Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. [1]

「見ぬ事清し」
Minu koto kiyoshi
Was man nicht sieht, ist sauber.
Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.

「見ぬ物清し」
Minu mono kiyoshi
What one does not see is clean.
What the eye doesn’t see the heart doesn’t grieve over.

Anmerkung
Die Begriffe mono 物 und koto 事 beziehungsweise monogoto 物事 umfassen alle konkreten und abstrakten Dinge und Angelegenheiten. Deshalb wird anstelle von Minu koto kiyoshi  「見ぬ事清し」 auch Minu mono kiyoshi  「見ぬ物清し」 benutzt.

Wer zwei Hasen jagt, fängt keinen. [2]

虻蜂取らず
Abu hachi torazu
Weder Bremse noch Wespe fangen.
Wer zweierlei zugleich will, bekommt nichts.
Wer zu viel will, bekommt gar nichts.
Wer zwei Hasen jagt, fängt keinen.

虻蜂取らず
Abu hachi torazu
To catch neither horsefly nor wasp.
Between two stools one falls to the ground.
He that hunts two hares loses both.
If you run after two hares, you will catch neither.

Wenig ist besser als nichts.

有るは無いに勝る
Aru wa nai ni masaru
Etwas ist besser als nichts.
Man hat, was man hat.
Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach.
Wenig ist besser als nichts.

有るは無いに勝る
Aru wa nai ni masaru
Something is better than nothing.
A bird in the hand is worth two in the bush.
A crust is better than no bread.
Half a loaf is better than none.

Eine schwarze Henne legt ein weißes Ei.

鳶が鷹を生む
Tobi ga taka o umu
Ein Milan gebiert einen Habicht.
Ein Schwarzer Milan gebiert einen Falken.
Eine schwarze Henne legt ein weißes Ei.

鳶が鷹を生む
Tobi ga taka o umu
A kite begets a hawk.
A great person may be born of perfectly ordinary parents.
A black hen lays a white egg.

Anmerkung
Wenn die Kinder so gut oder so schlecht wie die Eltern geraten, sich beide in vielerlei Hinsicht stark ähneln, benutzt man in Japan das Sprichwort 蛙の子は蛙 Kaeru no ko wa kaeru [Das Kind eines Frosches ist ein Frosch. = Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm]. Wenn das Kind prächtig gerät und die Eltern als das genaue Gegenteil erscheinen, sagt man in Japan 鳶が鷹を生む Tobi ga taka o umu [Ein Milan gebiert einen Habicht/Falken. = Eine schwarze Henne legt ein weißes Ei]. Ein typisches Anwendungsbeispiel ist zum Beispiel der Bildungserfolg: 【用例】「父親は学校の成績が散々だった。その父親の息子が東大に行くなんて、まさに鳶が鷹を生むということだね」

Von bösen Weibern und schlechten Ehefrauen, oder: hundert Jahre Mißernten versus hundert Jahre Hungersnöte

悪妻は百年の不作
Akusai wa hyakunen no fusaku
Eine schlechte Ehefrau ist wie hundert Jahre Mißernten.
Ein bös Weib ist der Schiffbruch des Mannes.
Eine schlechte Ehefrau ist ein Quell für lebenslanges Mißgeschick.
Lieber ein leeres Haus als ein böses Weib.
Lieber ein halbleeres Haus als einen bösen Ehemann.

悪妻は百年の不作
Akusai wa hyakunen no fusaku
A bad wife spells a hundred years of bad harvest.
An ill marriage is a spring of ill fortune.
Better be half hanged, than ill wed.
Better an empty house than a bad wife.
Better a half-empty house than a bad husband.

Anmerkung
Die sprichwörtliche Redensart Akusai wa hyakunen no fusaku 「悪妻は百年の不作」 war über die Agrargesellschaft hinaus lange Zeit Bestandteil der geschlechtsspezifischen männlichen Erziehung. Sie war und ist gemeint als Belehrung, darauf zu achten, eine Frau zu heiraten, die die Hausarbeit und die Kinderpflege allein und verantwortungsvoll erledigen könne, damit sich der Mann auf seine – selbsterwählte oder ihm auferlegte – Rolle als Haupternährer der Familie konzentrieren möge. Synonyme Redensarten sind z.B. Akusai wa isshō no fusaku 「悪妻は一生の不作」 [Eine schlechte Ehefrau ist wie lebenslang Mißernten.], Akusai wa rokujū nen no fusaku 「悪妻は六十年の不作」 [Eine schlechte Ehefrau ist wie sechzig Jahre Mißernten.] und Isshō no wazurai wa seiaku no tsuma 「一生の患いは性悪の妻」 [Lebenslanges Leiden bringt eine charakterlich schlechte Ehefrau mit sich.].

