Nagano und Niigata verläuft bis auf weiteres die Netzfrequenzgrenze des japanischen Stromversorgungsnetzes.

Mischoxidbrennstoff aus Frankreich in Japan eingetroffen

Zwei Spezialschiffe, die am 5. Juli 2017 den Hafen des nordfranzösischen Cherbourg verlassen hatten, sind nach einer rund zweieinhalbmonatigen Schiffsreise auf den Weltmeeren am 21. September 2017 gegen 7 Uhr morgens im Hafen der Kleinstadt Takahama (Takahama-chō) in der Präfektur Fukui mit einer Fracht Uran-Plutonium-Mischoxidbrennstoff (MOX) [jp. purutoniumu-uran kongō sankabutsu nenryō (mokkusu nenryō) プルトニウム・ウラン混合酸化物(MOX燃料)] angekommen. Er ist für den Druckwasserreaktor 4 (870 MWe = Megawatt elektrisch) des Takahama-Kernkraftwerkes von Kansai Electric Power Co., Inc. [KEPCO, jp. Kansai Denryoku KK 関西電力株式会社, kurz Kanden 関電] bestimmt.

KEPCO hatte im Jahr 2008 einen Liefervertrag mit dem japanischen Kernbrennstoffhersteller Nuclear Fuel Industries, Ltd. [NFI, jp. Genshi Nenryō Kōgyō KK 原子燃料工業株式会社, kurz Gennenkō 原燃工] mit Sitz in Tokyo abgeschlossen, der das französische Kerntechnikunternehmen Areva NP [Areva Nuclear Power, bis März 2006 Framatome] mit der Herstellung von 16 Mischoxid-Brennelementen zwischen August 2016 und März 2017 beauftragt hat.

Der Transport der MOX-Brennelemente per Schiff war der zweite seit der Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011 (Erdbeben, Riesenflutwelle, Kernschmelzen) und der sechste seit 1999. Im Juni 2013 war schon einmal Mischoxidbrennstoff für den Druckwasserreaktor 3 (870 MWe) des gleichen Kernkraftwerkes verschifft worden. Die zwei jeweils 108 Tonnen schweren und 6,2 Meter langen Container wurden mit einem Kran an Land gebracht und mit einem Spezialanhänger zu einem Zwischenlager transportiert.

Sie werden in einem Brennelementlagerbecken gelagert und von der japanischen Atomaufsichtsbehörde NRA [engl. Nuclear Regulation Authority, jp. Genshiryoku Kisei Iinkai 原子力規制委員会] untersucht; in der Vergangenheit war es zu Unregelmäßigkeiten im Rahmen des Qualitätsmanagements für Brennstoffpellets durch französische und britische Lieferanten gekommen. Außer den Kernreaktoren Takahama 3 und 4 benutzen auch die Kernreaktoren Ikata 3 auf Shikoku und Genkai 3 auf Kyushu gleichartige MOX-Brennelemente. Der letztgenannte Kernreaktor soll die Stromproduktion plangemäß im Januar 2018 wieder aufnehmen.

Die japanische Regierung plant, mittelfristig die Herstellung von MOX-Brennelementen im eigenen Land durchführen zu lassen. Die Argumente für und gegen MOX-Brennelemente hinsichtlich der (Non-) Proliferation von waffenfähigen Stoffen erinnern bisweilen an politische Glaubensfragen und Wunschdenken. Die Sicherheitsanforderungen für Wiederaufarbeitung und die Herstellung von Brennelementen aus Urandioxid und Plutoniumdioxid sind sehr hoch. Es gibt mit MOX-Brennelementen eine Reihe von Problemen, so zum Beispiel die schwer vermeidbare Emission von gasförmigen Spaltprodukten wie Xenon und Krypton sowie Alphateilchen (Heliumkerne), die über die Atmung ins Blut gelangen können und negative Folgen für die Gesundheit unter anderem des Bedienungspersonals haben. Wird Plutoniumstaub eingeatmet, lagert er sich in menschlichen Organen und Knochen ab und führt bei geringsten Dosen zu Lungenkrebs, Knochenkrebs und Leukämie. Auch reduzieren MOX-Brennelemente aus physikalischen Gründen – erhöhter Innendruck durch höhere Spaltgasfreisetzung – die Wirksamkeit der Steuerstäbe und werden deshalb auch von Teilen der Atomindustrie als nicht unproblematisch angesehen.

Eiswand am F1-KKW offiziell betriebsbereit

Arbeiter auf dem Gelände des Fukushima-Daiichi-Kernkraftwerkes (F1-KKW) von TEPCO [Tokyo Electric Power Company Holdings, Inc.] haben am 22. August 2017 von 9 bis 9:30 Uhr die Ventile der Gefrierrohre auf dem bergseitig-westlich gelegenen, sieben Meter langen letzten Abschnitt der idealiter in naher Zukunft wasserundurchlässigen „Eiswand“ [engl. frozen-soil shielding wall oder auch frozen soil wall, jp. tōdo shasuiheki 凍土遮水壁, kurz tōdoheki 凍土壁] um die Reaktorgebäude und die Maschinenhäuser der F1-KKW-Reaktoren Nr. 1 bis 4 geöffnet. Die Eiswand ist somit vollumfänglich betriebsbereit und in Betrieb genommen. Wie lange es dauern wird, bis auf den letzten sieben Metern Gefrierkörper um die Gefrierrohre entstehen und sich zu größeren Frostkörpern im Boden zusammenfügen, hängt von der Fließgeschwindigkeit des Grundwassers ab, die hier relativ groß ist. Man rechnet mit etwa zwei bis drei Monaten. Die Ortsdosisleistung der Arbeiter während ihres Einsatzes soll laut TEPCO 100 Mikrosievert pro Stunde betragen haben.

