Von Tuten und Blasen

芋の煮えたも御存じない
Imo no nieta mo gozonji nai
Nicht wissen, ob eine Kartoffel gekocht ist oder nicht.
Von Tuten und Blasen keine Ahnung haben.

芋の煮えたも御存じない
Imo no nieta mo gozonji nai
Not being able to tell if a potato is boiled or not.
You know as much about it as the man in the moon.

Anmerkung
Diese sprichwörtliche Redensart steht auf der 25. von 48 Karten des traditionellen Iroha-Kartenspiels von Edo (Edo Iroha Karuta), heute Tokyo, für das im 20. Jahrhundert per Schriftreform abgeschaffte Morenschriftzeichen mit dem Laut Wi [Hiragana: ゐ, Katakana: ヰ], kursive Schriftform oder auch Eilschriftform [Sōtai 草体] von 「為」 [Assoziatives Kompositum: Eine Hand führt einen Elefanten].

Schuster, bleib bei deinem Leisten!

陸に上がった河童
Oka ni agatta kappa
Ein an Land gekommener Wasserkobold.
Ein Fisch auf dem Trockenen.
Tu nichts, wovon du nichts verstehst!
Rede nicht über etwas, womit du dich nicht auskennst!
Schuster, bleib bei deinem Leisten!

陸に上がった河童
Oka ni agatta kappa
A water goblin out of water.
A fish on land.
Sutor, ne ultra crepidam.
Shoemaker, not beyond the shoe.
Cobbler, stick to your last!

Anmerkung
Der Kappa 河童 [Wasserkobold(e)] gehört zur Crème de la Crème der Fabelwesen in Japan und ist aus einer dreistelligen Zahl von Fabelwesengattungen neben dem Oni 鬼 [große, starke und böse Teufel oder Dämonen] und dem Tengu 天狗 [sinojapanisch für wörtlich „Himmelshund(e)“, reinjapanisch früher auch amakitsune gelesen, wörtlich „Himmelsfüchse“; anders als in China durch shintoistische und buddhistische Einflüsse in Japan ein Fabelwesen der Wälder und der Berge mit magischen Kräften und menschenähnlicher Figur, meist mit Flügeln, einem Krähenkopf und einer überlangen Nase ausgestattet] einer der „drei großen Geister und übernatürlichen Phänomene Japans“ [Nihon sandai yōkai 日本三大妖怪].

Der in Japan für Erwachsene und Kinder seit langem landesweit verbreitete und allgemeinverständliche Begriff Kappa 河童 – offensichtlich erzählt eine ganz überwiegende Mehrheit von Eltern und Großeltern seit Jahrhunderten jeder neuen Generation von der virtuellen Existenz dieses Fabelwesens – ist eine Abkürzung des Kofferwortes kawawappa 河わっぱ aus kawa 河・川 [Fluss] und wappa わっぱ・童 [Bengel, Frechdachs, Lausejunge, Lümmel, Rotzlöffel, Schlingel, kurz: kleiner, ungepflegter, frecher Junge], einer vulgären Variante von warawa 童 [Kind], auch warabe gelesen, und bedeutet wörtlich neutral in etwa „Flußkind(er)“ oder „Flussjunge(n)“. „Kappa“ war ursprünglich ein ostjapanischer Begriff aus der Kantō-Ebene um Edo (seit 1868 Tōkyō) bis zum äußersten Nordosten der Hauptinsel Honshū.

Das chinesische Schriftzeichenkompositum 「河童」 [heute Kappa gelesen] taucht erstmals in der spätmittelalterlichen Muromachi-Zeit (1392–1573) im Jahr 1444 in zwei neuartigen japanischen Sprachwörterbüchern titels Kagakushū 『下学集』 und Setsuyōshū/Setchōshū 『節用集』 auf. Im 15. Jahrhundert wurden Fortschritte zur Vergrößerung der lese- und schreibkundigen Bevölkerung gemacht. Erstmals wurden japanische Sprach- und Allgemeinwörterbücher erstellt und veröffentlicht, die nicht nur für Gelehrte bestimmt waren. In der Folgezeit wurden diese Werke zum Teil bis ins 20. Jahrhundert mit Corrigenda und Addenda in zahlreichen Editionen immer wieder neu aufgelegt. Diese Wörtersammlungen sind nach der japanischen Silben-, genauer Morenschrift lautlich in der Reihenfolge des Iroha-Gedichtes [Iroha-uta いろは歌・伊呂波歌] sowie nach Sachgebieten inhaltlich gegliedert. Den Eintrag zu 「河童」 [Kappa] mit der lautlichen Lesung „Gawarau“ [がはらう(がわらう)] findet man in den beiden obengenannten Nachschlagewerken unter dem Sachgebiet „Lebewesen“ [kigyō/kikei 気形] in der Unterabteilung „Tiere“ [chikurui 畜類] (Kokuritsu Rekishi Minzoku Hakubutsukan et al. 2014, S. 26).

Die obengenannten beiden japanischen Quellen sowie eine frühmoderne portugiesische Publikation zu Beginn der Edo-Zeit (1603–1868) legen das Synonym „Kawarō“ 「河郎」 [wörtlich Flussjunge oder Flussbengel] nahe. Die Gesellschaft Jesu (Societas Jesu) veröffentlichte im Jahr 1603/04 in Nagasaki ein japanisch-portugiesisches Wörterbuch titels „Vocabulário da Língua do Japão“ [Nippo Jisho 『日葡辞書』] mit rund 32.000 portugiesisch erläuterten japanischen Wörtern. Darin findet sich ein Eintrag zum Begriff 「河童」 [Kappa] mit der Lesung „Cauaro“ [かはらう]. Der Kappa wird darin als affenartiges Felltier beschrieben, dass wie der Mensch Arme und Beine hat, aber im Fluss wohnt. Darin wird der Kappa nicht als Fabel-, sondern als Lebewesen betrachtet. Außerdem heißt es zusätzlich, dass sich „Fischotter“ [Lutra lutra, jp. uso 獺 oder auch kawauso 川獺] in Kappa verwandeln, wenn sie alt werden. Für das Verständnis zu Beginn des 17. Jahrhunderts war der Kappa in Japan möglichereise weniger ein übernatürlicher Geist, ein Phantom oder Kobold [yōkai 妖怪], sondern ein Mischwesen mit tierischen sowie menschlichen Merkmalen, deren Anteile sich nach Raum, Zeit und Umständen ändern konnten. Das ist eine wichtige Feststellung für die Weiterentwicklung des spätmittelalterlichen Kappa zum frühmodernen Kappa (Kokuritsu Rekishi Minzoku Hakubutsukan et al. 2014, S. 27).

Die Kappa-Nomenklatur spiegelt die physische Gestalt in Form eines Kindes (Kawappa, Kawako), eines Affen (Enkō), einer Schildkröte (Dangame) oder eines Otters (Kawauso) wider, andere Namen nehmen Bezug auf seine Eigenschaften: Neben „Flusskind(er)“ [Kappa 河童] waren/sind Synonyme wie „Flußjunge“ [Kawatarō 川太郎], „Pferdezieher“ [Komahiki 駒引], „Flußtiger“ [Kawatora 川虎] oder „Wassertiger“ [Suiko 水虎] verbreitet.

