Das Leben ist kurz. [7]

「光陰人を待たず」
Kōin hito o matazu
Die Zeit wartet auf niemanden.
Das Leben ist kurz.

「光陰人を待たず」
Kōin hito o matazu
Time doesn’t wait for anyone.
Life is short.

Anmerkung
Das Schriftzeichen 「光」 [jp. Kō, hikari, hika(ru); ch. guāng] bedeutet hauptsächlich „strahlen/Strahlen“, „leuchten/Leuchten“, „glänzen/Glänzen“, „funkeln/Funkeln“, „gleißen/Gleißen“ etc. sowie „Ruhm“ und „Ehre“. In der obigen sprichwörtlichen Redensart steht es für „Sonne(nstrahlen)“. Das zweite Schriftzeichen 「陰」 [jp. In, An, On, kage, kage(ru), kumo(ru), hiso(ka); ch. yīn, yìn, ān] bedeutet in „Kōin hito o matazu“ 「光陰人を待たず」 [Die Zeit wartet auf niemanden.] „Mond“ und steht im Japanischen auch für „Schatten“. Als Kompositum bedeutet 「光陰」 [jp. kōin, ch. guāngyīn]: die Zeit(en).

Chinesische – und japanische – Mittelschüler lernen je nach Schulort nicht nur weitere Bedeutungen, wie „bewölkt“, „finster“, „dunkel“, „das negative/weibliche Prinzip Yīn von Yin und Yang“ im Daoismus [jp. dōkyō, ch. dàojiào 道教 oder auch jp. dōka, ch. dàojiā 道家, wörtlich „Lehre des Weges“], „negativ geladene Körper (Elektronenüberschuss)“, „implizit“, „versteckt“, „heimlich“, „geheim“, „verborgen“, „vertraulich“, „Genitalien“ sowie den „Familiennamen Yīn“], sondern auch unterschiedliche Schreibweisen: 陰|隂|阴.

Synonyme japanische sprichwörtliche Redensarten sind zum Beispiel 「人生は風前の灯」 Jinsei wa fūzen no tomoshibi [Das Leben ist wie eine Kerze im Wind.], 「光陰矢の如し」 Kōin ya no gotoshi [Die Zeit ist/fliegt wie ein Pfeil.], 「光陰に関守なし」 Kōin ni sekimori nashi [Die Zeit lässt sich nicht anhalten. (wörtlich: Die Zeit hat keinen Grenzwächter.)], 「人生蜉蝣の如し」 Jinsei kagerō no gotoshi [Das menschliche Leben währt so kurz wie das einer Eintagsfliege.], 「人生は朝露の如し」 Jinsei wa chōro no gotoshi [Das menschliche Leben ist so vergänglich wie der Morgentau.] und 「人生は風灯石火の如し」 Jinsei wa fūtō sekka no gotoshi [Das menschliche Leben ist so kurz wie der Funke von Schwefelkies und Feuerstein im Wind.].

Niemand ist vollkommen [3]

河童の川流れ
Kappa no kawanagare
Selbst ein Wasserkobold wird manchmal von der Flussströmung fortgeschwemmt.
Selbst gute Schwimmer können ertrinken.
Manchmal schläft sogar der große Homer.
Das beste Pferd kann straucheln.
Selbst ein Affe fällt manchmal vom Baum.
Niemand ist vollkommen.

河童の川流れ
Kappa no kawanagare
Even a water goblin can sometimes be carried away by the river’s current.
Even the best swimmer can drown.
Even Homer sometimes nods.
The best horse stumbles.
Even a monkey can fall from a tree.
Nobody is perfect.

Anmerkung
Der Kappa 河童 [Wasserkobold(e)] gehört zur Crème de la Crème der Fabelwesen in Japan und ist aus einer dreistelligen Zahl von Fabelwesengattungen neben dem Oni 鬼 [große, starke und böse Teufel oder Dämonen] und dem Tengu 天狗 [sinojapanisch für wörtlich „Himmelshund(e)“, reinjapanisch früher auch Amakitsune gelesen, wörtlich „Himmelsfüchse“; anders als in China durch shintoistische und buddhistische Einflüsse in Japan ein Fabelwesen der Wälder und der Berge mit magischen Kräften und menschenähnlicher Figur, meist mit Flügeln, einem Krähenkopf und einer überlangen Nase ausgestattet] einer der „drei großen Geister und übernatürlichen Phänomene Japans“ [Nihon Sandai Yōkai 日本三大妖怪].

Der in Japan für Erwachsene und Kinder seit langem landesweit verbreitete und allgemeinverständliche Begriff Kappa 河童 – offensichtlich erzählt eine ganz überwiegende Mehrheit von Eltern und Großeltern seit Jahrhunderten jeder neuen Generation von der virtuellen Existenz dieses Fabelwesens – ist eine Abkürzung des Kofferwortes „Kawawappa“ 河わっぱ aus „Kawa“ 河・川 [Fluss] und „Wappa“ わっぱ・童 [Bengel, Frechdachs, Lausejunge, Lümmel, Rotzlöffel, Schlingel, kurz: kleiner, ungepflegter, frecher Junge], einer vulgären Variante von „Warawa“ 童 [Kind], auch „Warabe“ gelesen, und bedeutet wörtlich neutral in etwa „Flußkind(er)“ oder „Flussjunge(n)“. „Kappa“ war ursprünglich ein ostjapanischer Begriff aus der Kantō-Ebene um Edo (seit 1868 Tōkyō) bis zum äußersten Nordosten der Hauptinsel Honshū.