Die Eiswand ist etwa 1,5 Kilometer lang, 5 bis 6 Meter dick und 30 Meter tief. Die Eiswand durchziehen 1.568 Gefrierrohre mit einem Durchmesser von jeweils etwa 10 Zentimetern. Als Kühlflüssigkeit beziehungsweise Kälteträger dient nicht Flüssigstickstoff, sondern eine wässrige Lösung von Kalziumchlorid. Jede der installierten 30 Kältemaschinen soll 70 Tonnen für 24 Stunden auf minus 30 Grad Celsius gefrieren lassen können. In 85 Zentimeter Entfernung von den Gefrierrohren verteilen sich 360 Glasfaserthermometer, um die Bodentemperatur im Vollbetrieb ständig überprüfen zu können. Darüber hinaus dienen 82 Brunnen zur ständigen Beobachtung des Grundwasserspiegels.

Zweck der in diesem Maßstab weltweit erstmals verwirklichten Bodenvereisung ist ein Schutzwall gegen eindringendes Grundwasser seit der Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011 (Erdbeben, Riesenflutwelle, Kernschmelzen in den Reaktoren Nr. 1 bis 3). Lange Zeit strömten täglich rund 300 bis 400 Tonnen [Kubikmeter] Grundwasser in die zerstörten Kernreaktorgebäude des F1-KKW hinein und zum Teil auch wieder heraus. Dabei wurde es unvermeidlicherweise radioaktiv kontaminiert. Der ingenieurwissenschaftlichen Theorie nach soll die wasserundurchlässige Eiswand die Wasserkontaminations- und Stilllegungsprobleme des Betreibers TEPCO wenn nicht lösen, so doch erheblich reduzieren.

Hauptvertragsnehmer für die Eiswand ist seit Ende 2013 die weltweit tätige Baufirma Kajima AG [Kajima Corporation, jp. Kajima Kensetsu KK 鹿島建設株式会社]. Über die Technologie zur Bodenvereisung verfügt in Japan neben Kajima nur noch das mittelgroße Unternehmen Chemical Grouting Co., Ltd. [jp. Kemikaru Gurauto KK]. Die Eiswand wurde nicht auf einmal abrupt als Ganzes in Betrieb genommen, sondern nach Abschnitten stufenweise, um die Auswirkungen und den Wirkungsgrad messen und erforderlichenfalls leichter gegensteuern zu können; wenn der Grundwasserspiegel als Folge des Eiswandbetriebes sinken sollte, könnte der Wasserspiegel in den Reaktorgebäuden steigen und das kontaminierte Wasser austreten, so eine Befürchtung der beteiligten Ingenieure und Wissenschaftler. Zu so einem Austritt kam es tatsächlich am 2. August bei einem Brunnen in der Nähe des Reaktors Nr. 4, das Ganze blieb jedoch örtlich begrenzt. Die erste Kältemaschine hatte am 31. März 2016 den Betrieb aufgenommen.

Die Kosten für die Eiswand hat nicht TEPCO beglichen, sondern die Regierung mit bislang etwa 34,5 Milliarden Yen (etwa 260 bis 300 Millionen Euro) Steuergeldern finanziert. Für den laufenden Betrieb sind aktuell eine Milliarde Yen (rd. 8 Millionen Euro) pro Jahr veranschlagt. TEPCO-Geschäftsführer Naohiro Masuda – bis 2011 Leiter des Fukushima Daini-Kernkraftwerkes (F2-KKW), seit April 2014 in Personalunion Präsident des Unternehmens zur Dekontamination und Stilllegung des F1-KKW [engl. Fukushima Daiichi Decontamination and Decommissioning Engineering Company, jp. Fukushima Daiichi Hairo Suishin Kanpanī 福島第一廃炉推進カンパニー] – gab sich vor dem 22. August vorsichtig optimistisch, aber schon vor der Inbetriebnahme gab es erhebliche Zweifel am Wirkungsgrad der Eiswand, nicht zuletzt auch von Seiten der japanischen Atomaufsichtsbehörde sowie verschiedener beteiligter Ministerien.

Masato Kino, der zuständige Beamte für Reaktorstilllegung und Maßnahmen gegen kontaminiertes Wasser im Amt für Bodenschätze und Energie (ANRE) [Agency for Natural Resources and Energy, jp. Shigen Enerugī Chō 資源エネルギー庁] unter der Ägide des Wirtschaftsministeriums sagte in diesem Zusammenhang, dass die Eiswand eine von mehreren Maßnahmen zur Verringerung der Wasserkontamination auf dem Gelände des F1-KKW sei. Hiermit dürften unter anderem das Umleiten von Grundwasser, die Grundwasser-Drainagebrunnen, das Abpumpen und das technisch machbare Dekontaminieren gemeint sein. Mit der Schließung des letzten Abschnitts der Eiswand versprechen sich TEPCO und das Wirtschaftsministerium eine Verringerung der Einströmungsmenge von Grundwasser auf unter 100 Tonnen pro Tag. Von einer bergseitigen „wasserundurchlässigen Eiswand“ im strengen wörtlichen Sinne kann also noch keine Rede sein, schon gar nicht monokausal.

