「手は手を洗う」
Te wa te o arau
Manus manum lavat. [Epicharmos (540–460 v.u.Z.), übersetzt von Seneca (ca. 1 v.u.Z. bis 65 n.u.Z.)]
One hand washes the other.
Eine Hand wäscht die andere.
Alter schützt vor Torheit nicht.
年寄りの冷や水
Toshiyori no hiyamizu
Ein alter Mann taucht in kaltes Wasser ein.
Alte Männer sollten nicht kalt duschen und keine Kaltgetränke zu sich nehmen.
Alte Männer sollten sich besonnen und altersgerecht verhalten.
Alter schützt vor Torheit nicht.
年寄りの冷や水
Toshiyori no hiyamizu
An old man dips into cold water.
An old sack asketh much patching.
Why don’t you admit that you are too old for that sort of thing?
There is no fool like an old fool.
Anmerkung
Diese sprichwörtliche Redensart steht auf der 7. von 48 Karten des traditionellen Iroha-Kartenspiels von Edo (Edo Iroha Karuta), heute Tokyo. Sie stammt aus der Edo-Zeit (1603–1868) und ist belegt für einen älteren Mann, der sich den Magen an zu kühlem Quellwasser verdorben hatte, obwohl es als „ein bißchen kühl“ [„hiyakkoi, hiyakkoi“ 「ひやっこい、ひやっこい」] auf einem städtischen Markt zum Verkauf angepriesen wurde.
Im Laufe der Zeit wurde das Sprichwort gegenüber offensichtlich sich selbst überschätzenden älteren Menschen – vor allem Männern – benutzt. Mit Selbstironie ausgestattete ältere Männer, die ihr unpassendes und unangemessenes Verhalten selbst erkennen, quittieren ihr eigenes Fehlverhalten bisweilen humorvoll ebenfalls mit den Worten „Toshiyori no hiyamizu [da]“.
Von nichts kommt nichts. [2]
無い袖は振れない
Nai sode wa furenai
Ein Ärmel, der nicht da ist, schlenkert nicht hin und her.
Man kann nicht geben, was man nicht hat.
Von nichts kommt nichts.
無い袖は振れない
Nai sode wa furenai
You can’t shake sleeves you don’t have.
A man cannot give what he hasn’t got.
Nothing comes from nothing.
Anmerkung
Im Ärmel steckte in alter Zeit häufig der Geldbeutel. Synonyme sprichwörtliche Redensarten sind Nai sode wa furenu 「無い袖は振れぬ」, Nai sode wa furarenu 「無い袖は振られぬ」 und Aru sode wa furedo nai sode wa furenu 「有る袖は振れど無い袖は振れぬ」.
Das Brunnendilemma
井の中の蛙大海を知らず
I no naka no kawazu taikai o shirazu [J]
Der Frosch im Brunnen kennt den Ozean nicht.
Der Frosch im Brunnen weiß nichts vom weiten Meer.
Eine engstirnige Sicht der Dinge haben.
Keinen Blick über den Tellerrand werfen.
Nicht weiter als bis zur eigenen Nasenspitze sehen.
Keinen Blick für das große Ganze haben.
井の中の蛙大海を知らず
I no naka no kawazu taikai o shirazu
The frog in the well knows nothing of the great ocean.
He/She that stays in the valley shall never get over the hill.
Being unable to see beyond the end of one’s nose.
To have a narrow worldview.
Think outside the box.
You have to see the big(ger) picture.
井底之蛙
jíng dǐ zhī wā [C]
정저지와
jeong jeo ji wa [K]
Anmerkung
Zum „Brunnendilemma“ in Ostasien detaillierter siehe Reinhard Zöllner in Geschichte der japanisch-koreanischen Beziehungen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, 2017, S. 1–14 [München: Iudicium (ERGA Reihe zur Geschichte Asiens; Bd. 5)].
Man hat, was man hat.
有るは無いに勝る
Aru wa nai ni masaru
Etwas ist besser als nichts.
Wenig ist besser als nichts.
Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach.
Man hat, was man hat.
有るは無いに勝る
Aru wa nai ni masaru
Something is better than nothing.
A bird in the hand is worth two in the bush.
A crust is better than no bread.
Half a loaf is better than none.
Was gibt dem Leben seinen Wert?
「結局、人生に価値・意義を与えるのは人とのつながりなのだ。」(ヴィルヘルム・フォン・フンボルト、1767年~1835年)
Kekkyoyku, jinsei ni kachi, igi o ataeru no wa hito to no tsunagari na no da
“After all, it’s one’s relationships with other people that give value to life.”