Das chinesische Schriftzeichenkompositum 「河童」 [heute Kappa gelesen] taucht erstmals in der spätmittelalterlichen Muromachi-Zeit (1392–1573) im Jahr 1444 in zwei neuartigen japanischen Sprachwörterbüchern titels „Kagakushū“ 『下学集』 und „Setsuyōshū“/„Setchōshū“ 『節用集』 auf. Im 15. Jahrhundert wurden Fortschritte zur Vergrößerung der lese- und schreibkundigen Bevölkerung gemacht. Erstmals wurden japanische Sprach- und Allgemeinwörterbücher erstellt und veröffentlicht, die nicht nur für Gelehrte bestimmt waren. In der Folgezeit wurden diese Werke zum Teil bis ins 20. Jahrhundert mit Corrigenda und Addenda in zahlreichen Editionen immer wieder neu aufgelegt. Diese Wörtersammlungen sind nach der japanischen Silben-, genauer Morenschrift lautlich in der Reihenfolge des Iroha-Gedichtes [Iroha-Uta いろは歌・伊呂波歌] sowie nach Sachgebieten inhaltlich gegliedert. Den Eintrag zu 「河童」 [Kappa] mit der lautlichen Lesung „Gawarau“ [がはらう(がわらう)] findet man in den beiden obengenannten Nachschlagewerken unter dem Sachgebiet „Lebewesen“ [Kigyō/Kikei 気形] in der Unterabteilung „Tiere“ [Chikurui 畜類] (Kokuritsu Rekishi Minzoku Hakubutsukan et al. 2014, S. 26).

Die obengenannten beiden japanischen Quellen sowie eine frühmoderne portugiesische Publikation zu Beginn der Edo-Zeit (1603–1868) legen das Synonym „Kawarō“ 「河郎」 [wörtlich Flussjunge oder Flussbengel] nahe. Die Gesellschaft Jesu (Societas Jesu) veröffentlichte im Jahr 1603/04 in Nagasaki ein japanisch-portugiesisches Wörterbuch titels „Vocabulário da Língua do Japão“ [Nippo Jisho 『日葡辞書』] mit rund 32.000 portugiesisch erläuterten japanischen Wörtern. Darin findet sich ein Eintrag zum Begriff 「河童」 [Kappa] mit der Lesung „Cauaro“ [かはらう]. Der Kappa wird darin als affenartiges Felltier beschrieben, dass wie der Mensch Arme und Beine hat, aber im Fluss wohnt. Darin wird der Kappa nicht als Fabel-, sondern als Lebewesen betrachtet. Außerdem heißt es zusätzlich, dass sich „Fischotter“ [Lutra lutra, jp. Uso 獺 oder auch Kawauso 川獺] in Kappa verwandeln, wenn sie alt werden. Für das Verständnis zu Beginn des 17. Jahrhunderts war der Kappa in Japan möglicherweise weniger ein übernatürlicher Geist, ein Phantom oder Kobold [Yōkai 妖怪], sondern ein Mischwesen mit tierischen sowie menschlichen Merkmalen, deren Anteile sich nach Raum, Zeit und Umständen ändern konnten. Das ist eine wichtige Feststellung für die Weiterentwicklung des spätmittelalterlichen Kappa zum frühmodernen Kappa (Kokuritsu Rekishi Minzoku Hakubutsukan et al. 2014, S. 27).

Die Kappa-Nomenklatur spiegelt die physische Gestalt in Form eines Kindes (Kawappa, Kawako), eines Affen (Enkō), einer Schildkröte (Dangame) oder eines Otters (Kawauso) wider, andere Namen nehmen Bezug auf seine Eigenschaften: Neben „Flusskind(er)“ [Kappa 河童] waren/sind Synonyme wie „Flußjunge“ [Kawatarō 川太郎], „Pferdezieher“ [Komahiki 駒引], „Flußtiger“ [Kawatora 川虎] oder „Wassertiger“ [Suiko 水虎] verbreitet.

In der sprichwörtlichen Redensart „Kappa no kawanagare“ 「河童の川流れ」 [„Selbst ein Wasserkobold wird manchmal von der Flussströmung fortgeschwemmt.“ im Sinne von „Niemand ist vollkommen.“] ist der Kappa als „Wasserkobold“ ein erläuterungsbedürftiger Übersetzungskompromiss; denn schon als Wasserkobold besitzt er einen virtuellen Doppelcharakter, zum einen als das Leben von Mensch (Kinder und Erwachsene) und Tier (Pferde und Rinder) bedrohender Dämon [Yōkai 妖怪] und zum anderen als Gottheit [Kami 神] für Fruchtbarkeit und gute Ernten, zum Teil auch für Heilkräuterkunde sowie chiropraktisch-osteopathische Fertigkeiten.

Geschichtenerzähler, Zeichner und Bildhauer haben Kappa in ganz Japan bekannt gemacht. Manche Autoren datieren die Ursprünge des Kappa-Fabelwesens mit Hilfe von geschichtswissenschaftlichen Methoden bis ins Altertum und ins Mittelalter zurück. Über die Ursprünge dieses Fabelwesens im Altertum und im Mittelalter zirkulieren eine Reihe von mehr oder weniger weit hergeholten Theorien in Japan. Manche Autoren hypothesieren, dass die Existenz von Kappa in Westjapan aus der Flußgottverehrung [jp. Kahaku Shinkō 河伯信仰] des chinesischen Hebo-Glaubens [ch. Hébó 河伯 = Gott des Gelben Flusses Huang He] abgeleitet werden könne. Der in Ostasien ubiquitäre Drache soll ursprünglich auch nur eine Wasserschlange von Bauern in den chinesischen Mittellanden gewesen sein, bevor chinesische Kaiser ihn zur absoluten Waffe weiterentwickelten und als Machtsymbol usurpierten. Der Ursprung der Kappa in Ostjapan wird dagegen unter anderem auf heianzeitliche (794–1185) Wahrsager, Zeichendeuter und Yin-Yang-Meister „des Weges“ wie Abe no Seimei 安倍晴明 (921–1005) und seiner Auslegung und Weiterentwicklung der daoistischen Fünf-Elemente-Lehre [Onmyōdō/On’yōdō/In’yōdō 陰陽道] zurückgeführt. Hier bewegt man sich quellenkritisch und interpretatorisch möglicherweise auf dünnerem Eis.