In der sprichwörtlichen Redensart Oka ni agatta kappa  陸に上がった河童 [„Ein an Land gekommener Wasserkobold.“ im Sinne von „Schuster, bleib bei deinem Leisten!“] ist der Kappa als „Wasserkobold“ ein erläuterungsbedürftiger Übersetzungskompromiss; denn schon als Wasserkobold besitzt er einen virtuellen Doppelcharakter, zum einen als das Leben von Mensch (Kinder und Erwachsene) und Tier (Pferde und Rinder) bedrohender Dämon [yōkai 妖怪] und zum anderen als Gottheit [kami 神] für Fruchtbarkeit und gute Ernten, zum Teil auch für Heilkräuterkunde sowie chiropraktisch-osteopathische Fertigkeiten.

Geschichtenerzähler, Zeichner und Bildhauer haben Kappa in ganz Japan bekannt gemacht. Manche Autoren datieren die Ursprünge des Kappa-Fabelwesens mit Hilfe von geschichtswissenschaftlichen Methoden bis ins Altertum und ins Mittelalter zurück. Über die Ursprünge dieses Fabelwesens im Altertum und im Mittelalter zirkulieren eine Reihe von mehr oder weniger weit hergeholten Theorien in Japan. Manche Autoren hypothesieren, dass die Existenz von Kappa in Westjapan aus der Flußgottverehrung [jp. kahaku shinkō 河伯信仰] des chinesischen Hebo-Glaubens [ch. Hébó 河伯 = Gott des Gelben Flusses Huang He] abgeleitet werden könne. Der in Ostasien ubiquitäre Drache soll ursprünglich auch nur eine Wasserschlange von Bauern in den chinesischen Mittellanden gewesen sein, bevor chinesische Kaiser ihn zur absoluten Waffe weiterentwickelten und als Machtsymbol usurpierten. Der Ursprung der Kappa in Ostjapan wird dagegen unter anderem auf heianzeitliche (794–1185) Wahrsager, Zeichendeuter und Yin-Yang-Meister „des Weges“ wie Abe no Seimei 安倍晴明 (921–1005) und seiner Auslegung und Weiterentwicklung der daoistischen Fünf-Elemente-Lehre [onmyōdō/on’yōdō/in’yōdō 陰陽道] zurückgeführt. Hier bewegt man sich quellenkritisch und interpretatorisch möglicherweise auf dünnerem Eis.

Vorläufer der frühmodernen Kappa der Edo-Zeit (1603–1868) und der modernen Kappa der Meiji-Zeit (1868–1912) existierten möglicherweise schon im Altertum und im Mittelalter in der oralen Tradition von Geschichtenerzählern. Während und nach der Edo-Zeit wurden Kappa bei aller regionalen Diversität und dialektalen Vielfalt durch Bilder und Beschreibungen in Druckwerken und eventuell auch erst durch sie hinsichtlich ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Eigenschaften und ihres Charakters bis zu einem gewissen Grad vereinheitlicht. Darstellungen von Kappa enthalten zum Beispiel die Wa-Kan Sanzai Zue 『和漢三才図会』 (1712) [wörtlich etwa Illustrierte chinesisch-japanische Enzyklopädie] des Arztes Ryōan Terashima (geb. 1654, Todesjahr unbekannt), der Gazu Hyakki Yakō/Yagyō 『画図百鬼夜行』 (1776) [wörtlich etwa Spiegel der hundert Dämonen Japans] des Malers Sekien Teriyama (1712–1788) und die Hokusai Manga 『北斎漫画』 (1814) [wörtlich etwa Hokusai-Skizzen-Edition] des Ukiyo-e-Künstlers Hokusai Katsushika (1760–1849).

Es gab sicher auch schon vor der meiji-zeitlichen Aufklärung und Industrialisierung Menschen in Japan, die sich ertrunkene Menschen und Nutztiere vernünftig erklären wollten. So beliebt und verbreitet warme Bäder in einem Land auf dem u-förmigen Feuerring möglicherweise schon seit langem sein mögen, das Schwimmen war lange Zeit eine recht schichten- und berufsspezifische Überlebenstechnik. Für Krieger, Fischer und Seeleute war sie epochenübergreifend relevanter als für Bauern und Handwerker, aus denen im Mittelalter und in der Frühmoderne ganz überwiegend das Gros der Agrargesellschaft bestanden hat und die in ihrer Mehrzahl wahrscheinlich nicht schwimmen konnten. Eine Generation von Nichtschwimmern brachte die nächste Generation von Nichtschwimmern hervor. Ertrinken war somit keine seltene Todesursache vor dem 20. Jahrhundert. Ein Grund für viele ertrunkene Nutztiere war sicher auch morastiger Untergrund. Wenn ein Pferd oder Rind auf sumpfigen Untergrund gerät, kann es durch das hohe Gewicht auf dem kleinem Raum seiner Hufe rasch einsinken, panisch werden und in relativ kurzer Zeit untergehen und ertrinken. Geschichten über Kappa mahnten die Menschen ganz allgemein an Achtsamkeit und Aufmerksamkeit für sich und andere. Eltern, die nicht wollten, dass ihre Kinder Steh- und Fließgewässer sowie Sümpfe erkundeten oder sich allein in die Berge begeben, taten bei der Tradierung von Kappa-Sagen ein Übriges. Bei Hexenverfolgungen und Ehescheidungen wurde dem Kappa möglicherweise auch die eine oder andere Rolle angetragen.

Man kann Kappa als Projektionen, Inkarnationen und Konstruktionen des japanischen Volksglaubens beschreiben und erklären. Kappa galten seit alters vielerorts als schelmisch bis boshaft, aber nicht grundsätzlich als bösärtig. Der Kappa kann auch und gerade als Dämon sowohl positiv-empathisch-konstruktiv als auch negativ-destruktiv-mephistophelisch sein. Sie können deshalb nicht alle über einen Kamm geschoren werden; Menschen auf dem Lande gegenüber konnten sie durchaus hilfreich, wohlwollend, dankbar und einfältig sein. In manchen Regionen galt der Kappa auf dem Lande in der wärmeren Jahreszeit als eine Wassergottheit [Suijin/Mizugami 水神 oder auch Mizu no Kami 水の神] und in der kälteren Jahreszeit als eine Berggottheit [Yamagami, Yamatsumi 山神・山祇 oder auch Yama no Kami 山の神].