TEPCO-Vorstand Takashi Kawamura sagte Mitte Juli 2017 vor Medienvertretern unter dem Druck von bereits dicht an dicht in Metalltanks auf dem Gelände des F1-KKW stehenden 800.000 Tonnen Wasser in einem in Japan vielbeachteten Interview, dass die Entscheidung, das zu etwa drei Vierteln um 62 Radionuklide – darunter Cäsium und Strontium – dekontaminierte Wasser [mit bislang unfilterbarem Tritium (Halbwertszeit 12,32 Jahre)] ins Meer abzulassen, „bereits gefallen“ sei, was zu einem Sturm der Entrüstung nicht nur bei lokalen Fischereigenossenschaften geführt hat.

Nukleares Ereignis der INES-Stufe 2 im Ōarai-FuE-Zentrum der JAEA

Im Ōarai-Forschungs- und Entwicklungszentrum [Oarai Research and Development Center, jp. Ōarai Kenkyū Kaihatsu Sentā 大洗研究開発センター] der Japanischen Agentur für Kernenergie JAEA [Japan Atomic Energy Agency, jp. Nihon Genshiryoku Kenkyū Kaihatsu Kikō (Genshiryoku Kikō) 日本原子力研究開発機構(原子力機構)] ereignete sich am 6. Juni 2017 etwa 110 Kilometer nordöstlich von Tōkyō nahe Tōkai-mura in der Präfektur Ibaraki ein nuklearer Störfall. Fünf Arbeiter in ihren 50er Jahren erlitten eine interne Strahlenexposition, als sie in einem Lagerraum einen Vorratsbehälter mit Plutonium- und Uranpulver öffneten. Die Arbeiter setzten die Untersuchung von Proben aus dem Vorratsbehälter fort, obwohl die Plastikbehälter anschwollen. Als sie schließlich aufplatzten, inhalierten die Arbeiter radioaktiven Staub. Im Urin der Arbeiter wurde Plutonium und Americium nachgewiesen. Fachleute schätzen die innere Strahlenbelastung eines Arbeiters auf 100 bis 200 Millisievert. Der Unfall wurde auf der siebenstufigen Internationalen Bewertungsskala für nukleare und radiologische Ereignisse als Ereignis der INES-Stufe 2 [INES, International Nuclear and Radiological Event Scale] bewertet.

Zum FuE-Zentrum in Ōarai (ca. 16.000 Einwohner) der JAEA gehören unter anderem der japanische Materialtestreaktor JMTR [Japan Materials Testing Reactor, jp. Zairyō Shikenro 材料試験炉], der Schnellbrüter-Versuchsreaktor Jōyō [Jōyō Fast Breeder Experimental Reactor, jp. Kōsoku Zōshokuro no Jikkenro Jōyō 高速増殖炉の実験炉常陽] und ein heliumgekühlter, graphitmoderierter Hochtemperaturreaktor zu Test- und Forschungszwecken.

Der Leiter der japanischen Atomaufsichtbehörde, Shunichi Tanaka, rügte die Dienstsorgfaltspflicht der JAEA und appellierte an ihre Verantwortung gegenüber der Gesundheit ihres Personals. Die betroffenen Arbeiter wurden bislang mehrfach im NIRS [National Institute of Radiological Sciences, jp. Hōshasen Igaku Sōgō Kenkyūjo Byōin 放射線医学総合研究所病院, kurz Hōiken 放医研], einer Forschungs- und Behandlungseinrichtung unter der Ägide der QST [National Institutes for Quantum and Radiological Science and Technology, jp. Ryōshi Kagaku Gijutsu Kenkyū Kaihatsu Kikō 量子科学技術研究開発機構, kurz Ryōken Kikō 量研機構], untersucht und als ambulante Patienten wieder entlassen. Ein NIRS-Vertreter veröffentlichte am 19. Juni das vorläufige Untersuchungsergebnis: „Keine akute Situation.“ [Shinkoku na jōkyō de wa nai 「深刻な状況ではない」]. Im Rahmen der vierten Untersuchung wurden drei der fünf Arbeiter am 24. Juli im NIRS kontrolliert und nach vier Tagen wieder entlassen. Laut QST-Pressemitteilung gab es bis zum Ende der vierten Untersuchung am 28. Juli „keine besonderen Veränderungen des Gesundheitszustandes der Patienten“ [Kanja-san no yōdai ni tokudan no henka wa arimasen 「患者さんの容態に特段の変化はありません」].

In Japan gab es bereits in den 1990er Jahren nukleare Ereignisse der INES-Stufen 1, 2 sowie 3. So starb der Arbeiter Hisashi Ōuchi am 21. Dezember 1999 als Folge des Kritikalitätsunfalls vom 30. September desselben Jahres in der Tōkai-Fabrik der Firma JCO Co. [früher: Japan Nuclear Fuel Conversion, Ltd.], die mit der Rekonversion von Uran zur Herstellung von Kernbrennstoffen befaßt war, und gilt in Japan als der erste Tote als Folge eines Nuklearunfalls in einer kommerziellen Fabrik. Als Folge zunehmender Stör- und Unfälle spätestens seit der Mitte der 1980er Jahre akzeptierten die zuständigen Ministerien und Ämter erstmals Runde Tische zur Kernenergiepolitik [Genshiryoku Seisaku Entaku Kaigi 原子力政策円卓会議] zwischen nuklearen Optimisten und Pessimisten mit Teilnehmerzahlen im dreistelligen Bereich. Nach ein, zwei Dutzend Treffen über Monate hinweg gipfelten die zum Teil hitzig geführten Debatten meist in der Übergabe von zahlreichen Verbesserungsvorschlägen an die Zuständigen.