Vorläufer der frühmodernen Kappa der Edo-Zeit (1603–1868) und der modernen Kappa der Meiji-Zeit (1868–1912) existierten möglicherweise schon im Altertum und im Mittelalter in der oralen Tradition von Geschichtenerzählern. Während und nach der Edo-Zeit wurden Kappa bei aller regionalen Diversität und dialektalen Vielfalt durch Bilder und Beschreibungen in Druckwerken und eventuell auch erst durch sie hinsichtlich ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Eigenschaften und ihres Charakters bis zu einem gewissen Grad vereinheitlicht. Darstellungen von Kappa enthalten zum Beispiel die „Wa-Kan Sanzai Zue“ 『和漢三才図会』 (1712) [wörtlich etwa Illustrierte chinesisch-japanische Enzyklopädie] des Arztes Ryōan Terashima (geb. 1654, Todesjahr unbekannt), der „Gazu Hyakki Yakō/Yagyō“ 『画図百鬼夜行』 (1776) [wörtlich etwa „Spiegel der hundert Dämonen Japans“] des Malers Sekien Teriyama (1712–1788) und die „Hokusai Manga“ 『北斎漫画』 (1814) [wörtlich etwa „Hokusai-Skizzen-Edition“] des Ukiyo-e-Künstlers Hokusai Katsushika (1760–1849).

Es gab sicher auch schon vor der meiji-zeitlichen Aufklärung und Industrialisierung Menschen in Japan, die sich ertrunkene Menschen und Nutztiere vernünftig erklären wollten. So beliebt und verbreitet warme Bäder in einem Land auf dem u-förmigen Feuerring möglicherweise schon seit langem sein mögen, das Schwimmen war lange Zeit eine recht schichten- und berufsspezifische Überlebenstechnik. Für Krieger, Fischer und Seeleute war sie epochenübergreifend relevanter als für Bauern und Handwerker, aus denen im Mittelalter und in der Frühmoderne ganz überwiegend das Gros der Agrargesellschaft bestanden hat und die in ihrer Mehrzahl wahrscheinlich nicht schwimmen konnten. Eine Generation von Nichtschwimmern brachte die nächste Generation von Nichtschwimmern hervor. Ertrinken war somit keine seltene Todesursache vor dem 20. Jahrhundert. Ein Grund für viele ertrunkene Nutztiere war sicher auch morastiger Untergrund. Wenn ein Pferd oder Rind auf sumpfigen Untergrund gerät, kann es durch das hohe Gewicht auf dem kleinem Raum seiner Hufe rasch einsinken, panisch werden und in relativ kurzer Zeit untergehen und ertrinken. Geschichten über Kappa mahnten die Menschen ganz allgemein an Achtsamkeit und Aufmerksamkeit für sich und andere. Eltern, die nicht wollten, dass ihre Kinder Steh- und Fließgewässer sowie Sümpfe erkundeten oder sich allein in die Berge begeben, taten bei der Tradierung von Kappa-Sagen ein Übriges. Bei Hexenverfolgungen und Ehescheidungen wurde dem Kappa möglicherweise auch die eine oder andere Rolle angetragen.

Man kann Kappa als Projektionen, Inkarnationen und Konstruktionen des japanischen Volksglaubens beschreiben und erklären. Kappa galten seit alters vielerorts als schelmisch bis boshaft, aber nicht grundsätzlich als bösärtig. Der Kappa kann auch und gerade als Dämon sowohl positiv-empathisch-konstruktiv als auch negativ-destruktiv-mephistophelisch sein. Sie können deshalb nicht alle über einen Kamm geschoren werden; Menschen auf dem Lande gegenüber konnten sie durchaus hilfreich, wohlwollend, dankbar und einfältig sein. In manchen Regionen galt der Kappa auf dem Lande in der wärmeren Jahreszeit als eine Wassergottheit [Suijin/Mizugami 水神 oder auch Mizu no Kami 水の神] und in der kälteren Jahreszeit als eine Berggottheit [Yamagami, Yamatsumi 山神・山祇 oder auch Yama no Kami 山の神].

Mit Kappa sind seit langem ambivalente Gefühle verbunden. Wer an Kappa-Sagen glaubt(e) – da nehmen wir der Einfachheit halber einmal eine unbewiesenen Erfindungen zugeneigte satte Mehrheit der mittelalterlichen und frühmodernen Agrargesellschaft an –, fürchtet(e) Wasserkobolde oder hatte mindestens großen Respekt. Gemäß zahlreichen Überlieferungen auf den Hauptinseln Honshū, Kyūshū und Shikoku – Ezochi [Bezeichnung für Hokkaidō, die Kurilen (Chishima) und Sachalin (Karafuto) vor der Meiji-Zeit (1868–1912)] und das Königreich Ryūkyū [jp. Ryūkyū Ōkoku 琉球王国, ch. Liúqiú Wángguó 琉球王國, von der jungen Meiji-Regierung 1872 als Ryūkyū-Domäne (Ryūkyū-Han 琉球藩) annektiert und 1879 zur Präfektur Okinawa (Okinawa-Ken 沖縄県) ernannt; lokal Rūchū] wurden erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kolonisiert beziehungsweise annektiert – trachteten Kappa Pferden und Rindern nach ihrem Blut und ihrer Leber, erwachsenen Menschen und Kindern nach ihrer Leber sowie ihrer „Afterperle“ [Shirikodama 尻子玉].

Afterperle hieß in Japan vor der Moderne und der medizinisch-wissenschaftlichen Aufklärung über menschliche Anatomie ein imaginäres, für lebenswichtig gehaltenes Organ im Anus, genauer: am Ende des Mastdarms (Intestinum rectum). Sie galt dem Volksglauben nach als Sitz der menschlichen Seele. Zu diesem Zweck zogen Kappa ihr Opfer in tieferes Wasser und ersäuften es. Bisweilen ahmten Kappa vorgeblich das Verhalten von Lachsen [Sake 鮭] nach, um Menschen ins Wasser zu locken. Im Wasser galt der Kappa jedem Menschen als überlegen; solange er sich in seinem Element, dem Wasser befand, besitzt er nämlich übernatürliche Kräfte. Wasser war/ist sein Refugium, seine Domäne. Die Flüssigkeit in dem schüsselartigen Behältnis auf seinem Kopf [Sara 皿] galt als das Geheimnis seiner übermenschlichen Kräfte. Nach Überlieferungen soll ein Kappa „stark wie drei Krieger“ gewesen sein. An Land war er meist auch nur dann besiegbar, wenn die Flüssigkeit in der Furche seiner Schädelmitte (Vertex) verschüttet wurde oder austrocknete. Ein Mensch konnte seine Afterperle zum Beispiel leicht dann an einen Kappa verlieren, wenn er seine Notdurft an der falschen Stelle eines Still- oder Fließgewässers verrichtete. Dank seiner flexiblen und elastischen Arme entriss der Kappa seinem Opfer die Afterperle aus dem Anus, um sie selbst zu degustieren oder auch devot respektive nolens volens dem Drachenkönig [Ryūō 竜王] zur Begleichung seiner Steuerschulden darzubringen.