Mit Kappa sind seit langem ambivalente Gefühle verbunden. Wer an Kappa-Sagen glaubt(e) – da nehmen wir der Einfachheit halber einmal eine unbewiesenen Erfindungen zugeneigte satte Mehrheit der mittelalterlichen und frühmodernen Agrargesellschaft an –, fürchtet(e) Wasserkobolde oder hatte mindestens großen Respekt. Gemäß zahlreichen Überlieferungen auf den Hauptinseln Honshū, Kyūshū und Shikoku – Ezochi [Bezeichnung für Hokkaidō, die Kurilen (Chishima) und Sachalin (Karafuto) vor der Meiji-Zeit (1868–1912)] und das Königreich Ryūkyū [jp. Ryūkyū Ōkoku 琉球王国, ch. Liúqiú Wángguó 琉球王國, von der jungen Meiji-Regierung 1872 als Ryūkyū-Domäne (Ryūkyū-han 琉球藩) annektiert und 1879 zur Präfektur Okinawa (Okinawa-ken 沖縄県) ernannt] wurden erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kolonisiert beziehungsweise annektiert – trachteten Kappa Pferden und Rindern nach ihrem Blut und ihrer Leber, erwachsenen Menschen und Kindern nach ihrer Leber sowie ihrer „Afterperle“ [Shirikodama 尻子玉].

Afterperle hieß in Japan vor der Moderne und der medizinisch-wissenschaftlichen Aufklärung über menschliche Anatomie ein imaginäres, für lebenswichtig gehaltenes Organ im Anus, genauer: am Ende des Mastdarms (Intestinum rectum). Sie galt dem Volksglauben nach als Sitz der menschlichen Seele. Zu diesem Zweck zogen Kappa ihr Opfer in tieferes Wasser und ersäuften es. Bisweilen ahmten Kappa das Verhalten von Lachsen [sake 鮭] nach, um Menschen ins Wasser zu locken. Im Wasser galt der Kappa jedem Menschen als überlegen; solange er sich in seinem Element, dem Wasser befand, besitzt er nämlich übernatürliche Kräfte. Wasser war/ist sein Refugium, seine Domäne. Die Flüssigkeit in dem schüsselartigen Behältnis auf seinem Kopf [sara 皿] galt als das Geheimnis seiner übermenschlichen Kräfte. Nach Überlieferungen soll ein Kappa „stark wie drei Krieger“ gewesen sein. An Land war er meist auch nur dann besiegbar, wenn die Flüssigkeit in der Furche seiner Schädelmitte (Vertex) verschüttet wurde oder austrocknete. Ein Mensch konnte seine Afterperle zum Beispiel leicht dann an einen Kappa verlieren, wenn er seine Notdurft an der falschen Stelle eines Still- oder Fließgewässers verrichtete. Dank seiner flexiblen und elastischen Arme entriss der Kappa seinem Opfer die Afterperle aus dem Anus, um sie selbst zu degustieren oder auch dem Drachenkönig [ryūō 竜王] zur Begleichung seiner Steuerschulden darzubringen.

Früge man eine repräsentative Auswahl von japanischen Kindern und Erwachsenen in Japan, was unter einem Kappa vorzustellen sei, so erhielte man mit einiger Sicherheit großenteils folgendes Spektrum an Antworten zu seinem äußeren Erscheinungsbild und seinen Eigenschaften: Kappa sind amphibisch und somit schwimmhäutig an Händen und Füßen mit vier Fingern und längeren, krallenartigen Nägeln. Die Hände und Füße sind vergleichsweise lang. Seine Fußspuren sind denen von Vögeln ähnlich. Die Arme sind relativ dünn wie bei einem Makakenaffen, aber merkwürdig flexibel, biegsam und nach beiden Seiten hin verschiebbar. Sie besitzen die Statur eines drei- bis zehnjährigen Kindes von etwa sechzig bis siebzig Zentimetern Körperlänge, beherrschen also den aufrechten Gang, können aber auch kriechen wie eine flinkere Schildkröte. Der Kappa hat häufig ein tigerartiges Gesicht mit scharf geschnittenen Zügen, einen kurzen, schnabelartigen Mund sowie einen schildkrötenartigen Rückenpanzer oder -schild (Carapax). Die Nase ähnelt der eines Hundes. Die Augen sind rund, und die Pupillen glänzen. Die Zähne ähneln denen einer Schildkröte. Der Kappa besitzt oben und unten vier spitz zulaufende Backenzähne. Seine Stimme ähnelt der eines schreienden Babys. Der Kappa verfügt über drei After und einen kurzen Schwanz. Wenn ein Kappa stirbt, soll ihm ein zum Himmel stinkender Darmwind (Flatus) entfahren.

Kappa haben bisweilen Kopfhaare, die ungeordnet herunterhängen. Mittig auf dem Schädel befindet sich bei allen Kappa eine schüsselförmige Schädeldepression und Einbuchtung, die glatt und unbehaart ist, mit einer wasserähnlichen Flüssigkeit, die ihm übernatürliche Kräfte verschafft. Geht sie zum Beispiel während der höflichen Erwiderung einer Verbeugung zum Gruß verloren – der Kappa galt bei aller Dämonie und legendären Boshaftigkeit an vielen Orten nach Überlieferungen auch als höflich –, verliert der Kappa seine übermenschlichen Kräfte. Kappa mögen die japanische Form des Ringens [sumō 相撲・角力], aber bei ihrer Art des Kräftemessens konnte es nicht immer nur um Unterhaltung und Spaß, sondern durchaus auch um Leben und Tod gehen. Deshalb haben Kappa es schwer, Maskottchen von Sumō-Ställen und -Trainingszentren zu werden.

Kappa waren/sind normalerweise grünlich, bläulich oder grünbläulich. Eine Ausnahme von dieser Regel sind die rötlichen Kappa in Nordostjapan. Mit roten Kappa verbindet man in Japan allgemein die Stadt Tōno in der Präfektur Iwate in der nordöstlichen Region Tōhoku auf der Hauptinsel Honshū. In dem Ort befindet sich der Jōken-Tempel [Jōken-ji 常堅寺], der zur buddhistischen Sōtō-Schule [Sōtō-shū 曹洞宗] gehört. Beim Tempeleingang stehen zur Abwehr böser Geister keine mythischen Wächterhunde in Löwengestalt, wie man sie sonst vor buddhistischen Tempeln und shintoistischen Schreinen sehen kann, sondern Kappa. In dem Flüsschen oder Bächlein hinter dem Tempel sollen früher viele Kappa gewohnt haben. Diese Stelle ist daher allgemein als Kappa-Untiefe [Kappa-buchi 河童淵] bekannt. Noch heute darf man nach dem Erwerb einer „Kappa-Fang-Lizenz“ [kappa hokaku kyokashō カッパ捕獲許可証] mit einer Angel und einer Gurke als Köder nach Kappa fischen. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich auch der „Garten der Überlieferungen“ [Denshōen 伝承園]. Die roten Kappa in Tōno erinnern möglicherweise auch metaphorisch an die Kindestötungen während der großen Hungersnöte in der Edo-Zeit.

