Niemand ist vollkommen [1]

猿も木から落ちる
Saru mo ki kara ochiru
Selbst ein Affe fällt manchmal vom Baum.
Jeder macht mal einen Fehler.
Niemand ist vollkommen.

猿も木から落ちる
Saru mo ki kara ochiru
Even monkeys fall from trees.
Anybody can make a mistake.
Nobody is perfect.

Wunder und Gerüchte

人の噂も七十五日
Hito no uwasa mo shichijūgo nichi
Ein Gerücht währt fünfundsiebzig Tage.
Ein Wunder währt nur neun Tage.

人の噂も七十五日
Hito no uwasa mo shichijūgo nichi
A rumor lasts seventy-five days.
A wonder lasts but nine days.

Anmerkung
Im angloamerikanischen Sprachraum staunt(e) man drei Tage über ein Wunder, diskutiert(e) drei Tage darüber, und in den folgenden drei Tagen gerät/geriet es möglicherweise schon wieder in Vergessenheit. In Japan verstand man in vormoderner Zeit unter den Jahreszeiten neben Frühling, Sommer, Herbst und Winter noch die jeweils 18 Tage [doyō 土用] vor diesen klassischen vier Jahrzeiten als fünfte Jahreszeit: 4 mal 18 = 72 Tage. Legte man pro Jahr 365 Tage zugrunde und teilte diese durch 5 Jahreszeiten, so ergäben sich 73 Tage. Unter der Dauer einer Jahreszeit verstand man in älterer Zeit also grob 70 bis 75 Tage. Der Begriff doyō 土用 wird heute noch als doyō no ushi no hi 土用の丑の日 für die heißeste Zeit des Jahres, die sogenannten Hundstage benutzt. An diesen Tagen nehmen die gesundheitsbewußte Japanerin und der gesundheitsbewußte Japaner wie selbstverständlich auch heute noch möglichst ein Aalgericht zu sich, um diese extrem schwüle und heiße Zeit gut zu überstehen. Die sommerlichen Doyō-Tage dauern etwa vom 19. Juli bis zum 7. August. Der mondkalendarisch heißeste Tag des Jahres 2021 fiel auf den 28. Juli, der des Jahres 2022 auf den 23. Juli und der des Jahres 2023 wird der 30. Juli sein. So lautet zumindest eine Erklärung der sprichwörtlichen Redensart „Ein Gerücht währt [nur] fünfundsiebzig Tage.“ [Hito no uwasa mo shichijūgo nichi 人の噂も七十五日]. Eine synonyme sprichwörtliche Redensart in Japan lautet: Yo no torizata mo shichijūgo nichi 世の取り沙汰も七十五日 [Gerüchte in dieser Welt währen fünfundsiebzig Tage.].

Das läßt mich kalt!

対岸の火事
Taigan no kaji
Das Feuer am gegenüberliegenden Ufer beobachten.
Das ist mir schnurz! [ugs.]
Das juckt mich nicht! [ugs.]
Das läßt mich kalt!

対岸の火事
Taigan no kaji
Watching a fire on the bank of the other side of a river.
The comforter’s head never aches.
It’s no skin off my nose! [coll.]
It leaves me cold!

Glück im Unglück, Unglück im Glück

「人間万事塞翁が馬」
Ningen banji sai ō ga uma
Alles im menschlichen Leben ist wie die Geschichte vom Pferd des alten Mannes.
In allem Schlechten liegt das Gute im Ansatz schon verborgen.
Es hat alles sein Gutes.
Glück kann jederzeit in Unglück umschlagen und umgekehrt.
Glück und Unglück liegen nahe beieinander.
Glück im Unglück, Unglück im Glück.

「人間万事塞翁が馬」
Ningen banji sai ō ga uma
Everything in human life is like the story about the horse of the old man.
Misfortune begets fortune, and fortune begets misfortune.
A setback may turn out to be a blessing in disguise.
Every cloud has a silver lining.
A joyful evening may follow a sorrowful morning.
Joy and sorrow are today and tomorrow.

Anmerkung
Die obengenannte japanische Redewendung stammt ursprünglich aus China und ist eine sprichwörtliche Redensart [ch. chéngyǔ 成语 / 成語, jp. seigo], die auf einer alten Begebenheit [ch. gùshì 故事, jp. koji seigo 故事成語] beruht. Auf Japanisch kann Ningen banji sai ō ga uma「人間万事塞翁が馬」 auch Sai ō ga uma 「塞翁が馬」 abgekürzt werden. Und ningen 「人間」 kann auch jinkan gelesen werden. Chinesischen Grund- und Mittelschülern begegnet das obenstehende Gleichnis der untenstehenden Erzählung in etwa wie folgt: „War es nicht letztlich ein Glück, dass dem Alten an der Grenze sein Pferd davonlief?“ [「塞翁失马,焉知非福」 Sài wēng shī mǎ, yān zhī fēi fú]. Die Parabel kann daher auch frei „Glück im Unglück, Unglück im Glück“ übersetzt werden.