„Im Grunde sind es immer die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben.“ (Wilhelm von Humboldt, 1767–1835)
Anmerkung
Der Student Wilhelm von Humboldt (1767–1835) und die Pfarrerstochter Charlotte Diede (1769–1846) lernten sich 1788 in Pyrmont [seit 1914 Bad Pyrmont, Niedersachsen] kennen. Nach den Napoleonischen Kriegen wandte sie sich im Jahr 1814 relativ verarmt um Hilfe an Humboldt. Beide pflegten eine Brieffreundschaft bis zu seinem Tod. Das obige Zitat ist aus dem Zusammenhang gerissen und stammt aus einem Brief vom 21. September 1827: „Denn im Grunde sind es doch die Verbindungen mit Menschen, welche dem Leben seinen Werth geben, und je tiefer eingehend sie sind, desto mehr fühlt man, (…).“ Die Schriftstellerin Therese von Bacheracht (Pseudonym Therese, 1804–1852) brachte die Briefe Wilhelm von Humboldts an seine Freundin Charlotte Diede heraus.
Die Letzten werden die Ersten sein
「だが,多くの最初の者が最後に,最後の者が最初になるだろう。」(『マタイによる福音書 19:30』)
Da ga, ōku no saisho no mono ga saigo ni, saigo no mono ga saisho ni naru darō
“And many that are first, shall be last: and the last shall be first.” (The Gospel According to Matthew 19:30)
„Aber viele, die da sind die Ersten, werden die Letzten, und die Letzten werden die Ersten sein.“ (Evangelium nach Matthäus, Kapitel 19, Vers 30)
Was ist Relativität?
「可愛い女の子と一時間一緒にいると、一分しか経っていないように思える。熱いストーブの上に一分座らせられたら、どんな一時間よりも長いはずだ。相対性とはそれである。」(アルベルト・アインシュタイン、1879年~1955年)
Kawaī onna no ko to ichijikan issho ni iru to, ippun shika tatte inai yō ni omoeru. Atsui sutōbu no ue ni ippun suwaraseraretara, donna ichijikan yori mo nagai hazu da. Sōtaisei to wa sore de aru.
“When a man sits with a pretty girl for an hour, it seems like a minute. But let him sit on a hot stove for a minute and it’s longer than any hour. That’s relativity.”
„Eine Stunde mit einem hübschen Mädchen vergeht wie eine Minute, aber eine Minute auf einem heißen Ofen scheint eine Stunde zu dauern. Das ist Relativität.“ (Albert Einstein, 1879–1955)
Der Narr und der Weise [2]
物知り物知らず
Monoshiri monoshirazu
Wer so tut, als wisse er alles, bezeugt nur sein Unwissen.
Wer so tut, als wisse er alles, kennt die Wirklichkeit nicht.
Wer glaubt alles zu wissen, weiß gar nichts.
物知り物知らず
Monoshiri monoshirazu
He who pretends to know everything, witnesses his lack of knowledge.
A fool thinks himself to be wise, but a wise man knows himself to be a fool. (William Shakespeare)
A mere scholar is a mere ass.
Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.
「ちょっと嘗めたが身の詰まり」
Chotto nameta ga mi no tsumari
Nur einmal kurz probiert, und schon richtig in der Klemme.
Kurze Freude, lange Reue.
„Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.“
(Friedrich Schiller, Das Lied von der Glocke, 1799)
「ちょっと嘗めたが身の詰まり」
Chotto nameta ga mi no tsumari
I just tasted shortly and found myself deeply in the mire.
Short pleasure, long repentance.
“Delusion is short, remorse is long.”
(Friedrich Schiller, Song of the Bell, 1799)
Anmerkung
Die sprichwörtliche Redensart hat ihren Ursprung in der alten japanischen Fabel „Der Sperling mit der abgeschnittenen Zunge“ [jp. Shitakiri Suzume 舌切り雀, engl. Tongue-Cut Sparrow oder auch The Sparrow with the Slit Tongue]. Die Handlung der Geschichte lautet im großen und ganzen wie folgt: Es war einmal ein armer, alter Holzfäller und seine Frau, die ihren Lebensunterhalt damit verdienten, dass sie Holz schlugen und Fische fingen. Er war aufrichtig und freundlich, aber seine Frau war arrogant und habgierig. Eines Morgens ging der alte Mann in die Berge, um Holz zu schlagen und fand einen verletzten Sperling, der nach Hilfe rief. Der Mann nahm den kleinen Vogel mit nach Hause und fütterte ihn mit Reis, um ihn wieder aufzupäppeln. Seine Frau war verärgert, weil ihr Mann kostbare Lebensmittel für so ein kleines, nutzloses Ding wie einen Sperling vergeudete. Aber der alte Mann kümmerte sich weiter um den kleinen Vogel.