Der Zenmyō-Tempel [Zenmyō-ji 善明寺] in Tōno gehört der buddhistischen Schule des Reinen Landes [Jōdo-shū 浄土宗] an und ist mit der Verehrung des transzendenten Buddha Amitabha [jp. Amida Nyorai 阿弥陀如来, „Buddha des Unermesslichen Lichtglanzes“] befaßt. Der Tempel ist hinsichtlich Kappa insofern relevant, weil er Trauer- und Gedenkbilder besitzt und heute noch ausstellt, die verstorbene Kinder in einer Art von paradiesischem Jenseits darstellen, wo es ihnen weder an Nahrungsmitteln noch an Musikinstrumenten mangelt, damit Hinterbliebene sie besuchen und ihrer gedenken und für sie und sich beten können.

Im Jahr 4 (1754) der Ära Hōreki (1751–1764) führte eine große Überschwemmung im Gebiet der heutigen Stadt Tōno dazu, dass das Gebiet mit damals rund 20.000 Einwohnern nach zwei Mißernten hintereinander in eine Hungersnot geriet und etwa ein Viertel seiner Bevölkerung verlor. Müttern, die nolens volens ihre eigenen Kinder ertränken mussten, aber auch empathischen Vätern, Geschwistern, Großeltern, Freunden, Verwandten und Bekannten, half eventuell die Vorstellung, dass die wegen Missernten und hohen herrschaftlichen Naturalsteuern durch Infantizide gewaltsam aus der Welt der Lebenden gerissenen Kleinkinder als Kobolde in der numinosen Wasser- und Berggeisterwelt oder auch in Form von Steinskulpturen in den nahen Wäldern oder in Bildern von Tempeln fortlebten, bei der Verarbeitung des seelischen Verlustes.

Die Fernsehserie Japanology Plus der öffentlich-rechtlichen Rundfunkgesellschaft NHK [Nippon Hōsō Kyōkai 日本放送協会, engl. Japan Broadcasting Corporation] hat unter anderem die Ursprünge und die regionale Bedeutung von Kappa in Nordostjapan am 17. März 2020 in der Sendung Tohoku Nine Years On: Voices of the Deceased im Gespräch zwischen dem britischen Moderator Peter Barakan und Geschichtenerzählern der Stadt Tōno thematisiert. Gemäß seinen japanischen Gewährsleuten können die dortigen Kappa als posthume Identitäten, reine Repräsentationen des Geistes und intellektuelle Konstruktionen von Hinterbliebenen verstanden werden, um die wegen Mißernten und Hungersnöten erfolgten Kindestötungen während der Edo-Zeit zu verarbeiten und seelischen Frieden zu finden.

Die Überlieferungen zu Naturgeistern wie Kappa 河童 [wörtlich Flusskind(er)] – oder auch Hausgeistern wie Zashiki Warashi 座敷童子 [wörtlich Zimmerkind(er)] – in der nördöstlichen Region Tōhoku sind innerhalb Japans und über das Archipel hinaus auch in der englischsprachigen Welt bekannt geworden, weil der Vater der japanischen Volkskunde, Kunio Yanagita 柳田國男 (1875–1962), mündlich tradierte Sagen im weiteren Stadtgebiet von Tōno und zugehörigen Dörfern mit Hilfe des dort geborenen Volkskundlers Kizen Sasaki 佐々木喜善 (1886–1933) sowie von lokalen Gewährsfrauen und -männern vor Ort gesammelt, aufgeschrieben, literarisch aufbereitet und im Jahr 1910 unter dem Titel Tōno Monogatari 「遠野物語」 [wörtlich „Sagen von Tōno“] zunächst auf eigene Kosten mit einer Auflage von 350 Exemplaren für Schriftsteller-Freunde, Wissenschaftler, Verwandte und Bekannte veröffentlicht hat. Die erste kommerzielle Fassung erschien erst im Jahr 1920. Sagen zur dunklen Seite der Kappa finden sich darin übrigens unter den Nummern 55 bis 59. In diesem Zusammenhang sind die Flüsse Sarugaishi und Kogarase sowie die Dörfer Matsuzaki, Niibari und Kamigo explizit erwähnt. Eine englische Übersetzung von Ronald A. Morse erschien 1975 und 2008 unter dem Titel The Legends of Tono.

Die Leib- und Magenspeise des Kappa ist die Garten- oder Salatgurke [kyūri 黄瓜・木瓜・胡瓜; nur Kappa in Yanagigawa in der Präfektur Fukuoka sollen für Gurken nichts übrig haben]. Noch heute heisst deshalb die in getrockneten Seetang gerollte Sushi mit Gurke auf allen Sushi-Speisekarten der Welt Kappa-maki 河童巻き [wörtlich „Kappa-Rolle“]. Der Kappa mag darüber hinaus zum Beispiel Auberginen [nasu ナス・茄子], Riesenkürbis [kabocha かぼちゃ・南瓜], Buchweizennudeln [soba そば・蕎麦] sowie gekochte und fermentierte Bohnen [nattō なっとう・納豆]. Es gibt auch Dinge, mit denen man Kappa (ver)jagen kann: So verabscheut er zum Beispiel Affen, Flaschenkürbis, Schwammkürbis, Hirschhörner, Sesam, Ingwer sowie eiserne Metall- und Schneidwaren.

Der Kappa versteht und spricht wie selbstverständlich Japanisch. Seine ungebrochene Bio- und Neurodiversität hat vom Spätmittelalter in der Muromachi-Zeit über die frühmoderne Edo-Zeit bis zur Gegenwart kontinuierlich und parallel gleichzeitig Standardisierungs- und Wandlungsprozesse durchlaufen, die anscheinend noch nicht abgeschlossen sind. Auf jeden Fall ist der Begriff Kappa im Rahmen der Kappa-Nomenklatur von rund 80 japanischen Bezeichnungen der bekannteste und im ganzen Land verbreitetste Name und figuriert deshalb heute auch als hochsprachlicher Gattungsname und Oberbegriff. Diese große, immer noch wachsende Zahl von Kappa-Namen verweist nicht zuletzt auch auf dialektalen Sprachreichtum und stammt im Kern von anatomischen Besonderheiten, charakterlichen Eigenschaften oder spezifischen Funktionen diverser Kappa-Unterarten im Rahmen der Kappa-Typologie. Denn als Fabel- und Mischwesen weisen Kappa eine Reihe von unterschiedlichen Mensch-Tier-Geistwesen-Kreuzungen auf.

Kappa-Forscher trennen Wasserkobolde grob in west- und ostjapanische Traditionen. In der Frühmoderne war der Kappa in Ostjapan tendenziell weichschildkröten- und froschartiger, in Westjapan hingegen affenartiger. So hießen/heißen Kappa in den beiden westjapanischen Regionen Chūgoku (Präfekturen Tottori, Shimane, Okayama, Hiroshima und Yamaguchi) und Shikoku (Präfekturen Tokushima, Kagawa, Ehime und Kōchi) Enkō 猿猴 sowie Kawatarō 川太郎, weil sie affenartig dicht beharrt (gewesen) sein sollen. Der Enkō-Kappa soll in Süß- und Salzwasser schwimmende Menschen bedroht und angefallen haben und ursprünglich vom chinesischen Festland gekommen sein. In der Präfektur Aomori im Norden der Hauptinsel Honshū heißt der Kappa Medochi oder Medotsu. Sein Gesicht ist affenähnlich und der Körper schwarz. Hin und wieder nimmt er die Gestalt eines Mädchens an, um Menschen zu verführen und im Wasser zu ertränken. Der Medochi/Medotsu kann Menschen zur Geburt von Kappa veranlassen und die Gestalt von Freunden oder Verwandten annehmen, um Menschen dazu zu bewegen, mit ihm ins tiefere Wasser zu gehen.

