Das Alte und das Neue

故きを温ねて新しきを知る
Furuki o tazunete atarashiki o shiru
Um das Neue zu verstehen, studiere das Alte.
Wer wissen will, wie etwas werden soll, muss betrachten, was war.

故きを温ねて新しきを知る
Furuki o tazunete atarashiki o shiru
To understand new things, study the old.
(Re-) Visiting (the) old, learn (the) new.

Anmerkung
Diese sprichwörtliche Redensart und Weisheit geht auf den chinesischen Gelehrten Konfuzius (ca. 551 v.u.Z. bis ca. 479 v.u.Z.) zurück und stammt aus dem Lún Yǔ 論語 / 论语 [jp. Rongo 論語, dt „Gespräche des Konfuzius“, „Analekten des Konfuzius“ oder auch „Gesammelte Aussprüche des Konfuzius“] zum Thema „Staatsgeschäfte“ 為政 [ch. Wéi Zhèng, jp. Isei]. Die obige Weisheit existiert in Ostasien als Vier-Schriftzeichen-Kompositum: 温故知新 [ch. wēngù zhīxīn, jp. onko chishin, kor. ongo jisin, Hangeul: 온고지신].

In diesem Zusammenhang läßt sich eventuell mit einem Bonmot des Bonner Astronomen Friedrich Wilhelm August Argelander (1799–1875) eine Brücke vom chinesischen Altertum zur europäischen Moderne schlagen. Auf die joviale Frage von Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (1795–1861) „Nun, Herr Geheimrat, was gibt es Neues am Himmel?“ entgegnete der Astronom „Kennen Majestät denn schon das Alte?“

Vom Regen in die Traufe kommen [2]

前虎後狼
zenko kōrō
Von vorn ein Tiger, von hinten ein Wolf.
Zwischen Hammer und Amboß.
Zwischen Skylla und Charybdis sein.
Vom Regen in die Traufe kommen.

前虎後狼
zenko kōrō
A tiger in front, a wolf behind.
Between the hammer and the anvil.
To be between Scylla and Charybdis.
To jump out of the frying pan into the fire.

Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. [2]

知らぬが仏
Shiranu ga hotoke
Wer die Tatsachen nicht kennt, bewahrt Gleichmut und Seelenruhe wie Buddha.
Unwissenheit ist ein Segen.
Selig sind die Unwissenden.
Selig sind die geistig Armen.
Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.

知らぬが仏
Shiranu ga hotoke
You will remain calm like Budddha if you don’t know the facts.
What you don’t know can’t hurt you.
Ignorance is bliss.
Blessed are the ignorant.
What the eye doesn’t see the heart doesn’t grieve over.

Anmerkung
Die obige sprichwörtliche Redensart steht auf der 42. von 48 Karten des traditionellen Iroha-Kartenspiels von Edo (Edo Iroha Karuta), heute Tokyo.

Kleine Kinder, kleine Sorgen

子は三界の首枷
Ko wa sangai no kubikase
Kinder sind lebenslange Halsfesseln.
Kleine Kinder: Kopfweh; große Kinder: Herzweh.
Kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder, große Sorgen.

子は三界の首枷
Ko wa sangai no kubikase
Children are neck shackles at all times.
Children suck the mother when they are young and the father when they are old.
The bigger the children, the bigger the worries.

Anmerkung
Dieses Sprichwort steht auf der 33. von 48 Karten des traditionellen Iroha-Kartenspiels von Edo (Edo Iroha Karuta), heute Tokyo.

Eine Gelegenheit beim Schopfe packen

幸運の女神には後ろ髪はない
Kōun no megami ni wa ushirogami wa nai
Die Glücksgöttin hat keine Haare am Hinterkopf.
Eine verpasste Gelegenheit kommt nicht so schnell wieder.
Eine günstige Gelegenheit kommt nur einmal.

幸運の女神には後ろ髪はない
Kōun no megami ni wa ushirogami wa nai
The goddess of fortune has no hairs at the back part of her head.
Nothing is more expensive than a missed opportunity.
Opportunity only knocks once.

Anmerkung
Die deutsche sprichwörtliche Redensart das Glück oder „eine Gelegenheit beim Schopfe packen“ und die englische Entsprechung „to grasp an opportunity by the forelock“ gehen auf eine altgriechische sinnbildhafte Vorstellung und den religiös-philosophischen Begriff des „Kairos“, des rechten Augenblicks oder des passenden Moments, zurück.

Kairos ist in der griechischen Mythologie die personifizierte Gottheit des richtigen Zeitpunkts unter günstigen Umständen in der gestauchten Zeit und somit das Pendant zu Chronos, dem Gott der messbaren, in gleichbleibendem Tempo fließenden Zeit beziehungsweise der langen Zeiträume.