Kurze Zusammenfassung: Im alten China wohnte im nördlichen Grenzland in der Nähe einer Festung ein älterer Mann, der sich auf Zeichendeutung verstand. Sein Pferd entlief ihm eines Tages in das Gebiet der Xiongnu 匈奴 [ch. Xiōngnú, jp. Kyōdo], einem Volk von Reiternomaden. Die Leute hatten Mitleid mit ihm, aber er glaubte fest an eine positive Wendung: Das Glück wird mir bald wieder lachen. Und tatsächlich. Nach einiger Zeit kam sein Pferd zusammen mit einem anderen, viel edleren Pferd aus dem Gebiet der Xiongnu zurück. Die Leute beglückwünschten ihn wegen des rassigen Pferdes, und er dachte deshalb bei sich: Das wird nicht gut enden. Und so kam es auch. Als sein Sohn eines Tages auf dem neuen Pferd ritt, fiel er herunter und brach sich ein Bein. Als die Leute ihm einen Krankenbesuch abstatteten und ihn bedauerten, dachte der Greis bei sich: Das Unglück wird sicher bald wieder in Glück umschlagen. Und so kam es auch. Als die Xiongnu später im Grenzgebiet angriffen, wurde sein Sohn als Kranker nicht zum Kriegsdienst eingezogen, sondern davon befreit und wurde deshalb weder verletzt noch getötet, wie die meisten waffentauglichen Freiwilligen damals.

Als ursprüngliche Quelle der sprichwörtlichen Redensart aus dem Gleichnis gilt das chinesische philosophische Werk Huainanzi [ch. Huáinánzǐ 《淮南子》, jp. Enanji/Wainanji 『淮南子』] der Frühen Han-Dynastie (206 v.u.Z.–8 n.u.Z.). Ursprünglich wurde es als Honglie [ch. Hóngliè《鴻烈》] bezeichnet, ist aber auch bekannt unter den Werktiteln Huainan honglie [ch. Huáinán hóngliè 《淮南鴻烈》], Huainan neipian [ch. Huáinán nèipiān 《淮南內篇》], Huainan wangshu [ch. Huáinán wángshū 《淮南王書》] und Liuanzi [ch. Liúānzǐ 《劉安子》]. Der letztgenannte Liu An 劉安 (179–122 v.u.Z.) [ch. Liú Ān, jp. Ryū An] war der König von Huainan, heute eine Millionenstadt in der südöstlichen Binnenprovinz Anhui, und fungierte als gelehrter König zugleich als leitender Herausgeber des großenteils daoistischen Werkes, mit konfuzianischen und legalistischen Einschlägen.

Kinder sind die Reichtümer des armen Mannes.

律儀者の子沢山
Richigimono no kodakusan
Ehrliche und fleißige Männer haben viele Kinder.
Kinder sind die Reichtümer des armen Mannes.

律儀者の子沢山
Richigimono no kodakusan
Honest and hardworking men have many children.
Children are poor men’s riches.

Anmerkung
Die sprichwörtliche Redensart 「律儀者の子沢山」 [Richigimono no kodakusan] wird bisweilen auch 「律義者の子沢山」 geschrieben und steht auf der 9. von 48 Karten des traditionellen japanischen Iroha-Kartenspiels von Edo (Edo Iroha Karuta), heute Tokyo. Ein modernes Anwendungsbeispiel: 「課長の子供は五人兄弟だそうだ。律義者の子だくさんというやつだね」 Kachō no kodoma wa gonin kyōdai da sō da. Richigimono no kodakusan to iu yatsu da ne. Auf Deutsch etwa: „Es heißt, der Abteilungsleiter habe fünf Kinder. Ein ehrlicher und fleißiger Kerl mit vielen Kindern eben, wie er im Buche steht.“

Ein Unglück kommt selten allein. [1]

二度あることは三度ある
Nido aru koto wa sando aru
Was bereits zweimal passiert ist, wird auch ein drittes Mal passieren.
Ein Unglück kommt selten allein.

二度あることは三度ある
Nido aru koto wa sando aru
What happens twice will happen thrice.
Misfortune seldom comes alone.
It never rains but it pours.

Alles ist vergänglich.

世の中は三日見ぬ間の桜かな
Yo no naka wa mikka minu ma no sakura ka na
Diese Welt ist wie Kirschbäume, die man drei Tage nicht betrachtet hat und deren Blüten inzwischen zu Boden gefallen sind.
Alles wandelt sich.
Alles ist vergänglich.

世の中は三日見ぬ間の桜かな
Yo no naka wa mikka minu ma no sakura ka na
Haven’t seen the cherry trees for three days during which their blossoms have fallen down.
Everything changes and nothing stands still.
All things must pass.

Anmerkung
Die obengenannte gedichtähnliche rhythmische Strophe zur Vergänglichkeit aller irdischen Dinge stammt von dem edo-zeitlichen (1603–1868) Dichter Ōshima Ryōta 大島蓼太 (1718–1787), der im Bezirk Ina in der Provinz Shinano geboren wurde, seine Kindheit in Edo verbrachte und dort auch weitgehend sein Arbeitsleben in Diensten des Tokugawa-Shogunates verlebte.

Kein Rauch ohne Feuer.

火のない所に煙は立たぬ
Hi no nai tokoro ni kemuri wa tatanu
Wo es nicht brennt, steigt auch kein Rauch auf.
Wo Rauch ist, ist auch Feuer.
Kein Rauch ohne Feuer.

火のない所に煙は立たぬ
Hi no nai tokoro ni kemuri wa tatanu
Flamma fumo est proxia.
Where there’s smoke, there’s fire.
There’s no smoke without fire.