Die mit Flußregulierung und Kanalbau einhergehende Verstädterung Japans seit der Frühmoderne trug möglicherweise dazu bei, dass in bildlichen Darstellungen die Attribute des Kappa einem Wandel unterworfen waren. Frühmoderne Kappa waren Mischwesen aus einem Affen, den man sich etwas größer als den japanischen Rotgesichtsmakaken [Macaca fuscata, jp. Nihonzaru 日本猿, wörtlich „Japanaffe“] vorzustellen habe, einer Weichschildkröte [Pelodiscus sinensis (subsp. japonicus), jp. suppon 鼈] und einem Fischotter [Lutra lutra, jp. uso 獺 oder auch kawauso 川獺]. Die weichschildkröten-, frosch-, fischotter- und affenartigen Anteile eines konkreten Kappa waren regional und lokal unterschiedlich stark ausgeprägt. Deshalb waren und sind Kappa auf Bildern oder als Skulpturen unterschiedlich stark beharrt und/oder geschuppt. Der Körper des Kappa soll häufig unangenehm fischig gerochen haben und selbst auf dem Land schleimig und glitschig gewesen sein.

Kappa wohn(t)en in der Regel in Untiefen oder Höhlen von Flüssen, Bächen, Seen, Sümpfen und Wasserfällen und sollen am späten Nachmittag auch gern mal herauskommen und an Land gehen. Kappa leben also vorwiegend in Süßwassergebieten. Mindestens ein Kappa soll im Meer wohnen. Es heisst, er sei ein exzellenter Schwimmer [oyogi ga tokui 泳ぎが得意] und trinke gern hin und wieder mal ein Glas Sake [sakenomi kappa 酒飲み河童], bekanntlich das Elixier der japanischen Seele. Er soll nur einen Steinwurf entfernt vom Baseballstadion Fukuoka Yafuoku! Dome (benannt nach dem Sponsor Yahoo! Japan) im zentralen Stadtbezirk Chūō wohnen, unweit des Fukuoka Tower (234 m), der im Momochihama-Viertel des benachbarten Stadtbezirks Sawara steht, wo man dem Meer durch Aufschüttung im Laufe der Zeit viel Neuland abgetrotzt hat.

Die Metamorphosen und Variationen des Kappa machen diese Kreatur der menschlichen Phantasie über die Jahrhunderte bis zur Gegenwart zu einem vielschichtigen und vieldeutigen Mischwesen, das immer wieder neu erfunden wurde und sich bis auf den heutigen Tag im Wandel befindet. Kappa standen lange metaphorisch für die Gefahren der natürlichen Welt und die Gefahren spiritueller Parallelwelten, die jederzeit plötzlich konkret und handfest werden können wie Naturereignisse, wie zum Beispiel Überschwemmungen, Taifune, Erdbeben oder eben Dämonen und böse Geister von vorzeitig und gewaltsam, also in Unfrieden Verstorbenen. Hier klingt der animistische Shintō 神道 [Weg(e) der Gottheit(en)] mit seinen „Myriaden von Gottheiten“ [yaoyorozu no kamigami 八百万の神々] an, die aus belebter oder unbelebter Materie sowie aus konkreten oder abstrakten Dingen bestehen können.

Der spätmittelalterliche Kappa, der frühmoderne Kappa und eine Weile auch noch der moderne Kappa-Typus konnte Frauen übel mitspielen und stünde heute auf jeden Fall mindestens als misogyner Macho am Pranger der Political Correctness und auf dem Index. Er war bekannt dafür, bewusst und absichtsvoll einen rüpelhaften Ructus oder einen unflätigen Flatus fahren zu lassen, nur um jemanden durch das unerwartete, kakophonische Geräusch und den unangenehmen Geruch zu erschrecken. Bei der Verrichtung einer Notdurft strich ein Kappa auch schon einmal sachte über den weiblichen Hintern. Er musterte Frauen im Kimono anzüglich und soll sich sogar bis hin zur unerwünschten nächtlichen Heimsuchung verstiegen haben. Einvernehmlicher Geschlechtsverkehr war seine Sache nicht. Als Folge von Vergewaltigungen soll es zu ungewollten Schwangerschaften gekommen sein. Sagen berichten über die Geburt und die Tötung von kappa-ähnlichen, häßlichen Kindern, bisweilen über mehrere Generationen hinweg, selbst in der Kriegerschicht. Kappa hielten auch Einzug als Verzierung von Gebrauchsgegenständen des frühmodernen Alltags. So fand man ihn unter anderem als kunstvoll geschnitzten Knauf oder Endstück aus Holz, Horn oder Elfenbein von Beuteln für Geld, Tabak, Siegelstempel und Arznei [netsuke 根付].

Der Kappa der Moderne und der Gegenwart

In der modernen japanischen Gesellschaft kann man Kappa im Alltag relativ häufig begegnen, meist als niedliches, hilfsbereites Maskottchen zum Beispiel in Fußgängerzonen und Geschäften für Haushaltswaren, in der Fernsehwerbung sowie im Hotel-, Gaststätten- und Restaurantgewerbe. Der althergebrachte Wasserkobold aus Volkssagen erfindet sich immer wieder neu, genauer: er wird immer wieder neu erfunden. So benutzt zum Beispiel die Stadtverwaltung von Fukuoka, größte Kommune auf der südwestlichen Hauptinsel Kyūshū, den umweltfreundlichen „Öko-Kappa“ [Ekoppa エコッパ] zur werbenden Selbstdarstellung sowie zur Stärkung des Umweltbewusstseins in der Bevölkerung und für den Tourismus bei In- und Ausländern.

In der südjapanischen Stadt Saga gibt es am Ufer des Flusses Matsubara [Matsubaragawa 松原川] eine Reihe von Nachbildungen von Kappa-Eltern mit Kappa-Kindern, womit angedeutet sein soll, dass die Wasserqualität so gut sei, dass sich selbst Kappa-Familien mit ihrer Brut darin wohlfühlen. Und im örtlichen Matsubara-Schrein [Matsubara-Jinja 松原神社] sowie im Hokumen-Tenman-Schrein [Hokumen-Tenmangū 北面天満宮] gedenken Betroffene den wegen Überschwemmungen bei Hochwasser ertrunkenen Kindern.