Früge man eine repräsentative Auswahl von japanischen Kindern und Erwachsenen in Japan, was unter einem Kappa vorzustellen sei, so erhielte man mit einiger Sicherheit großenteils folgendes Spektrum an Antworten zu seinem äußeren Erscheinungsbild und seinen Eigenschaften: Kappa sind amphibisch und somit schwimmhäutig an Händen und Füßen mit vier Fingern und längeren, krallenartigen Nägeln. Die Hände und Füße sind vergleichsweise lang. Seine Fußspuren sind denen von Vögeln ähnlich. Die Arme sind relativ dünn wie bei einem Japanischen Makakenaffen [lat. Macaca fuscata, jp. Nihonzaru ニホンザル・日本猿], aber merkwürdig flexibel, biegsam und nach beiden Seiten hin verschiebbar. Sie besitzen die Statur eines drei- bis zehnjährigen Kindes von etwa sechzig bis siebzig Zentimetern Körperlänge, beherrschen also den aufrechten Gang, können aber auch kriechen wie eine flinkere Schildkröte. Der Kappa hat häufig ein tigerartiges Gesicht mit scharf geschnittenen Zügen, einen kurzen, schnabelartigen Mund sowie einen schildkrötenartigen Rückenpanzer oder -schild (Carapax). Die Nase ähnelt der eines Hundes. Die Augen sind rund, und die Pupillen glänzen. Die Zähne ähneln denen einer Schildkröte. Der Kappa besitzt oben und unten vier spitz zulaufende Backenzähne. Seine Stimme ähnelt der eines schreienden Babys. Der Kappa verfügt über drei After und einen kurzen Schwanz. Wenn ein Kappa stirbt, soll ihm ein zum Himmel stinkender Darmwind (Flatus) entfahren.

Kappa haben bisweilen Kopfhaare, die ungeordnet herunterhängen. Mittig auf dem Schädel befindet sich bei allen Kappa eine schüsselförmige Schädeldepression und Einbuchtung, die glatt und unbehaart ist, mit einer wasserähnlichen Flüssigkeit, die ihm übernatürliche Kräfte verschafft. Geht sie zum Beispiel während der höflichen Erwiderung einer Verbeugung zum Gruß verloren – der Kappa galt bei aller Dämonie und legendären Boshaftigkeit an vielen Orten nach Überlieferungen auch als höflich –, verliert der Kappa seine übermenschlichen Kräfte. Kappa mögen die japanische Form des Ringens [Sumō 相撲・角力], aber bei ihrer Art des Kräftemessens konnte es nicht immer nur um Unterhaltung und Spaß, sondern durchaus auch um Leben und Tod gehen. Deshalb haben Kappa es schwer, Maskottchen von Sumō-Ställen und -Trainingszentren zu werden, obwohl Zeitungen bisweilen von ungeklärten Todesfällen bei Übungen berichten; Konkurrenz belebt das Geschäft des Boandlkramers.

Kappa waren/sind normalerweise grünlich, bläulich oder grünbläulich. Eine Ausnahme von dieser Regel sind die rötlichen Kappa in Nordostjapan. Mit roten Kappa verbindet man in Japan allgemein die Stadt Tōno in der Präfektur Iwate in der nordöstlichen Region Tōhoku auf der Hauptinsel Honshū. In dem Ort befindet sich der Jōken-Tempel [Jōken-Ji 常堅寺], der zur buddhistischen Sōtō-Schule [Sōtō-Shū 曹洞宗] gehört. Beim Tempeleingang stehen zur Abwehr böser Geister keine mythischen Wächterhunde in Löwengestalt, wie man sie sonst vor buddhistischen Tempeln und shintoistischen Schreinen sehen kann, sondern Kappa. In dem Flüsschen oder Bächlein hinter dem Tempel sollen früher viele Kappa gewohnt haben. Diese Stelle ist daher allgemein als Kappa-Untiefe [Kappa-Buchi 河童淵] bekannt. Noch heute darf man nach dem Erwerb einer „Kappa-Fang-Lizenz“ [Kappa Hokaku Kyokashō カッパ捕獲許可証] mit einer Angel und einer Gurke als Köder nach Kappa fischen. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich auch der „Garten der Überlieferungen“ [Denshōen 伝承園]. Die roten Kappa in Tōno erinnern möglicherweise auch metaphorisch an die Kindestötungen während der großen Hungersnöte in der Edo-Zeit.

Der Zenmyō-Tempel [Zenmyō-Ji 善明寺] in Tōno gehört der buddhistischen Schule des Reinen Landes [Jōdo-Shū 浄土宗] an und ist mit der Verehrung des transzendenten Buddha Amitabha [jp. Amida Nyorai 阿弥陀如来, „Buddha des Unermesslichen Lichtglanzes“] befaßt. Der Tempel ist hinsichtlich Kappa insofern relevant, weil er Trauer- und Gedenkbilder besitzt und heute noch ausstellt, die verstorbene Kinder in einer Art von paradiesischem Jenseits darstellen, wo es ihnen weder an Nahrungsmitteln noch an Musikinstrumenten mangelt, damit Hinterbliebene sie besuchen und ihrer gedenken und für sie und sich beten können.

Im Jahr 4 (1754) der Ära Hōreki (1751–1764) führte eine große Überschwemmung im Gebiet der heutigen Stadt Tōno dazu, dass das Gebiet mit damals rund 20.000 Einwohnern nach zwei Mißernten hintereinander in eine Hungersnot geriet und etwa ein Viertel seiner Bevölkerung verlor. Müttern, die nolens volens ihre eigenen Kinder ertränken mussten, aber auch empathischen Vätern, Geschwistern, Großeltern, Freunden, Verwandten und Bekannten, half eventuell die Vorstellung, dass die wegen Missernten und hohen herrschaftlichen Naturalsteuern durch Infantizide gewaltsam aus der Welt der Lebenden gerissenen Kleinkinder als Kobolde in der numinosen Wasser- und Berggeisterwelt oder auch in Form von Steinskulpturen in den nahen Wäldern oder in Bildern von Tempeln fortlebten, bei der Verarbeitung des seelischen Verlustes.