Kairos besitzt vorn eine lockige, volle Haarpracht und ist am Hinterkopf kahl; man muss ihn also im sprichwörtlichen Sinne beim Schopfe packen, sonst wäre der geflügelte Jüngling für Sterbliche im nächsten Moment uneinholbar und unwiederbringlich verschwunden. Ein Messer und eine Balkenwaage sind weitere mögliche Attribute.

Von der klassischen Periode Griechenlands bis zur europäischen Neuzeit wandelte sich die bildliche Darstellung und die textliche Beschreibung des Kairos auf Marmorkopien, Siegeln und Sarkophagen. Im Laufe der Zeit wurde Kairos durch Attribute des Götterboten Hermes (Flügelschuhe), der Nemesis, der Göttin des gerechten Zorns und der ausgleichenden Gerechtigkeit (Flügelräder), und der griechischen Schicksalsgöttin Tyche (römisch Fortuna), zuständig für die Fügung des Zufalls (Kugel, Flügel), ikonologisch an- und abgereichert.

Im Übergang vom Mittelalter zur frühen Neuzeit wurde Kairos auch als Occasio, eine „günstige Gelegenheit“ [zur Sünde], weiblich personifiziert verbildlicht.

Nach oben ist immer Luft. [2]

上には上がある
Ue ni wa ue ga aru
Über einem hohen Punkt gibt es immer einen höheren.
Es gibt immer einen, der besser ist als Du.
Es gibt immer Luft nach oben.

上には上がある
Ue ni wa ue ga aru
There is always a higher place to reach.
No man so good, but another may be as good as he.
There may be blue and better blue.

Zu spät

屁を放って尻窄める
He o hitte shiri tsubomeru
Den Anus nach einem Flatus zukneifen.
Den After zukneifen, nachdem ein Darmwind entwichen ist.
Es ist zu spät einen Anker zu werfen, wenn das Schiff einen Felsen gerammt hat.
Hilfe nach dem Kriege.
Der Arzt kommt zu spät, wenn der Kranke tot ist.

屁を放って尻窄める
He o hitte shiri tsubomeru
To try to close the anus after breaking the wind.
It is too late to cast an anchor when the ship is on the rocks.
Post bellum auxilium.
Aid after the war.
After death comes the physician.

Anmerkung
Dieses Sprichwort steht auf der 6. von 48 Karten des traditionellen japanischen Iroha-Kartenspiels von Edo (Edo Iroha Karuta), heute Tokyo. Ein modernes Anwendungsbeispiel: 「今頃になってどんな言い訳をしても、屁をひって尻窄めだよ」  Imagoro ni natte donna iiwake o shite mo, he o hitte shiri tsubome da yo. Wörtlich etwa: „Selbst wenn du dich jetzt entschuldigen würdest, wäre das wie das Zukneifen des Anus nach der rektalen Emission eines Flatus incarceratus.“ Mit anderen Worten: „Jetzt kommt jede Entschuldigung zu spät.“

Hunger ist der beste Koch.

飢えては食を択ばず
Uete wa shoku o erabazu
Wer Hunger hat, ist nicht wählerisch.
Hunger ist der beste Koch.

飢えては食を択ばず
Uete wa shoku o erabazu
Hunger is no dainty.
Hunger is the best relish.

Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen

魚の目に水見えず人の目に空見えず
Uo no me ni mizu miezu hito no me ni sora miezu
Die Augen des Fisches sehen das Wasser nicht, die Augen des Menschen sehen die Luft nicht.
Manchmal übersieht man leicht wesentliche Dinge in Sichtweite.
Ehre und respektiere deine Eltern.
Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen.

魚の目に水見えず人の目に空見えず
Uo no me ni mizu miezu hito no me ni sora miezu
The eyes of the fish cannot see the water, the eyes of the human being cannot see the sky.
Sometimes it is easy not to notice the obvious because it is hidden in plain sight.
Honor your parents.
Can’t see the forest/wood for the trees.

Anmerkung
Eine Kurzfassung lautet „Die Augen des Fisches sehen das Wasser nicht.“ [Uo no me ni mizu miezu  「魚の目に水見えず」]. Synonyme sprichwörtliche Redensarten sind „Die Augen des Fisches sehen das Wasser nicht, die Augen des Menschen sehen den Wind nicht.“ [Uo no me ni mizu miezu hito no me ni kaze miezu  「魚の目に水見えず人の目に風見えず」] und „Die Augen des Fisches sehen das Wasser nicht, der Mensch im Schmutz sieht den Staub nicht.“ [Uo suichū ni atte mizu o shirazu hito shinchū ni atte chiri o shirazu  「魚水中にあって水を知らず人塵中にあって塵を知らず」].