Seit dem 20. Jahrhundert gibt es unter dem Einfluss von Bewegungen für die Gleichstellung und Gleichberechtigung der Geschlechter zunehmend auch weibliche Kappa-Darstellungen. Das können Mann-Frau-Paare als Dekofiguren oder familiär wirkende Frau-Mann-Darstellungen beim Eingang von religiösen Einrichtungen oder Bahnhöfen sein. Schon vor den Zeiten von Cool Japan fanden cool-dynamische und sexy Kappa Eingang in Comics [Manga 漫画] und Zeichentrickfilme [Anime アニメ] und werden als positiv besetztes Nationalsymbol von staatlichen Stellen beworben. Ein weltweit bekannt gewordener Zeichentrickfilm war z.B. der umweltkritisch gemeinte Animationsfilm Ein Sommer mit Coo [engl. Summer Days with Coo, jp. Kappa no Kū to Natsuyasumi 『河童のクゥと夏休み』] von dem Regisseur Keiichi Hara aus dem Jahr 2007. Kappa wurden im Laufe der Zeit regional differenziert und gleichzeitig kontinuierlich standardisiert und dabei charakterlich von schelmisch-respektheischend-furchteinflößend zu sexy-cool-gesellschaftsdienlich gewandelt.

Glatte und gestylte Kappa-Maskottchen haben den frühmodernen Blut-, Leber- und Afterperle-Jäger abgelöst. Die Polizei scheint unter ihren zahlreichen Maskottchen noch keinen Kappa zu haben, aber dafür wissen die Feuerwehren den Kappa als Glücksbringer und Talisman auf ihrer Seite und in ihren Reihen; der Kappa soll seine Wasseraffinität und seine übernatürlichen Kräfte zugunsten von Brandbekämpfung einsetzen. Stellvertretend für eine Reihe von Feuerwehren im ganzen Land steht das Maskottchen des Feuerwehramtes von Tōkyō [Tōkyō Shōbōchō 東京消防庁] und sein Feuerwehr-Kappa Kyūta キュータ [die erste Silbe steht unter anderem für die „9“ (Kyū 九 = neun) aus der japanischen Notrufnummer „119“]. In modernen Maskottchen lebt der Geist des Kappa so erfolgreich fort, dass er auch in der Produktwerbung seinen Niederschlag findet. Die Sake- und Bierbrauerei Kizakura Co., Ltd. [Kizakura KK 黄桜株式会社], Hauptsitz in Yokoōji im Stadtbezirk Fushimi in Kyōto, war eines der ersten Unternehmen, das das Elixier der japanischen Seele mit Hilfe von Kappa beworben hat.

In der bei Touristen beliebten Kappabashi-Gerätschaften- und Küchenutensilienstraße [Kappabashi Dōgugai かっぱ橋道具街・合羽橋道具街, gegründet 1912/13, auf rund 800 Metern Länge gegenwärtig etwa 180 Läden] im Tokyoter Stadtbezirk Taitō steht zwischen Asakusa und Ueno seit Oktober 2003 ein ca. 1,5 Meter hohes, mit Blattgold verziertes Bronzestandbild eines Wasserkoboldes [Kappa Kawatarō-zō かっぱ河太郎像]. Der Kappa als Wasserkobold [Kappa 河童] hat auf den ersten Blick nichts mit dem gleichlautenden Kappa als Regenkleidung [Kappa 合羽, wörtlich „Federkleid“, abgeleitet von dem portugiesischen Wort „capa“, zurückgehend auf die „Wissenschaft der südlichen Barbaren“ (nanban kagaku 南蛮科学) portugiesischer und spanischer Christen und Missionare zwischen den 1540er und 1630er Jahren] zu tun. Die Kappa Kawatarō-Statue kontrastiert mit einem betont männlichen, wohlproportionierten Körperbau und einem kurzen Lendenschurz stark mit den frühmodernen Sagenüberlieferungen und bildlichen Darstellungen. Zudem ist die Statue etwa doppelt so groß wie die Kappa-Darstellungen der Edo-Zeit. In der rechten Hand hält er eine lange Angelrute aus Bambus, in der linken einen prächtigen, offensichtlich gerade gefangenen Karpfen, Symbol für Virilität, Lebenskraft und Wohlstand. Hier fragt sich gewiss bisweilen auch der eine oder andere einheimische Tourist, was die traditionelle Regenkleidung Kappa 合羽 mit den Kappa 河童 als Wasserkobolden miteinander zu tun hat. Die Genossenschaft zur Förderung der Tokyoter Kappabashi-Geschäftsstraße [Tōkyō Kappabashi Shōtengai Shinkō Kumiai 東京合羽橋商店街振興組合] macht kein Geheimnis daraus, dass sie die Popularität des modernen Wasserkoboldes als zu hundert Prozent positiv besetztes und deshalb beliebtes Maskottchen zu Werbe- und Verkaufsförderungszwecken nutzen möchte. Da zumindest ein grobes Bild über Wasserkobolde als Allgemeinwissen gilt, ist die Kappa Kawatarō-Statue auch Bestandteil eines von 23 offiziellen Geschichts- und Kultur-Spazierwegen [Rekishi to Bunka no Sanpodō 歴史と文化の散歩道] in Japans Hauptstadt.

Kappa symbolisieren Fluch und Segen von Wasser. Mit Wasser kann Durst und Feuer gelöscht, können Nahrungsmittel wie Reis, Gemüse und Obst angebaut werden. Kappa sollen gemäß Überlieferungen aus Mitleid und Empathie beim Löschen von Tempelbränden sowie beim Dammbau zum Beispiel in der Gegend zwischen Asakusa und Ueno in Edo geholfen haben. Gemäß einer etwa 200 Jahre alten anekdotischen Geschichte aus dem frühen 19. Jahrhundert soll es eine Verbindung zwischen der heutigen Kappabashi-Hauptstraße [Kappabashi Hondōri かっぱ橋本通り] und hilfsbereiten und tatkräftigen Wasserkobolden gegeben haben; ein Händler für Regenkleidung [Kappa 合羽] namens Kihachi Kappaya 合羽屋喜八 soll in der Ära Bunka (1804–1818) während der Amtszeiten von Kaiser Kōkaku 光格天皇 (1771–1840) und Kaiser Ninkō 仁孝天皇 (1800–1846) – militärischer Oberbefehlshaber war damals der Tokugawa-Shōgun Ienari 徳川家斉 (1787–1837) – in der Kappabashi-Gegend den Kanalbau zur Verhinderung von Überschwemmungen mit eigenen finanziellen Mitteln erheblich gefördert haben.

In der Nähe des heutigen Flusses Sumidagawa gab es nämlich während der Edo-Zeit noch viel Sumpflandschaft. Kihachi übernahm die Instandhaltungskosten für einen heute nicht mehr existenten Wasserweg namens Shinhorigawa [auch Shinborigawa 新堀川]. Ihm mangelte es jedoch während der kritischen Regenzeit an Arbeitskräften. Die Wasserkobolde sollen aus Mitleid und für den guten Zweck über Nacht den Kanalbau fertiggestellt haben, so dass die Bewohner der Gegend fortan weniger unter Überschwemmungen leiden mussten. Aus diesem Anlass werden noch heute im nahen Sōgen-Tempel [Sōgen-ji 曹源寺, umgangssprachlich auch Kappa-Tempel (Kappa-dera かっぱ寺) genannt], der zur zen-buddhistischen Sōtō-Schule gehört, den Wasserkobolden als verehrten Gottheiten [kami 神] ihre Leib- und Magenspeise Gurken als Opfergabe dargeboten. Ähnlich wie sich die römisch-katholische Kirche Notre-Dame de Paris im Besitz eines Splitters aus dem Holzkreuz Jesu wähnt und der Tempel des Goldenen Pavillons [Kinkaku-ji 金閣寺, offiziell Rokuon-ji 鹿苑寺, wörtlich Rehgarten-Tempel] in Kyōto einen Knochen Buddhas sein eigen nennt, so hält auch der Sōgen-Tempel eine Kostbarkeit seiner verehrten Gottheit: eine mumifizierte Kappa-Extremität.