Die Fernsehserie Japanology Plus der öffentlich-rechtlichen Rundfunkgesellschaft NHK [Nippon Hōsō Kyōkai 日本放送協会, engl. Japan Broadcasting Corporation] hat unter anderem die Ursprünge und die regionale Bedeutung von Kappa in Nordostjapan am 17. März 2020 in der Sendung „Tohoku Nine Years On: Voices of the Deceased“ im Gespräch zwischen dem britischen Moderator Peter Barakan und Geschichtenerzählern der Stadt Tōno thematisiert. Gemäß seinen japanischen Gewährsleuten können die dortigen Kappa als posthume Identitäten, reine Repräsentationen des Geistes und intellektuelle Konstruktionen von Hinterbliebenen verstanden werden, um die wegen Mißernten und Hungersnöten erfolgten Kindestötungen während der Edo-Zeit zu verarbeiten und seelischen Frieden zu finden.

Die Überlieferungen zu Naturgeistern wie Kappa 河童 [wörtlich Flusskind(er)] – oder auch Hausgeistern wie Zashiki Warashi 座敷童子 [wörtlich Zimmerkind(er)] – in der nördöstlichen Region Tōhoku sind innerhalb Japans und über das Archipel hinaus auch in der englischsprachigen Welt bekannt geworden, weil der „Vater der japanischen Volkskunde“ namens Kunio Yanagita 柳田國男 (1875–1962) mündlich tradierte Sagen im weiteren Stadtgebiet von Tōno und zugehörigen Dörfern mit Hilfe des dort geborenen Volkskundlers Kizen Sasaki 佐々木喜善 (1886–1933) sowie von lokalen Gewährsfrauen und -männern vor Ort gesammelt, aufgeschrieben, literarisch aufbereitet und im Jahr 1910 unter dem Titel „Tōno Monogatari“ 「遠野物語」 [wörtlich „Sagen von Tōno“] zunächst auf eigene Kosten mit einer Auflage von 350 Exemplaren für Schriftsteller-Freunde, Wissenschaftler, Verwandte und Bekannte veröffentlicht hat. Die erste kommerzielle Fassung erschien erst im Jahr 1920. Sagen zur dunklen Seite der Kappa finden sich darin übrigens unter den Nummern 55 bis 59. In diesem Zusammenhang sind die Flüsse Sarugaishi und Kogarase sowie die Dörfer Matsuzaki, Niibari und Kamigo explizit erwähnt. Eine englische Übersetzung von Ronald A. Morse erschien 1975 und 2008 unter dem Titel „The Legends of Tono“.

Die Leib- und Magenspeise des Kappa ist die Garten- oder Salatgurke [Kyūri 黄瓜・木瓜・胡瓜; nur Kappa in Yanagigawa in der Präfektur Fukuoka sollen für Gurken nichts übrig haben]. Noch heute heisst deshalb die in getrockneten Seetang gerollte Sushi mit Gurke auf allen Sushi-Speisekarten der Welt Kappa-Maki 河童巻き [„Kappa-Rolle“]. Der Kappa mag darüber hinaus zum Beispiel Auberginen [Nasu ナス・茄子], Riesenkürbis [Kabocha かぼちゃ・南瓜], Buchweizennudeln [Soba そば・蕎麦] sowie gekochte und fermentierte Bohnen [Nattō なっとう・納豆]. Es gibt auch Dinge, mit denen man Kappa (ver)jagen kann: So verabscheut er zum Beispiel Affen, Flaschenkürbis, Schwammkürbis, Hirschhörner, Sesam, Ingwer sowie eiserne Metall- und Schneidwaren.

Der Kappa versteht und spricht wie selbstverständlich Japanisch. Seine ungebrochene Bio- und Neurodiversität hat vom Spätmittelalter in der Muromachi-Zeit über die frühmoderne Edo-Zeit bis zur Gegenwart kontinuierlich und parallel gleichzeitig Standardisierungs- und Wandlungsprozesse durchlaufen, die anscheinend noch nicht abgeschlossen sind. Auf jeden Fall ist der Begriff Kappa im Rahmen der Kappa-Nomenklatur von rund 80 japanischen Bezeichnungen der bekannteste und im ganzen Land verbreitetste Name und figuriert deshalb heute auch als hochsprachlicher Gattungsname und Oberbegriff. Diese große, immer noch wachsende Zahl von Kappa-Namen verweist nicht zuletzt auch auf dialektalen Reichtum und stammt im Kern von anatomischen Besonderheiten, charakterlichen Eigenschaften oder spezifischen Funktionen diverser Kappa-Unterarten im Rahmen der Kappa-Typologie. Denn als Fabel- und Mischwesen weisen Kappa eine Reihe von unterschiedlichen Mensch-Tier-Geistwesen-Kreuzungen auf.

Kappa-Forscher trennen Wasserkobolde grob in west- und ostjapanische Traditionen. In der Frühmoderne war der Kappa in Ostjapan tendenziell weichschildkröten- und froschartiger, in Westjapan hingegen affenartiger. So hießen/heißen Kappa in den beiden westjapanischen Regionen Chūgoku (Präfekturen Tottori, Shimane, Okayama, Hiroshima und Yamaguchi) und Shikoku (Präfekturen Tokushima, Kagawa, Ehime und Kōchi) Enkō 猿猴 sowie Kawatarō 川太郎, weil sie affenartig dicht beharrt (gewesen) sein sollen. Der Enkō-Kappa soll in Süß- und Salzwasser schwimmende Menschen bedroht und angefallen haben und ursprünglich vom chinesischen Festland gekommen sein. In der Präfektur Aomori im Norden der Hauptinsel Honshū heißt der Kappa Medochi oder Medotsu. Sein Gesicht ist affenähnlich und der Körper schwarz. Hin und wieder nimmt er die Gestalt eines Mädchens an, um Menschen zu verführen und im Wasser zu ertränken. Der Medochi/Medotsu kann Menschen zur Geburt von Kappa veranlassen und die Gestalt von Freunden oder Verwandten annehmen, um Menschen dazu zu bewegen, mit ihm ins tiefere Wasser zu gehen.