Unterwasserroboter liefert erstmals Bilder des Coriums in Reaktor 3 des F1-KKW

Ein wegen seiner Form „Kleiner Mondfisch“ [engl. „Little Sunfish“, jp. „Mini Manbō“ 「ミニマンボウ」] genannter Unterwasserroboter hat seit dem 19. Juli 2017 über drei Tage hinweg bei drei Einsätzen das Innere des Primärsicherheitsbehälters von Reaktor 3 des Fukushima-Daiichi-Kernkraftwerkes (F1-KKW) der Tokyo Electric Power Company Holdings, Inc. (TEPCO) inspiziert. Er hat digitale Bilder des mutmaßlichen Coriums unterhalb des Reaktordruckgefäßes sowie Temperaturdaten und Strahlenwerte übermittelt.

Bei seiner – aktuellen und zukünftigen – Mission geht es vor allem um die Lokalisierung, Kartierung und Quantifizierung des geschmolzenen Brennstoffes, damit effiziente, effektive, ökonomische und sichere Methoden der Stilllegung und des Rückbaus vor allem der havarierten Reaktoren 1 bis 3 des F1-KKW entwickelt werden können. Man geht dabei allgemein von einem Zeithorizont von drei bis vier Jahrzehnten aus. Die Kosten sind realistisch noch nicht bezifferbar, dürften nach bisherigen Erfahrungen jedoch exorbitant und sicherlich sozialisiert werden.

Da das Einstiegsloch in den Primärsicherheitsbehälter für „Kleiner Mondfisch“ nur einen Durchmesser von 14 cm besitzt, durfte die Breite beziehungsweise Dicke des Roboters nicht mehr als 13 cm betragen. Er ist 30 cm lang und mit 2 kg viel leichter als seine schlangen- – virtuell auch U-förmigen – und skorpionförmigen Vorgänger, die im Februar und März 2017 in den Reaktoren 1 und 2 des F1-KKW an einer identischen Mission gescheitert sind.

Ein Grund für den relativen Erfolg von „Kleiner Mondfisch“, der bis zu 200 Sievert tolerieren kann, dürfte seine verbesserte Strahlungsresistenz sein. Ein Mensch würde bei einer so hohen Strahlendosis sofort sterben. 100 Sievert haben schwere Verbrennungen zur Folge, lassen das zentrale Nervensystem versagen und führen innerhalb von Stunden bis wenigen Tagen zum Tod. Der Magen-Darm-Trakt wird bei einer Strahlendosis von 10 Sievert irreparabel geschädigt. 5 Sievert führen selbst bei sofortiger medizinscher Behandlung zum Exitus mindestens der Hälfte aller Bestrahlten. 3 Sievert zerstören Knochenmark und machen Transplantationen erforderlich, die manchmal helfen und manchmal auch nicht. Akute Verstrahlung, die nicht direkt zum Tod führt, ruft Übelkeit, Durchfall und Blutungen hervor, läßt die Haare ausfallen, schwächt das Immunsystem und erhöht allgemein die Infektionsgefahr.

Der Unterwasserroboter „Kleiner Mondfisch“ wurde von Toshiba und dem japanischen Forschungskonsortium IRID [engl. International Research Institute for Nuclear Decommissioning, jp. Kokusai Hairo Kenkyū Kaihatsu Kikō 国際廃炉研究開発機構] entwickelt. IRID wurde im August 2013 gegründet und ist in Japan rechtsförmlich eine „Genossenschaft für Technologieforschung“ [Gijutsu Kenkyū Kumiai]. Das ist ein Zusammenschluß aus 18 juristischen Personen, namentlich der Japanischen Agentur für Kernenergie JAEA [engl. Japan Atomic Energy Agency, jp. Nihon Genshiryoku Kenkyū Kaihatsu Kikō, kurz Genshiryoku Kikō] unter der Ägide des Forschungs- sowie des Wirtschaftsministeriums, des Staatlichen Forschungsinstituts für Industriewissenschaften und Technologie [engl. National Institute of Advanced Industrial Science and Technology (AIST), jp. Sangyō Gijutsu Sōgō Kenkyūjo, kurz Sansōken], zwölf Stromunternehmen mit Nuklearanlagen, d.h. allen alteingesessenen ohne Okinawa Electric Power Co., Inc. sowie den Anlagenbauern Toshiba Corp., Hitachi-GE Nuclear Energy, Ltd., Mitsubishi Heavy Industries, Ltd. sowie ATOX Co., Ltd. Für IRID arbeiten neben drei internationalen Beratern auch externe Fachleute aus den USA, England, Frankreich, Rußland und der Ukraine, die ihre Expertise aus den Nuklearunfällen von Three Mile Island (1979) und Tschernobyl (1986) einbringen.

„Kleiner Mondfisch“ wird von vier Hinterradpropellern und einem Vorderradpropeller angetrieben, verfügt vorn und hinten über Leuchtdioden und je eine Kamera, sammelt Strahlungsdaten mit Hilfe eines Dosimeters und wird von vier Toshiba-Operateuren über ein Kabel ferngesteuert. Die Bilder, die der Unterwasserroboter vor allem am dritten und letzten Einsatztag geliefert hat, zeigen eine nukleare Wüstenei: Sedimente und massive Ablagerungen in rund ein Meter dicken Schichten unterhalb des Reaktordruckgefäßes, lavaartige Zapfen und rotbraune Klumpen und Trümmerteile. TEPCO vermutet, dass sich geschmolzener Kernbrennstoff mit Steuerstäben, Steuerstabantrieben sowie mit dem Sockel des Druckgefäßes vermischt und mit Wasser, Luft und Dampf chemisch reagiert haben. Gitterroste, Bodenplatten, Betoneinspannungen, Einbettungen des Sicherheitsbehälters und Kabelschächte sind ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen.