Auch dem oben bereits erwähnten, 1962 in Tōkyō verstorbenen „Vater der japanischen Volkskunde“, Kunio Yanagita, wird in seinem Geburtsort kreativ und stilecht sowie kultur- und wirtschaftsfördernd gedacht. So haben die Stadtverwaltung und die lokale Wirtschaft von Fukusaki [Fukusaki-chō 福崎町, ca. 19.000 Einwohner] unweit der Nagusa-Wasserfälle [Nagusa no Taki 七種の滝] in der Präfektur Hyōgo, zu Ehren des landesweit berühmten Volkskundlers und zur Förderung des lokalen Tourismus den ganzen Ort mit Nachbildungen von zahlreichen Fabelwesen [yōkai 妖怪] der japanischen Geistesgeschichte bestückt, die den Besucher auf zahlreichen Sitzbänken sowie an unerwarteten Orten erwarten. So tauchen im Tsujikawayama-Park [Tsujikawayama Kōen 辻川山公園] die beiden rötlichen Kappa-Brüder Gatarō ガタロウ und Gajirō ガジロウ alle fünfzehn Minuten aus einem Teich auf. Der jüngere Kappa Gajirō kennt sogar geheime unterirdische Tunnel, die den Park mit dem Fluß Ichikawa 市川 sowie mit einer zylinderartigen Wassersäule auf dem Bahnhofsvorplatz in Fukusaki verbinden und begrüßt die ankommenden Besucher und verabschiedet sie auch stilecht.

Kappa finden also bis in die Gegenwart ihren Niederschlag in Literatur, Kunst, Musik, Film, Fernsehen, Parks, Pilgerpfaden und Spazierwegen, Produktnamen und Produktwerbung als positive, freundliche und hilfsbereite Maskottchen für Tourismus, Umweltschutz, Wasserqualität sowie Brandschutz, kind- und familiengerecht als ein Fabelwesen (fast) zum Anfassen.

Zur Gurke als Lieblingsspeise des Kappa

Wäre nur noch die Frage zu klären, warum ausgerechnet die Garten- oder Salatgurke [Cucumis sativus, jp. kyūri 黄瓜・木瓜・胡瓜] die Leib- und Magenspeise des Wasserkobolds [Kappa 河童] (geworden) ist? Diese Frage steht zusammen mit einer Antwort bis heute in japanischen Kinderbüchern für bildungsbeflissene Eltern und insbesondere ihre Kinder, die sich auf Eintrittsprüfungen für bessere Bildungseinrichtungen vorbereiten sollen. Eine darin bis in die Gegenwart verbreitete und deshalb zum Allgemeinwissen gehörende Hypothese besagt, dass die Vorliebe der Kappa für Gurken erstens auf die Verehrung des „Stierköpfigen Himmelskönigs“ Gozu Tennō 牛頭天王 im Yasaka-Schrein [Yasaka-Jinja 八坂神社] in Kyōto – zur Abwehr von Seuchen – und zweitens auf die Ähnlichkeit des Yasaka-Schreinwappens mit dem Querschnitt einer aufgeschnittenen Gurke [mokkō-mon 木瓜紋, wörtlich „Gurken-Wappen“] zurückgehen soll; denn die reinjapanische Lesung von mokkō 木瓜 lautet kiuri, und von kiuri ist es für populäre japanische Wortspielerei nicht weit bis kyūri 木瓜: Gurke. Hier endet das Kinderbuch (Seitōsha Henshūbu 2017, S. 192, Nr. 328).

Tatsächlich nennt der Yasaka-Schrein zwei Wappen sein eigen, die man auch auf der Schrein-Homepage einsehen kann. Das eine der beiden Schreinwappen ist das linksdrehende Dreifach-Tomoe [hidari mittsu tomoe 左三つ巴]. Das Tomoe-Symbol wird in verschiedenen Varianten in Ostasien allgemein mit Wasser in Verbindung gebracht, weil es der Wirbelbewegung eines Wasserstrudels [mizu no uzu 水の渦] ähnelt. Das Zeichen wurde jahrhundertelang im japanischen Volk benutzt, um das allgemeine Bewusstsein für Brandschutz zu stärken und auch spirituell vor Feuer zu schützen. Man findet es in Japan in ungezählten Familien-, Schrein- und Tempelwappen sowie als Firmen- oder Vereinslogo und last but not least als Verzierung auf der Bespannung von japanischen Trommeln [wadaiko 和太鼓]. Die drei archaisch anmutenden krummjuwel- oder kommaförmigen Perlen [magatama 勾玉] sind als Triskele radialsymmetrisch gleichmäßig angeordnet und wirken dynamisch.

Das oben zitierte Kinderbuch liegt bei der Interpretation des anderen Schreinwappens insofern falsch, als dieses rechte, repräsentative Hauptwappen keine Garten- oder Salatgurke, sondern in Wirklichkeit eine Zuckermelone [Cucumis melo var. makuwa, jp. makuwauri マクワウリ・真桑瓜] darstellt. Korrekt ist an der kindgemäßen und in der Bevölkerung weit verbreiteten Darstellung wahrscheinlich zumindest, dass Gläubige wegen der subjektiv empfundenen Ähnlichkeit mit dem Querschnitt einer aufgeschnittenen Gurke und wegen der alternativen Lesungsmöglichkeit des Schreinwappennamens irgendwann im Spätmittelalter oder in der Frühmoderne damit begonnen haben, dem Stierköpfigen Himmelskönig [Gozu-Tennō 牛頭天王] als Opfergabe [osonaemono 御供え物] Gurken darzubieten.

Japan ist ein Land mit zahlreichen Festen [Matsuri 祭り]. Alljährlich werden im ganzen Land Matsuri im dreistelligen Bereich veranstaltet. Das größte der „Drei großen Matsuri Japans“ [Nihon sandai matsuri 日本三大祭り] ist das Gion-Fest [Gion-Matsuri 祇園祭] des Yasaka-Schreins, das alljährlich unter Anteilnahme zahlreicher in- und ausländischer Touristen vom 1. bis 31. Juli feierlich begangen wird. Dank Shintoismus, Buddhismus und shintō-buddhistischem Synkretismus [shinbutsu shūgō 神仏習合, auch shinbutsu konkō 神仏混交] wurde es im Laufe der Zeit durch geistige Flexibilität und japanischen Pragmatismus möglich, im Gion-Schrein (656–1868, seit Ende Mai 1868 Yasaka-Schrein) folgende Gottheiten gleichsam ineinszusetzen: Gion Daimyōjin [Große Leuchtende Gion-Gottheit] = Gozu-Tennō [Stierköpfiger Himmelskönig] = Mutō(shin) oder auch Mutō no Kami [Gottheit für die Abwehr von Epidemien] = Susanoo no Mikoto [Gottheit des Windes und des Meeres] = Bishamon [Gott des Krieges, Beschützer vor Dämonen und Krankheiten] = Yakushi Nyorai [Buddha der Heilung].