Die mit Flußregulierung und Kanalbau einhergehende Verstädterung Japans seit der Frühmoderne trug möglicherweise dazu bei, dass in bildlichen Darstellungen die Attribute des Kappa einem Wandel unterworfen waren. Frühmoderne Kappa waren Mischwesen aus einem Affen, den man sich etwas größer als den japanischen Rotgesichtsmakaken [lat. Macaca fuscata, jp. Nihonzaru ニホンザル・日本猿, wörtlich „Japanaffe(n)“] vorzustellen habe, einer Weichschildkröte [Pelodiscus sinensis (subsp. japonicus), jp. Suppon 鼈] und einem Fischotter [Lutra lutra, jp. Uso 獺 oder auch Kawauso 川獺]. Die weichschildkröten-, frosch-, fischotter- und affenartigen Anteile eines konkreten Kappa waren regional und lokal unterschiedlich stark ausgeprägt. Deshalb waren und sind Kappa auf Bildern oder als Skulpturen unterschiedlich stark beharrt und/oder geschuppt. Der Körper des Kappa soll häufig unangenehm fischig gerochen haben und selbst auf dem Land schleimig und glitschig gewesen sein.

Kappa wohn(t)en in der Regel in Untiefen oder Höhlen von Flüssen, Bächen, Seen, Sümpfen und Wasserfällen und sollen am späten Nachmittag auch gern mal herauskommen und an Land gehen. Kappa leben also vorwiegend in Süßwassergebieten. Mindestens ein Kappa soll im Meer wohnen. Es heisst, er sei ein exzellenter Schwimmer [Oyogi ga Tokui 泳ぎが得意] und trinke gern hin und wieder mal ein Glas Sake [Sakenomi Kappa 酒飲み河童], bekanntlich das Elixier der japanischen Seele. Er soll nur einen Steinwurf entfernt vom Baseballstadion Fukuoka Yafuoku! Dome (benannt nach dem Sponsor Yahoo! Japan) im zentralen Stadtbezirk Chūō wohnen, unweit des Fukuoka Tower (234 m), der im Momochihama-Viertel des benachbarten Stadtbezirks Sawara steht, wo man dem Meer durch Aufschüttung im Laufe der Zeit viel Neuland abgetrotzt hat.

Die Metamorphosen und Variationen des Kappa machen diese Kreatur der menschlichen Phantasie über die Jahrhunderte bis zur Gegenwart zu einem vielschichtigen und vieldeutigen Mischwesen, das immer wieder neu erfunden wurde und sich bis auf den heutigen Tag im Wandel befindet. Kappa standen lange metaphorisch für die Gefahren der natürlichen Welt und die Gefahren spiritueller Parallelwelten, die jederzeit plötzlich konkret und handfest werden können wie Naturereignisse, wie zum Beispiel Überschwemmungen, Taifune, Erdbeben oder eben Dämonen und böse Geister von vorzeitig und gewaltsam, also in Unfrieden Verstorbenen. Hier klingt der animistische Shintō 神道 [Weg(e) der Gottheit(en)] mit seinen „Myriaden von Gottheiten“ [Yaoyorozu no Kamigami 八百万の神々] an, die aus belebter oder unbelebter Materie sowie aus konkreten oder abstrakten Dingen bestehen können.

Der spätmittelalterliche Kappa, der frühmoderne Kappa und eine Weile auch noch der moderne Kappa-Typus konnte Frauen übel mitspielen und stünde heute auf jeden Fall mindestens als misogyner Macho am Pranger der Political Correctness und auf dem Index. Er war bekannt dafür, bewusst und absichtsvoll einen rüpelhaften Ructus oder einen unflätigen Flatus fahren zu lassen, nur um jemanden durch das unerwartete, kakophonische Geräusch und den unangenehmen Geruch zu erschrecken. Bei der Verrichtung einer Notdurft strich ein Kappa auch schon einmal sachte über den weiblichen Hintern einer fremden Frau. Er musterte Frauen im Kimono anzüglich und soll sich sogar bis hin zur unerwünschten nächtlichen Heimsuchung verstiegen haben. Einvernehmlicher Geschlechtsverkehr war seine Sache nicht. Als Folge von Vergewaltigungen soll es zu ungewollten Schwangerschaften gekommen sein. Sagen berichten über die Geburt und die Tötung von Kappa-ähnlichen, häßlichen Kindern, bisweilen über mehrere Generationen hinweg, selbst in der Kriegerschicht (Samurai respektive Bushi). Kappa hielten auch Einzug als Verzierung von Gebrauchsgegenständen des frühmodernen Alltags. So fand man ihn unter anderem als kunstvoll geschnitzten Knauf oder Endstück aus Holz, Horn oder Elfenbein von Beuteln für Geld, Tabak, Siegelstempel und Arznei [Netsuke 根付].

Der Kappa der Moderne und der Gegenwart

In der modernen japanischen Gesellschaft kann man Kappa im Alltag relativ häufig begegnen, meist als niedliches, hilfsbereites Maskottchen zum Beispiel in Fußgängerzonen und Geschäften für Haushaltswaren, in der Fernsehwerbung sowie im Hotel-, Gaststätten- und Restaurantgewerbe. Der althergebrachte Wasserkobold aus Volkssagen erfindet sich immer wieder neu, genauer: er wird immer wieder neu erfunden. So benutzt zum Beispiel die Stadtverwaltung von Fukuoka, größte Kommune auf der südwestlichen Hauptinsel Kyūshū, den umweltfreundlichen „Öko-Kappa“ [Ekoppa エコッパ] zur werbenden Selbstdarstellung sowie zur Stärkung des Umweltbewusstseins in der Bevölkerung und für den Tourismus bei In- und Ausländern.

In der südjapanischen Stadt Saga gibt es am Ufer des Flusses Matsubara [Matsubaragawa 松原川] eine Reihe von Nachbildungen von Kappa-Eltern mit Kappa-Kindern, womit angedeutet sein soll, dass die Wasserqualität so gut sei, dass sich selbst Kappa-Familien mit ihrer Brut darin wohlfühlen. Und im örtlichen Matsubara-Schrein [Matsubara-Jinja 松原神社] sowie im Hokumen-Tenman-Schrein [Hokumen-Tenmangū 北面天満宮] gedenken Betroffene den wegen Überschwemmungen bei Hochwasser ertrunkenen Kindern.