Ablagerungen und im Kühlwasser treibende Sedimente stellen ein Hindernis für zukünftige Untersuchungen und die Beseitigung von Nuklearmüll dar. Diese sollen nach dem Robotereinsatz mit Schläuchen und vermittels Röntgenfluoreszenzanalyse identifiziert werden, um entscheiden zu können, wie sie behandelt und beseitigt werden können. Die Lage und die Menge des geschmolzenen Kernbrennstoffes konnten in den havarierten Reaktoren 1 bis 3 noch nicht exakt festgestellt werden, aber das Ausmaß der strukturellen Schäden erscheint in Reaktor 3 größer als in Reaktor 2.

Das von der Bergseite her in die ehemaligen Reaktorräume einströmende Grundwasser wird weiterhin täglich in einem Umfang von rund 300 Tonnen radioaktiv verstrahlt und ist die Quelle für weit über tausend Stahltanks mit einem Fassungsvermögen von rund 300 Tonnen je Einheit, die auf dem Gelände des F1-KKW bereits dicht an dicht stehen und seit Jahren mit Leckagen immer wieder für Schlagzeilen sorgen, weil viele Tanks aus Stahlplatten gefertigt sind, die mit Schrauben und Muttern zusammengehalten werden und leichter lecken können, vor allem wenn das Fundament unter den Stahltanks nachgibt.

Von den rund 6.000 auf dem Kernkraftwerksgelände tätigen Arbeitern ist die Hälfte allein mit dem Problem der Behandlung und der Entsorgung des täglich anfallenden kontaminierten Wassers befaßt. Da die Kapazität der Tanks nahezu erschöpft ist, denkt TEPCO laut über eine Entsorgung von tritiumhaltigem Wasser ins Meer nach. Die Halbwertszeit von Tritium beträgt mehr als zwölf Jahre. Die regionalen Fischereigenossenschaften protestieren gegen die Einlassung von radioaktiv kontaminiertem Wasser ins Meer. Der Verweis auf eine gängige Praxis von Nuklearanlagenbetreibern weltweit konnte die Fischer auch nicht überzeugen. Die japanische Atomaufsichtsbehörde wird sich zu diesem Thema zeitnah erklären müssen.

Mittel- bis langfristig wird auch Japan nicht darum herumkommen, eine Energiewende des Inhalts Wind, Wasser und Sonne statt Kohle, Öl und Kernenergie in Kombination mit Elektromobilität politisch und gesellschaftlich anzustreben und technisch und wirtschaftlich zu verwirklichen. Für langfristig angelegte globale Entwicklungsstrategien – anfänglich nachholend, mitterweile in nicht wenigen Bereichen technologisch führend –, wie sie die VR China betreibt und mit Macht weiter forciert, in relativ wenigen Jahren Wind-, Wasser- und Solarenergiesysteme installiert zu haben, deren Kapazität aktuell den Potenzen der USA, Indiens, Deutschlands und Spaniens zusammen entsprechen, den Kohlestromausstieg zu vollziehen und gleichzeitig [!] das größte nationale Atomstrom-Ausbauprogramm der Welt inklusive Nukleartechnologieexporten zu realisieren, besitzt zur Zeit anscheinend kein anderes Land der Erde den politischen Willen und die materiellen sowie immateriellen Ressourcen.

Unterwasserroboter untersucht Sicherheitsbehälter von Reaktor Nr. 3 des F1-KKW von TEPCO

Die Tokyo Electric Power Company Holdings, Inc. (TEPCO, jp. Tōkyō Denryoku) hat angekündigt, eine Untersuchung des Reaktorsicherheitsbehälters in Kernreaktor 3 des Fukushima-Daiichi-Kernkraftwerkes (F1-KKW) ab dem 19. Juli 2017 mit Hilfe eines über Kabel ferngesteuerten Unterwasserroboters durchzuführen, um die Lage und den Zustand des geschmolzenen Kernbrennstoffes festzustellen. Ähnliche Untersuchungen wurden bereits in den F1-Kernreaktoren Nr. 1 und 2 durchgeführt.

Während eines dreitägigen Einsatzes soll der Unterwasserroboter in den Primärsicherheitsbehälter eindringen und Kamerabilder möglichst auch aus der Vogelperspektive liefern. Später soll er sechs bis sieben Meter vordringen und Bilder unter dem Reaktordruckbehälter machen. Auf der Grundlage der am zweiten Tag erhaltenen Fotos wird über den Einsatz des dritten Tages entschieden werden. Im Primärsicherheitsbehälter des F1-Kernreaktors Nr. 3 steht das Wasser aktuell etwa 6,4 Meter hoch.

Die Bemühungen, mit Hilfe einer 1,5 Kilometer langen und 5 bis 6 Meter dicken Eiswand [engl. frozen-soil shielding wall; jp. tōdo shasuiheki 凍土遮水壁] zu verhindern, dass seit der Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011 (Erdbeben, Riesenflutwelle, Kernschmelzen) weiterhin täglich rund 300 bis 400 Tonnen Grundwasser in und durch die havarierten Kernreaktorgebäude fließen und es dadurch radioaktiv verstrahlt wird, sind bislang noch nicht von Erfolg gekrönt. Vollzug kann frühestens dann gemeldet werden, wenn die an 360 Stellen um die Kernreaktoren Nr. 1 bis 4 des F1-KKW installierten Glasfaserthermometer sowohl Richtung Meer als auch Richtung Land eine Temperatur unter 0 Grad Celsius messen.