Der Yasaka-Schrein war ursprünglich von Kaiserin Saimei 斉明天皇 (594–661) während ihrer zweiten Amtszeit im Jahr 656 n.u.Z. als Gion-Schrein [Gion-Jinja 祇園神社 bzw. Gionsha 祇園社] oder auch Anstalt zum Dank an die Gottheiten [Kanshin’in 感神院] gegründet worden. Wenn man Gozu Tennō mit dem griechischen Minotauros verwechselte, läge man übrigens vom äußeren Erscheinungsbild her so falsch nicht. Der Gozu Tennō wurde im Laufe der Zeit, wie oben angedeutet, mit verschiedenen Gottheiten gleichgesetzt beziehungsweise als spirituelle Wesenheiten verglichen: Erstens mit Susanoo, der Gottheit des Windes und des Meeres, zugleich Bruder der Sonnengöttin Amaterasu und des Mondgottes Tsukuyomi no Mikoto, alle drei Kinder der zentralen Urgottheiten Izanagi und Izanami gemäß offizieller Schöpfungsmythologie Japans; zweitens mit der Gottheit Mutō, Mutōshin oder auch Mutō no Kami, zuständig für die Abwehr von Epidemien, auch ineinsgesetzt mit Bishamon, Gott des Krieges, Beschützer vor Dämonen und Krankheiten, Wächter des Nordens und last but not least in der allgemeinen japanischen Religion zugleich einer der sieben Glücksgötter (Shichi Fukujin); und drittens mit Bhaisajyaguru, dem Buddha der Heilung von Krankheiten, japanisch Yakushi Nyorai. Der Legende nach soll die Verehrung des Wind- und Meeresgottes [Susanoo no Mikoto 素戔嗚尊] auf den Besuch des koreanischen Gesandten Irishi [伊利之] aus dem Vereinigten Reich Silla in dem Dorf Yasaka im Bezirk Otagi in der Provinz Yamashiro [Yamashiro-no-Kuni Otagi-gun Yasaka-gō 山城国愛宕郡八坂郷] zurückgehen.

Wie dem auch sei, der Yasaka-Schrein ist untrennbar mit dem Gion-Fest verbunden, das bis zur Gegenwart im Juli begangen wird, ursprünglich in erster Linie zur Abwehr von Seuchen. Am wichtigsten ist dabei die Woche zwischen dem 17. und 24. Juli, wenn der eingeschreinte Geist des Gozu Tennō in einem tragbaren, sänftenartigen, reich geschmückten Schrein in Miniaturformat [mikoshi 神輿], durch die Straßen von Kyōto getragen wird. Lange Zeit glaubte das Volk, dass der „Stierköpfige Himmelskönig“ wie die Kappa im nahen Fluss Kamogawa wohnte. Deshalb war es in der Woche vom 17. bis zum 24. Juli in dieser Gegend der kaiserlichen Hauptstadt verboten, Gurken zu essen, damit der/die Kappa als Abkömmlinge des „Stierköpfigen Himmelskönigs“ Gozu Tennō keine Seuchen verbreiten würden; der Kappa war für den Gläubigen ein Kind des Gozu Tennō [牛頭天王 = Susanoo] und der weiblichen Gottheit Kamuōichi Hime [神大市比売] und zugleich der ältere Bruder von Toshigami [auch Ōtoshi 大歳神 oder Ōtoshi no Kami], einer Shintō-Schutzgottheit für Körner- und Hülsenfrüchte auf den Feldern, vor allem Reis, Gerste, Bohnen sowie Rispen- und Kolbenhirse.

Anstelle von Oka ni agatta kappa 「陸に上がった河童」 wird auch Oka e agatta kappa 「陸へ上がった河童」 benutzt. In der japanischen Gegenwartssprache existiert neben Oka ni/e agatta kappa [„Ein an Land gekommener Wasserkobold.“ im Sinne von „Schuster, bleib bei deinem Leisten!“] noch eine weitere sprichwörtliche Redensart im Zusammenhang mit dem Wasserkobold alter Prägung. Nämlich: Kappa no kawanagare 河童の川流れ. Das bedeutet wörtlich etwa „Selbst ein Wasserkobold wird manchmal von der Flussströmung fortgeschwemmt.“ und kann im kulturell übertragenen Sinne im deutschen Kontext übersetzt werden mit: „Niemand ist vollkommen.“

Literatur
• Hachinohe-shi Hakubutsukan 八戸市博物館 (Hg.) (2016): „Kappa-ten“ tenji zuroku 「かっぱ展」展示図録 [Illustriertes Buch zur Kappa-Ausstellung]. Heisei Nijūhachi Nendo Tokubetsuten 平成28年度特別展 [Kappa-Sonderausstellung des Städtischen Museums von Hachinohe im Jahr 28 der Ära Heisei]. Hachinohe: Hachinohe Hakubutsukan.
• Kokuritsu Rekishi Minzoku Hakubutsukan 国立歴史民俗博物館 [National Museum of Japanese History, kurz Rekihaku 歴博] und Tsunemitsu, Tōru 常光徹編 (Hg.) (2014): Kappa to wa nani ka 『河童とはなにか』 [Was sind Kappa?]. Rekihaku Fōramu, Minzoku Tenji no Shinkōchiku 【歴博フォーラム 民俗展示の新構築】 [Schriftenreihe: Rekihaku-Forum, Neukonzeption von Ausstellungen über (Geschichte und) Volksbräuche]. Tōkyō: Iwata Shoin 岩田書院.
• Seitōsha Henshūbu 西東社編集部 (Hg.) (2017): Kappa no kōbutsu ga kyūri na no wa dōshite? 『河童の好物がキュウリなのはどうして?』 [Warum sind Gurken die Lieblingsspeise des Kappa?]. In: Seitōsha Henshūbu (Hg.): Kodomo to tanoshimu Nihon omoshiro zatsugaku gohyaku 「子どもと楽しむ日本おもしろ雑学500」 [500 Lektionen und Spaß beim Erwerb von breitem Allgemeinwissen über Japan zusammen mit dem Kind]. Tōkyō: Seitōsha 西東社, S. 192, Nr. 328.
• Yanagita, Kunio (Hg.) und Ronald A. Morse (Übers.) (2008): The Legends of Tono [Original: Tōno Monogatari 「遠野物語」]. Lanham, Maryland; Boulder; New York; Toronto; Plymouth, UK: Rowman & Littlefield.