Seit dem 20. Jahrhundert gibt es unter dem Einfluss von Bewegungen für die Gleichstellung und Gleichberechtigung der Geschlechter zunehmend auch weibliche Kappa-Darstellungen. Das können Mann-Frau-Paare als Dekofiguren oder familiär wirkende Frau-Mann-Darstellungen beim Eingang von religiösen Einrichtungen oder Bahnhöfen sein. Schon vor den Zeiten von Cool Japan fanden cool-dynamische und sexy Kappa Eingang in Comics [Manga 漫画] und Zeichentrickfilme [Anime アニメ] und werden als positiv besetztes Nationalsymbol von staatlichen Stellen beworben. Ein weltweit bekannt gewordener Zeichentrickfilm war zum Beispiel der umweltkritisch gemeinte Animationsfilm „Ein Sommer mit Coo“ [engl. „Summer Days with Coo“, jp. „Kappa no Kū to Natsuyasumi“ 『河童のクゥと夏休み』] von dem Regisseur Keiichi Hara aus dem Jahr 2007. Kappa wurden im Laufe der Zeit regional differenziert und gleichzeitig kontinuierlich standardisiert und dabei charakterlich von schelmisch-respektheischend-furchteinflößend zu sexy-cool-gesellschaftsdienlich gewandelt.

Glatte und gestylte Kappa-Maskottchen haben den frühmodernen Blut-, Leber- und Afterperle-Jäger abgelöst. Die Polizei scheint unter ihren zahlreichen Maskottchen noch keinen Kappa zu haben, aber dafür wissen die Feuerwehren den Kappa als Glücksbringer und Talisman auf ihrer Seite und in ihren Reihen; der Kappa soll seine Wasseraffinität und seine übernatürlichen Kräfte zugunsten von Brandbekämpfung einsetzen. Stellvertretend für eine Reihe von Feuerwehren im ganzen Land steht das Maskottchen des Feuerwehramtes von Tōkyō [Tōkyō Shōbōchō 東京消防庁] und sein Feuerwehr-Kappa „Kyūta“ 「キュータ」 [die erste Silbe steht unter anderem für die „9“ (Kyū 九 = neun) aus der japanischen Notrufnummer „119“]. In modernen Maskottchen lebt der Geist des Kappa so erfolgreich fort, dass er auch in der Produktwerbung seinen Niederschlag findet. Die Sake- und Bierbrauerei Kizakura Co., Ltd. [Kizakura KK 黄桜株式会社], Hauptsitz in Yokoōji im Stadtbezirk Fushimi in Kyōto, war eines der ersten Unternehmen, das das Elixier der japanischen Seele mit Hilfe von Kappa beworben hat.

In der bei Touristen beliebten Kappabashi-Gerätschaften- und Küchenutensilienstraße [Kappabashi Dōgugai かっぱ橋道具街・合羽橋道具街, gegründet 1912/13, auf rund 800 Metern Länge gegenwärtig etwa 180 Läden] im Tokyoter Stadtbezirk Taitō steht zwischen Asakusa und Ueno seit Oktober 2003 ein ca. 1,5 Meter hohes, mit Blattgold verziertes Bronzestandbild eines Wasserkoboldes [Kappa Kawatarōzō かっぱ河太郎像]. Der Kappa als Wasserkobold [Kappa 河童] hat auf den ersten Blick nichts mit dem gleichlautenden Kappa als Regenkleidung [Kappa 合羽, wörtlich „Federkleid“, abgeleitet von dem portugiesischen Wort „capa“, zurückgehend auf die „Wissenschaft der südlichen Barbaren“ (Nanban Kagaku 南蛮科学) portugiesischer und spanischer Christen und Missionare zwischen den 1540er und 1630er Jahren] zu tun. Die Kappa Kawatarō-Statue kontrastiert mit einem betont männlichen, wohlproportionierten Körperbau und einem kurzen Lendenschurz stark mit den frühmodernen Sagenüberlieferungen und bildlichen Darstellungen. Zudem ist die Statue etwa doppelt so groß wie die Kappa-Darstellungen der Edo-Zeit. In der rechten Hand hält er eine lange Angelrute aus Bambus, in der linken einen prächtigen, offensichtlich gerade gefangenen Karpfen, Symbol für Virilität, Lebenskraft und Wohlstand. Hier fragt sich möglicherweile bisweilen auch der eine oder andere einheimische Tourist, was die traditionelle Regenkleidung Kappa 合羽 mit den Kappa 河童 als Wasserkobolden miteinander zu tun hat. Die Genossenschaft zur Förderung der Tokyoter Kappabashi-Geschäftsstraße [Tōkyō Kappabashi Shōtengai Shinkō Kumiai 東京合羽橋商店街振興組合] macht kein Geheimnis daraus, dass sie die Popularität des modernen Wasserkoboldes als zu hundert Prozent positiv besetztes und deshalb beliebtes Maskottchen zu Werbe- und Verkaufsförderungszwecken nutzen möchte. Da zumindest ein grobes Bild über Wasserkobolde als Allgemeinwissen gilt, ist die Kappa Kawatarō-Statue auch Bestandteil eines von 23 offiziellen Geschichts- und Kultur-Spazierwegen [Rekishi to Bunka no Sanpodō 歴史と文化の散歩道] in Japans Hauptstadt.