10 Gramm versus 47 Tonnen Plutonium

Die USA und Japan schlossen 13 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1958 erstmals ein Kooperationsabkommen auf dem Gebiet der Kernenergie, worin sich der Abnehmer verpflichtete, die gekauften Stoffe – ein großer Fortschritt für Japan, denn davor wurden Radionuklide auf der Grundlage eines sogenannten „Standardabkommens“ nur „gepachtet“ – ausschließlich für zivile Forschungszwecke zu benutzen. Außerdem durften die Stoffmengen des Nuklearabkommens je Transfer „100 g Uran 235, 10 g Plutonium und 10 g Uran 233“ (§ 5) nicht übersteigen. Der Kontrast könnte fast 60 Jahre später kaum größer sein. Wie sehr sich Japan als Musterschüler und eines der 70 Gründungsmitglieder der Internationalen Atomenergieorganisation (International Atomic Energy Agency, IAEA) vom amerikanischen Kontrollregime emanzipiert hat – dass der IAEA-Generaldirektor seit 2009 ein japanischer Diplomat und Abrüstungsexperte namens Yukiya Amano ist, ist Zufall –, wird unter anderem dadurch ersichtlich, dass Japan heute Eigentümer von rund 47 Tonnen Plutonium ist. Davon bevorratet Nippon rund 10 Tonnen auf seinem eigenen Hoheitsgebiet und rund 37 Tonnen in Frankreich und im Vereinigten Königreich.

Seit dem 5. Juli 2017 sind bis voraussichtlich September zwei Spezialschiffe unterwegs auf dem Weg aus dem nordfranzösischen Hafen Cherbourg in die japanische Präfektur Fukui, wo der Druckwasserreaktor Takahama 4 mit Uran-Plutonium-Mischoxidbrennstoff (MOX) beladen werden soll. Nukleare Optimisten sagen, dass überschüssiges waffenfähiges Plutonium, das sonst Nuklearmüll wäre und gestohlen werden könnte, auf diese Weise zur Stromerzeugung genutzt werden könne. Nukleare Pessimisten halten dagegen und befürchten, dass genau das Gegenteil eintreten würde, nämlich dass sich das Risiko nuklearer Proliferation gerade durch die globale kommerzielle Nutzung von Mischoxidbrennstoff und die Ausweitung der Wiederaufarbeitung eher erhöhen könne. Außerdem reagiere eine Mischung aus 7% Plutonium und 93% Uran zwar ähnlich, aber nicht identisch wie niedrigangereicherter Uranbrennstoff. Das Plutonium-Uran-Gemisch sei energiereicher als normaler Kernbrennstoff, setze bei einem Unfall aber auch mehr radioaktive Stoffe frei und verlange wegen der großen Hitzeentfaltung mehr Kühlwasser.

Die beiden MOX-Transporter auf den bewaffneten Spezialschiffen Pacific Heron und Pacific Egret von Pacific Nuclear Transport Ltd. (PNTL), ein Tochterunternehmen des britischen Unternehmens International Nuclear Services (INS), enthalten unter anderem etwa 736 Kilogramm Plutonium aus der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague. Nukleare Pessimisten gehen davon aus, dass 5 Kilogramm Plutonium für eine Atombombe hinreichend wäre, rein rechnerisch wären das 147,2 Atombomben. Von den aktuell in Betrieb befindlichen fünf Kernreaktoren können drei Mischoxidbrennstoff nutzen. Sollte die Wiederaufarbeitungsanlage in Rokkashomura im Norden der Hauptinsel Honshū nach langjährigen Verzögerungen im Jahr 2018 in Betrieb gehen, wären davon potentiell bis zu 18 japanische Kernreaktoren betroffen.

Der aktuelle Transport von Mischoxidbrennelementen von Europa nach Japan ist der sechste seit 1999 und der zweite seit der Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011 (Erdbeben, Riesenflutwelle, Kernschmelzen). Nukleare Optimisten sagen: „Die beiden Spezialschiffe sind bewaffnet und ihre Rumpfkonfiguration besitzt eine Doppelhülle.“ Nukleare Pessimisten in Japan sagen: „Was bereits zweimal passiert ist, wird auch ein drittes Mal passieren.“ [Nido aru koto wa sando aru  「二度あることは三度ある」 ].

Mit Druckwasserreaktor Takahama 3 wieder fünf Kernreaktoren im kommerziellen Betrieb in Japan

Am 4. Juli 2017 nahm der Kernreaktor Takahama 3 (870 MWe = Megawatt elektrisch, erste Inbetriebnahme Januar 1985) von Kansai Electric Power Co., Inc. (Kansai Denryoku) den kommerziellen Betrieb wieder auf. Dieser Druckwasserreaktor (DWR) war am 6. Mai wieder angelaufen, wurde am darauffolgenden Tag kritisch und nahm die Stromerzeugung am 9. Juni wieder auf. Der Kernreaktor Takahama 4 (870 MWe, Inbetriebnahme Juni 1985), der wie die Reaktoreinheit 3 seit März 2016 durch eine gerichtliche einstweilige Verfügung im Offline-Modus gehalten worden war, wurde am 17. Mai neu angefahren, begann mit der Stromnetzeinspeisung am 22. Mai und nahm am 16. Juni den kommerziellen Stromerzeugungsbetrieb vollumfänglich wieder auf. Zusammen mit den DWR Sendai 1 und 2 (jeweils 890 MWe) von Kyushu Electric Power Co., Inc. (Kyūshū Denryoku) und Ikata 3 (890 MWe) von Shikoku Electric Power Co., Inc. (Shikoku Denryoku) sind das insgesamt fünf Druckwasserreaktoren, die den Stromerzeugungsbetrieb nach der Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011 (Erdbeben, Riesenflutwelle, Kernschmelzen) wieder aufgenommen haben. Die von niederen Gerichten erlassenen einstweiligen Verfügungen gegen die Wiederinbetriebnahme von Kernreaktoren wurden von der höheren Gerichtsbarkeit in Japan wieder einkassiert.