Die Männer-Perspektive und das unwillkürlich mitschwingende maskulinistische Yang der sprichwörtlichen Redensart animiert dazu, nach der Frauen-Perspektive oder auch dem feministischen Yin zu suchen. Die männliche Entsprechung der Grundform für „schlechte Ehefrau“ 「悪妻」 [akusai] lautet „akufu“ 「悪夫」 [„schlechter Ehemann“]. Dieses Lexem steht aber weder in dem japanischen Standard-Wörterbuch Kōjien noch findet sich in einschlägigen gedruckten sowie elektronischen Nachschlagewerken für Sprichwörter und Redensarten ein Gegenstück aus der weiblichen Perspektive. Daß sowohl das reale Phänomen als auch das es bezeichende Wort existiert, darf als gegeben vorausgesetzt werden. Selbstverständlich kann in der japanischen Gegenwartssprache aus „schlecht“ [warui 「悪い」] oder „nicht gut“ [yokunai 「良くない」] und „Ehemann“ [otto 「夫」] die Phrase „schlechter Ehemann“ [warui otto 「悪い夫」] gebildet werden, aber es geht hier um ein schriftsprachliches Kompositum und das logische Gegenstück zu „akusai“. Bei japanischen Bloggerinnen wird man schon nach kurzer Suche fündig. Demnach lautet das Gegenstück zu Akusai wa hyakunen no fusaku 「悪妻は百年の不作」 [Eine schlechte Ehefrau ist wie hundert Jahre Mißernten.] wie folgt:

悪夫は百年の飢餓
Akufu wa hyakunen no kiga
A bad husband spells a hundred years of starvation.
Ein schlechter Ehemann ist wie hundert Jahre Hungersnöte.

Der Blick für das große Ganze [2]

葦の髄から天井を覗く
Yoshi no zui kara tenjō o nozoku
Die Zimmerdecke durch ein Schilfrohr betrachten.
Eine engstirnige Sicht der Dinge haben.
Eine eng begrenzte Auffassung haben.
Nicht weiter als bis zur eigenen Nasenspitze sehen.
Keinen Blick für das große Ganze haben.

葦の髄から天井を覗く
Yoshi no zui kara tenjō o nozoku
Observing the ceiling through a hollow reed.
To view the world from a narrow perspective.
To have a narrow worldview.
Think outside the box.
You have to see the big(ger) picture.

Beharrlichkeit führt zum Ziel.

雨垂れ石を穿つ
Amadare ishi o ugatsu
Regentropfen höhlen den Stein aus.
Gutta cavat lapidem non vi, sed saepe cadendo.
Der Tropfen höhlt den Stein nicht durch Gewalt, sondern durch häufiges Fallen.
La goccia scava la pietra.
Steter Tropfen höhlt den Stein.
Beharrlichkeit führt zum Ziel.

雨垂れ石を穿つ
Amadare ishi o ugatsu
Constant dropping wears away a stone.
Gutta cavat lapidem non vi, sed saepe cadendo.
The drop of water hollows the rock not by force, but by often falling.
With ordinary talent and extraordinary perseverance, all things are attainable.
Little strokes fell big oaks.
Perseverance will bring success.

