Energiewende in Südkorea: Präsident Moon spricht sich gegen neue Kohle- und Kernkraftwerke aus

Der seit Anfang Mai 2017 amtierende Präsident Moon Jae-in sprach sich am 19. Juni während einer Zeremonie anläßlich der ersten Außerbetriebnahme eines südkoreanischen Kernreaktors für einen stufenweisen Ausstieg aus der zivilen Nutzung der Kernenergie aus. Kori 1 (1977–2017) verfügt über einen 576-Megawatt-Druckwasserreaktor von Westinghouse. Das Kori-Kernkraftwerk liegt in der Nähe von Busan, der nach Seoul zweitgrößten Stadt des Landes am südöstlichen Ende der Koreanischen Halbinsel. Präsident Moon fügte hinzu, dass Pläne für den Bau neuer Kernkraftwerke nicht realisiert würden und er in der Frage des Atomausstiegs anstrebe, zeitnah einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen.

Das bedeutet, dass möglicherweise nicht alle aktuell geplanten und in Bau befindlichen fortgeschrittenen Druckwasserreaktoren namens APR-1400 (Advanced Power Reactor 1400 MWe), ein für 60 Jahre Betrieb ausgelegter fortgeschrittener Reaktor der Generation III des größten südkoreanischen Stromkonzerns Korea Electric Power Corporation (KEPCO), vollendet würden. Der APR-1400 kombiniert Elemente des früheren Standardtyps, des optimierten Druckwasserreaktors OPR-1000 (Optimized Pressurized Reactor), eines Reaktors der Generation II, mit Merkmalen des amerikanischen Designs „System 80+“ von Combustion Engineering (C-E), später Teil des schwedisch-schweizerischen multinationalen Unternehmens ABB (ASEA Brown Boveri), danach abgegeben an die amerikanische Westinghouse Electric Company, die 2006 von Toshiba gekauft wurde und für die die Muttergesellschaft Ende März 2017 Gläubigerschutz beantragt hat.

Südkorea verfügt über 24 Kernreaktoren an vier Standorten (Hanbit, Hanul, Wolsong und Kori), die mit einer installierten Gesamtkapazität von 22,5 GWe (Gigawatt elektrisch) rund ein Drittel des südkoreanischen Strombedarfs abdecken. Kernenergie wurde jahrzehntelang staatlich gefördert und hat sich darüber zu einer Exporttechnologie entwickelt. Südkoreanische Unternehmen erhielten den Zuschlag für ein 20-Milliarden-Dollar-Geschäft zum Bau von vier fortgeschrittenen Druckwasserreaktoren der Generation III in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Der dritte Entwicklungsplan für Kernenergie des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Technologie sah vor, dass sich die südkoreanische Nuklearindustrie zu einer der fünf stärksten weltweit entwickelt. Bis zum Jahr 2035 sollte Südkorea einen Kernstromerzeugungsanteil von 60% erreichen. Der Jahresnutzungsgrad (Kapazitätsfaktor), das Verhältnis von effektiver Leistung zur nominalen Vollauslastungskapazität, liegt in Südkorea mit 96,5% deutlich höher als in den USA (rund 90%) und noch viel höher als in Japan (70%). Nukleare Optimisten bezeichnen das als „Weltspitze“ , nukleare Pessimisten als „Spiel mit dem Feuer“.

Im Dezember 2016 ging der erste und bislang einzige von Korea Hydro & Nuclear Power (KHNP) und KEPCO entwickelte APR-1400, Shin Kori 3, in den kommerziellen Betrieb über und wurde mit dem Stromnetz synchronisiert. Sieben weitere Reaktoreinheiten befinden sich im Bau, darunter vier Einheiten im Kernkraftwerk Barakah in den Vereinigten Arabischen Emiraten und drei Einheiten in Südkorea, eine in Shin Kori und zwei in Shin Hanul (vormals Uljin). Die geplanten Einheiten Shin Kori 5 und 6 werden eventuell nicht gebaut. Zu dieser Entscheidung dürfte eine Reihe von nuklearen Ereignissen der letzten Jahre beigetragen haben, die die Betreiber versuchten zu vertuschen oder verspätet gemeldet haben.

In diesem Zusammenhang sei ein nachträglich als Störfall der INES-Stufe 2 der Internationalen Bewertungsskala für nukleare und radiologische Ereignisse (International Nuclear Event Scale, INES) bewertetes Ereignis erwähnt, das etwa elf Monate nach der Fukushima Daiichi-Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011 (Erdbeben, Riesenflutwelle, Kernschmelzen) im Kori-Kernkraftwerk stattgefunden hat. Der Kernreaktor Kori 1 wurde am 9. Februar 2012 um 8:30 Uhr für turnusmäßige Inspektionen heruntergefahren. Danach ereignete sich für 12 Minuten ein kompletter Stromausfall (»Station Blackout«), der erst drei Tage später der Atomaufsichtsbehörde berichtet wurde. Von einem Station Blackout (vollständiger Stromausfall einschließlich Notstromaggregate) spricht man, wenn Eigenbedarfstransformatoren vom Blockgenerator oder vom externen Stromnetz genommen werden, vorhandenenfalls auch der/die Reservenetztransformatoren versagen sowie Notstromaggregate (Dieselgeneratoren) aus welchen Gründen auch immer – im Fall von Kori 1 wegen eines mechanischen Defekts im Startluftsystem, vorausgegangen war im Rahmen von Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten beim Test von Schutzrelais des Blockgenerators eine Trennung der Anlage vom externen Netz aufgrund eines menschlichen Fehlers – ausfallen.

Die Bevölkerung Japans ist wegen der geographischen Nähe und der vorherrschenden Windrichtung im Fall eines südkoreanischen Nuklearunfalls sehr schnell von der radioaktiven Strahlung direkt betroffen, ganz zu schweigen von der südkoreanischen Bevölkerung, die so nah wie kaum eine zweite weltweit an Nuklearanlagen wohnt.

Das Drehbuch des neueren südkoreanischen Katastrophenfilms »Pandora« [판도라, 2016] bedient das gesellschaftliche Bedürfnis nach dem Guten, Wahren, Schönen, Traurigen und Dramatischen sowie nach einsamen, unbeirrbaren Weltenrettern beziehungsweise [Anti-] Helden in Gestalt eines Nukleararbeiters und ist offensichtlich unmittelbar von dem obenerwähnten Störfall des Kernreaktors Kori 1 inspiriert.