Japanische Atomaufsichtsbehörde genehmigt Stilllegungsplan für Ikata 1

Die japanische Atomaufsichtsbehörde NRA (Nuclear Regulation Authority, jp. Genshiryoku Kisei Iinkai) hat am 28. Juni 2017 den Plan des Energieversorgers Shikoku Electric Power Co., Inc. (Shikoku Denryoku) zur Stilllegung seines ältesten von drei Druckwasserreaktoren namens Ikata 1 (DWR, 566 MWe = Megawatt elektrisch) in Ikata-cho (rd. 9.000 Einwohner) in der Präfektur Ehime auf der Halbinsel Sadamisaki im Südwesten der Insel Shikoku genehmigt.

Nach den Reaktoren Mihama 1 (DWR, 340 MWe) und 2 (DWR, 500 MWe, Präfektur Fukui) von Kansai Electric Power Co., Inc. (Kansai Denryoku), Tsuruga 1 (SWR, 357 MWe, Präfektur Fukui) von The Japan Atomic Power Company (JAPC, jp. Nihon Genshiryoku Hatsuden), Shimane 1 (SWR = Siedewasserreaktor, 460 MWe, Präfektur Shimane) von Chugoku Electric Power Co., Inc. (Chūgoku Denryoku) und Genkai 1 (DWR, 559 MWe, Präfektur Saga) von Kyushu Electric Power Co., Inc. (Kyūshū Denryoku) ist Ikata 1 der sechste Stilllegungsplan, den die NRA seit dem Inkrafttreten strengerer Atomsicherheitsbestimmungen im Jahr 2012 als Folge der Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011 (Erdbeben, Riesenflutwelle, Kernschmelzen) genehmigt hat.

Der Vorstand von Shikoku Denryoku hatte bereits im März 2016 entschieden, dass sich eine Investition von rund 170 Milliarden Yen zur Erfüllung der seit dem Nuklearunfall im Fukushima Daiichi-Kernkraftwerk von Tokyo Electric Power Company Holdings, Inc. (Tōkyō Denryoku) komplexeren Sicherheitsauflagen nicht rechnen würde und eine Laufzeitverlängerung über die 40-Jahre-Regel hinaus deshalb nicht in Betracht käme. Ikata 1 war im Jahr 1977 nach einer Bauzeit von vier Jahren und drei Monaten in Betrieb gegangen und hat nach Angaben des Betreibers bis zu Inspektionen und Streßtests seit September 2011 insgesamt 126,8 Terawattstunden Strom produziert. Die benutzten Kernbrennelemente von Ikata 1 müssen viele Jahre rund um die Uhr in einem Abklingbecken des jüngsten Kernreaktors Ikata 3 (DWR, 890 MWe, Inbetriebnahme 1994) von Shikoku Denryoku gekühlt werden.

Bei der Stilllegung fallen mehr als 3.000 Tonnen niedrigradioaktiver Atommüll an. Rund 40.000 Tonnen sollen als nichtradioaktiver Industriemüll klassifiziert und behandelt werden. Eine offizielle Endlagerstätte für hochradioaktiven Atommüll gibt es in Japan mehr als 63 Jahre nach der Verabschiedung des ersten Nuklearbudgets vom 3./4. März 1954 als Nachtragshaushalt und Kompromiß von drei konservativen Regierungsparteien des 5. und letzten Kabinetts von Premierminister Shigeru Yoshida noch nicht.

Das hat – nach dem Fukushima Daiichi-Nuklearunfall – dazu geführt, dass der frühere Vorsitzende der stärksten Regierungspartei (Liberaldemokratische Partei, jp. Jiyū Minshutō) und konservative Ex-Premierminister Jun’ichirō Koizumi (Amtszeit 2001–2006) nach einer Informationsreise in Deutschland und Finnland im August 2013 gegenüber japanischen Journalisten nach seiner Rückkehr aus voller Überzeugung den folgenden Satz fallen ließ: „Kernkraftwerke sind wie Häuser ohne Toilette.“ [Genpatsu wa toire naki manshon]. Von diesem Standpunkt ist der aktuelle liberaldemokratische Premierminister Shinzō Abe (Amtszeit 26.09.2006–26.09.2007, 26.12.2012–) mindestens soweit entfernt wie Koizumi zu seiner Zeit als amtierender Premierminister.

Energiewende in Südkorea: Präsident Moon spricht sich gegen neue Kohle- und Kernkraftwerke aus

Der seit Anfang Mai 2017 amtierende Präsident Moon Jae-in sprach sich am 19. Juni während einer Zeremonie anläßlich der ersten Außerbetriebnahme eines südkoreanischen Kernreaktors für einen stufenweisen Ausstieg aus der zivilen Nutzung der Kernenergie aus. Kori 1 (1977–2017) verfügt über einen 576-Megawatt-Druckwasserreaktor von Westinghouse. Das Kori-Kernkraftwerk liegt in der Nähe von Busan, der nach Seoul zweitgrößten Stadt des Landes am südöstlichen Ende der Koreanischen Halbinsel. Präsident Moon fügte hinzu, dass Pläne für den Bau neuer Kernkraftwerke nicht realisiert würden und er in der Frage des Atomausstiegs anstrebe, zeitnah einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen.