Anmerkung
Zu dem japanischen Sprichwort Amadare ishi o ugatsu 「雨垂れ石を穿つ」 gibt es eine Reihe von sinnverwandten Sprichwörtern. Semantisch am nächsten stehen ihm Suiteki ishi o ugatsu 「水滴石を穿つ」 und Tenteki ishi o ugatsu 「点滴石を穿つ」. Als Herkunft des Sprichwortes gilt das chinesische Geschichtswerk Hàn Shū 《汉书》 / 《漢書》, japanisch Kanjo 『漢書』. Es wurde in der Späten Han-Dynastie (auch Östliche Han-Dynastie, 25 bis 220 n.u.Z.) herausgegeben und ist die wichtigste Quelle zur Frühen Han-Dynastie (auch Westliche Han-Dynastie, 206 v.u.Z. bis 8 n.u.Z.) sowie zur Herrschaft des chinesischen Kaisers Wáng Mǎng, dessen Regierungszeit von 9 bis 23 n.u.Z. als Interregnum im Bürgerkrieg endete und in die Späte Han-Dynastie mündete. Das ältere klassische Sprichwort lautet shuǐdī shíchuān 水滴​石穿, das jüngere dīshuǐ chuānshí 滴水​穿石. Beide existieren bislang in der chinesischen Gegenwartssprache fort.

Der Blick für das große Ganze [1]

針の穴から天を覗く
Hari no ana kara ten o nozoku
Durch ein Nadelöhr den Himmel betrachten.
Eine engstirnige Sicht der Dinge haben.
Keinen Blick über den Tellerrand werfen.
Eine begrenzte Auffassung haben.
Nicht weiter als bis zur eigenen Nasenspitze sehen.
Keinen Blick für das große Ganze haben.

針の穴から天を覗く
Hari no ana kara ten o nozoku
Observing the sky through the eye of a needle.
To view the world from a narrow perspective.
To have a narrow-minded view of things.
To have a narrow worldview.
Think outside the box.
You have to see the big(ger) picture.

Anmerkung
Diese sprichwörtliche Redensart ist eine Metapher für Engstirnigkeit und steht auf der 3. von 48 Karten des traditionellen Iroha-Kartenspiels in Kyoto (Kyoto Iroha Karuta), das vorzugsweise um Neujahr gespielt wurde und wird. Es existiert eine Reihe von sinnverwandten Redensarten, wie z.B. Kuda no ana kara ten o nozoku 管の穴から天を覗く [Durch das Loch eines dünnen Rohres den Himmel betrachten] oder Kagi no ana kara ten o nozoku 鍵の穴から天を覗く [Durch ein Schlüsselloch den Himmel betrachten].

Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie.

論語読みの論語知らず
Rongo yomi no rongo shirazu
Die Analekten des Konfuzius dem Wortlaut nach gelesen haben, aber seinen sittlichen Gehalt und Geist nicht begreifen können (oder wollen).
Ein Schriftgelehrter, der Theorie nicht anwenden kann (oder will).
Der Theoretiker weiß, wie es geht, aber es geht nicht. Der Praktiker weiß nicht, wie es geht, aber es geht.
Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie.

論語読みの論語知らず
Rongo yomi no rongo shirazu
Not understanding the Analects, although the Analects are read.
A scholar of Confucius’ teachings and his conversations, but unable to practically apply Confucian ethics.
Someone who knows a theory, but cannot apply it.
A mere scholar, a mere ass.

Anmerkung
Dieses Sprichwort steht auf der 2. von 48 Karten des traditionellen Iroha-Kartenspiels von Kyoto (Kyoto Iroha Karuta), das vorzugsweise um Neujahr gespielt wurde und wird. „Rongo“ ist die japanische Bezeichnung für das auf den chinesischen Gelehrten Konfuzius (ca. 551 v.u.Z. bis ca. 479 v.u.Z.) zurückgehende „Lún Yǔ“ 論語 [Kurzzeichen 论语, deutsch „Gespräche des Konfuzius“, „Analekten des Konfuzius“ oder auch „Gesammelte Aussprüche des Konfuzius“], ein Klassiker der konfuzianischen Literatur.

Der Frosch im Brunnen und das weite Meer

井の中の蛙大海を知らず
I no naka no kawazu taikai o shirazu
Der Frosch im Brunnen kennt den Ozean nicht.
Der Frosch im Brunnen weiß nichts vom weiten Meer.
Eine engstirnige Sicht der Dinge haben.
Keinen Blick über den Tellerrand werfen.
Nicht weiter als bis zur eigenen Nasenspitze sehen.
Keinen Blick für das große Ganze haben.

井の中の蛙大海を知らず
I no naka no kawazu taikai o shirazu
The frog in the well knows nothing of the great ocean.
He/She that stays in the valley shall never get over the hill.
Being unable to see beyond the end of one’s nose.
To have a narrow worldview.
Think outside the box.
You have to see the big(ger) picture.