Der alte Mann mußte eines Tages in die Berge und ließ den Vogel bei seiner Frau zurück, die den Sperling aber nicht füttern wollte. Nachdem ihr Mann zum Holzschlagen in die Berge gegangen war, machte sie sich auf den Weg zum Fischen. Der hungrige Sperling fand schließlich Reiskleister [jp. nori 糊 bzw. sokui 続飯] auf dem Brunnenrand, den die alte Frau zum Erneuern von Papierschiebetüren verwendete, probierte davon und aß vor Hunger schließlich alles auf. Nach ihrer Rückkehr war die alte Frau so wütend über den Sperling, dass sie ihm die Zunge abschnitt und aus dem Haus jagte.
Der alte Mann war traurig über das Verschwinden des Sperlings und suchte nach ihm in den Bergen. Mit der Hilfe anderer Sperlinge fand der alte Mann schließlich den Sperling in einem Bambushain, wo sich die Bleibe der Sperlinge befand. Eine große Zahl von Sperlingen begrüßte ihn freundlich und führte ihn zu dem kleinen Sperling, dem er das Leben gerettet hatte. Die anderen Sperlinge bereiteten dem alten Mann eine unvergesslich herzliche Gastfreundschaft, boten ihm köstliche Speisen an und sangen und tanzten für ihn, so dass die Zeit wie im Flug verging.
Bei seiner Abreise boten die Vögel dem alten Mann einen großen und einen kleinen geflochtenen Korb zur Auswahl als Abschiedsgeschenk. Der alte Mann wählte den kleineren Korb, weil er diesen für weniger schwer zu tragen hielt. Als er zuhause ankam und den Korb öffnete, fand er darin Gold- und Silbermünzen, Korallen und Edelsteine. Als seine Frau von dem größeren Korb erfuhr, rannte sie zum Gasthaus der Sperlinge in der Hoffnung, mehr Kostbarkeiten als ihr Mann zu erhalten. Sie wählte den größeren Korb, wurde von den Sperlingen jedoch gewarnt, ihn nicht vor der Ankunft zuhause zu öffnen. Die Habgier der Frau war so groß, dass sie es nicht abwarten konnte und unterwegs in den Korb schaute. Zu ihrer Überraschung war der Korb voller bösartiger Wald- und Wassergeister [jp. chimi mōryō 魑魅魍魎], Würmer, Schlangen und anderer Ungetüme. Diese erschreckten sie so sehr, dass sie das Bewußtsein verlor, taumelte und den ganzen Bergweg hinunter stürzte und möglicherweise zu Tode kam. Es gibt dazu jedoch verschiedene Ansichten. Eine besagt, dass die habgierige, hartherzige Frau von den Wald- und Wassergeistern aufgefressen wurde. Nach einer anderen kam sie auf der Flucht vor den Ungeheuern knapp mit dem Leben davon, damit der alte Mann ihr herzloses Verhalten kritisieren und sie zu einem besseren Leben anhalten konnte.
Und die Moral von der Geschicht’? Habgier und Eifersucht lohnen sich nicht! Mit anderen Worten: Raffgier führt zum – eigenen – Untergang, ein in nahezu allen stark hierarchisch strukturierten Gesellschaften verbreitetes Narrativ zur praktischen Ethik von Rechtschaffenheit und Grundanständigkeit vor sich und der Welt insbesondere für die unteren Schichten.
Anstelle von mi no tsumari 「身の詰まり」 kann auch mi no inga 「身の因果」 benutzt werden: 1. Chotto nameta ga mi no tsumari 「ちょっと嘗めたが身の詰り」. 2. Chotto nameta ga mi no inga 「ちょっと嘗めたが身の因果」. Anstelle des standardsprachlichen chotto 「ちょっと」 kann auch die umgangssprachliche Variante choito 「ちょいと」 verwendet werden: Choito nameta ga mi no tsumari 「ちょいと嘗めたが身の詰まり」.