Das bedeutet, dass möglicherweise nicht alle aktuell geplanten und in Bau befindlichen fortgeschrittenen Druckwasserreaktoren namens APR-1400 (Advanced Power Reactor 1400 MWe), ein für 60 Jahre Betrieb ausgelegter fortgeschrittener Reaktor der Generation III des größten südkoreanischen Stromkonzerns Korea Electric Power Corporation (KEPCO), vollendet würden. Der APR-1400 kombiniert Elemente des früheren Standardtyps, des optimierten Druckwasserreaktors OPR-1000 (Optimized Pressurized Reactor), eines Reaktors der Generation II, mit Merkmalen des amerikanischen Designs „System 80+“ von Combustion Engineering (C-E), später Teil des schwedisch-schweizerischen multinationalen Unternehmens ABB (ASEA Brown Boveri), danach abgegeben an die amerikanische Westinghouse Electric Company, die 2006 von Toshiba gekauft wurde und für die die Muttergesellschaft Ende März 2017 Gläubigerschutz beantragt hat.

Südkorea verfügt über 24 Kernreaktoren an vier Standorten (Hanbit, Hanul, Wolsong und Kori), die mit einer installierten Gesamtkapazität von 22,5 GWe (Gigawatt elektrisch) rund ein Drittel des südkoreanischen Strombedarfs abdecken. Kernenergie wurde jahrzehntelang staatlich gefördert und hat sich darüber zu einer Exporttechnologie entwickelt. Südkoreanische Unternehmen erhielten den Zuschlag für ein 20-Milliarden-Dollar-Geschäft zum Bau von vier fortgeschrittenen Druckwasserreaktoren der Generation III in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Der dritte Entwicklungsplan für Kernenergie des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Technologie sah vor, dass sich die südkoreanische Nuklearindustrie zu einer der fünf stärksten weltweit entwickelt. Bis zum Jahr 2035 sollte Südkorea einen Kernstromerzeugungsanteil von 60% erreichen. Der Jahresnutzungsgrad (Kapazitätsfaktor), das Verhältnis von effektiver Leistung zur nominalen Vollauslastungskapazität, liegt in Südkorea mit 96,5% deutlich höher als in den USA (rund 90%) und noch viel höher als in Japan (70%). Nukleare Optimisten bezeichnen das als „Weltspitze“ , nukleare Pessimisten als „Spiel mit dem Feuer“.

Im Dezember 2016 ging der erste und bislang einzige von Korea Hydro & Nuclear Power (KHNP) und KEPCO entwickelte APR-1400, Shin Kori 3, in den kommerziellen Betrieb über und wurde mit dem Stromnetz synchronisiert. Sieben weitere Reaktoreinheiten befinden sich im Bau, darunter vier Einheiten im Kernkraftwerk Barakah in den Vereinigten Arabischen Emiraten und drei Einheiten in Südkorea, eine in Shin Kori und zwei in Shin Hanul (vormals Uljin). Die geplanten Einheiten Shin Kori 5 und 6 werden eventuell nicht gebaut. Zu dieser Entscheidung dürfte eine Reihe von nuklearen Ereignissen der letzten Jahre beigetragen haben, die die Betreiber versuchten zu vertuschen oder verspätet gemeldet haben.

In diesem Zusammenhang sei ein nachträglich als Störfall der INES-Stufe 2 der Internationalen Bewertungsskala für nukleare und radiologische Ereignisse (International Nuclear Event Scale, INES) bewertetes Ereignis erwähnt, das etwa elf Monate nach der Fukushima Daiichi-Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011 (Erdbeben, Riesenflutwelle, Kernschmelzen) im Kori-Kernkraftwerk stattgefunden hat. Der Kernreaktor Kori 1 wurde am 9. Februar 2012 um 8:30 Uhr für turnusmäßige Inspektionen heruntergefahren. Danach ereignete sich für 12 Minuten ein kompletter Stromausfall (»Station Blackout«), der erst drei Tage später der Atomaufsichtsbehörde berichtet wurde. Von einem Station Blackout (vollständiger Stromausfall einschließlich Notstromaggregate) spricht man, wenn Eigenbedarfstransformatoren vom Blockgenerator oder vom externen Stromnetz genommen werden, vorhandenenfalls auch der/die Reservenetztransformatoren versagen sowie Notstromaggregate (Dieselgeneratoren) aus welchen Gründen auch immer – im Fall von Kori 1 wegen eines mechanischen Defekts im Startluftsystem, vorausgegangen war im Rahmen von Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten beim Test von Schutzrelais des Blockgenerators eine Trennung der Anlage vom externen Netz aufgrund eines menschlichen Fehlers – ausfallen.

Die Bevölkerung Japans ist wegen der geographischen Nähe und der vorherrschenden Windrichtung im Fall eines südkoreanischen Nuklearunfalls sehr schnell von der radioaktiven Strahlung direkt betroffen, ganz zu schweigen von der südkoreanischen Bevölkerung, die so nah wie kaum eine zweite weltweit an Nuklearanlagen wohnt.

Das Drehbuch des neueren südkoreanischen Katastrophenfilms »Pandora« [판도라, 2016] bedient das gesellschaftliche Bedürfnis nach dem Guten, Wahren, Schönen, Traurigen und Dramatischen sowie nach einsamen, unbeirrbaren Weltenrettern beziehungsweise [Anti-] Helden in Gestalt eines Nukleararbeiters und ist offensichtlich unmittelbar von dem obenerwähnten Störfall des Kernreaktors Kori 1 inspiriert.