Kappa symbolisieren Fluch und Segen von Wasser. Mit Wasser kann Durst und Feuer gelöscht, können Nahrungsmittel wie Reis, Gemüse und Obst angebaut werden. Kappa sollen gemäß Überlieferungen aus Mitleid und Empathie beim Löschen von Tempelbränden sowie beim Dammbau zum Beispiel in der Gegend zwischen Asakusa und Ueno in Edo geholfen haben. Gemäß einer etwa 200 Jahre alten anekdotischen Geschichte aus dem frühen 19. Jahrhundert soll es eine Verbindung zwischen der heutigen Kappabashi-Hauptstraße [Kappabashi Hondōri かっぱ橋本通り] und hilfsbereiten und tatkräftigen Wasserkobolden gegeben haben; ein Händler für Regenkleidung [Kappa 合羽] namens Kihachi Kappaya 合羽屋喜八 soll in der Ära Bunka (1804–1818) während der Amtszeiten von Kaiser Kōkaku 光格天皇 (1771–1840) und Kaiser Ninkō 仁孝天皇 (1800–1846) – militärischer Oberbefehlshaber war damals der Tokugawa-Shōgun Ienari 徳川家斉 (1787–1837) – in der Kappabashi-Gegend den Kanalbau zur Verhinderung von Überschwemmungen mit eigenen finanziellen Mitteln erheblich gefördert haben.

In der Nähe des heutigen Flusses Sumidagawa gab es nämlich während der Edo-Zeit noch viel Sumpflandschaft. Kihachi übernahm die Instandhaltungskosten für einen heute nicht mehr existenten Wasserweg namens Shinhorigawa [auch Shinborigawa 新堀川]. Ihm mangelte es jedoch während der kritischen Regenzeit an Arbeitskräften. Die Wasserkobolde sollen aus Mitleid und für den guten Zweck über Nacht den Kanalbau fertiggestellt haben, so dass die Bewohner der Gegend fortan weniger unter Überschwemmungen leiden mussten. Aus diesem Anlass werden noch heute im nahen Sōgen-Tempel [Sōgen-Ji 曹源寺, umgangssprachlich auch Kappa-Tempel (Kappa-Dera かっぱ寺) genannt], der zur zen-buddhistischen Sōtō-Schule gehört, den Wasserkobolden als verehrten Gottheiten [Kami 神] ihre Leib- und Magenspeise Gurken als Opfergabe dargeboten. Ähnlich wie sich die römisch-katholische Kirche Notre-Dame de Paris im Besitz eines Splitters aus dem Holzkreuz Jesu wähnt und der Tempel des Goldenen Pavillons [Kinkaku-Ji 金閣寺, offiziell Rokuon-Ji 鹿苑寺, wörtlich Rehgarten-Tempel] in Kyōto einen Knochen Buddhas sein eigen nennt, so hält auch der Sōgen-Tempel angeblich eine Kostbarkeit seiner verehrten Gottheit: eine mumifizierte Kappa-Extremität.

Auch dem oben bereits erwähnten, 1962 in Tōkyō verstorbenen „Vater der japanischen Volkskunde“ namens Kunio Yanagita, wird in seinem Geburtsort kreativ und stilecht sowie kultur- und wirtschaftsfördernd gedacht. So haben die Stadtverwaltung und die lokale Wirtschaft von Fukusaki [Fukusaki-Chō 福崎町, ca. 19.000 Einwohner] unweit der Nagusa-Wasserfälle [Nagusa no Taki 七種の滝] in der Präfektur Hyōgo, zu Ehren des landesweit berühmten Volkskundlers und zur Förderung des lokalen Tourismus den ganzen Ort mit Nachbildungen von zahlreichen Fabelwesen [Yōkai 妖怪] der japanischen Geistesgeschichte bestückt, die den Besucher auf zahlreichen Sitzbänken sowie an unerwarteten Orten erwarten. So tauchen im Tsujikawayama-Park [Tsujikawayama Kōen 辻川山公園] die beiden rötlichen Kappa-Brüder Gatarō ガタロウ und Gajirō ガジロウ alle fünfzehn Minuten aus einem Teich auf. Der jüngere Kappa Gajirō kennt sogar geheime unterirdische Tunnel, die den Park mit dem Fluß Ichikawa 市川 sowie mit einer zylinderartigen Wassersäule auf dem Bahnhofsvorplatz in Fukusaki verbinden und begrüßt die ankommenden Besucher und verabschiedet sie auch stilecht.

Kappa finden also bis in die Gegenwart ihren Niederschlag in Literatur, Kunst, Musik, Film, Fernsehen, Parks, Pilgerpfaden und Spazierwegen, Produktnamen und Produktwerbung als positive, freundliche und hilfsbereite Maskottchen für Tourismus, Umweltschutz, Wasserqualität sowie Brandschutz, kind- und familiengerecht als ein Fabelwesen (fast) zum Anfassen.

Zur Gurke als Lieblingsspeise des Kappa

Wäre nur noch die Frage zu klären, warum ausgerechnet die Garten- oder Salatgurke [lat. Cucumis sativus, jp. Kyūri 黄瓜・木瓜・胡瓜] die Leib- und Magenspeise des Wasserkobolds [Kappa 河童] (geworden) ist? Diese Frage steht zusammen mit einer Antwort bis heute in japanischen Kinderbüchern für bildungsbeflissene Eltern und insbesondere ihre Kinder, die sich auf Eintrittsprüfungen für bessere Bildungseinrichtungen vorbereiten sollen. Eine darin bis in die Gegenwart verbreitete und deshalb zum Allgemeinwissen gehörende Hypothese besagt, dass die Vorliebe der Kappa für Gurken erstens auf die Verehrung des „Stierköpfigen Himmelskönigs“ Gozu Tennō 牛頭天王 im Yasaka-Schrein [Yasaka-Jinja 八坂神社] in Kyōto – zur Abwehr von Seuchen – und zweitens auf die Ähnlichkeit des Yasaka-Schreinwappens mit dem Querschnitt einer aufgeschnittenen Gurke [Mokkō-Mon 木瓜紋, wörtlich „Gurken-Wappen“] zurückgehen soll; denn die reinjapanische Lesung von Mokkō 木瓜 lautet Kiuri, und von Kiuri ist es für populäre japanische Wortspielerei nicht weit bis Kyūri 木瓜: Gurke. Hier endet das Kinderbuch (Seitōsha Henshūbu 2017, S. 192, Nr. 328).

Tatsächlich nennt der Yasaka-Schrein zwei Wappen sein eigen, die man auch auf der Schrein-Homepage einsehen kann. Das eine der beiden Schreinwappen ist das linksdrehende Dreifach-Tomoe [Hidari Mittsu Tomoe 左三つ巴]. Das Tomoe-Symbol wird in verschiedenen Varianten in Ostasien allgemein mit Wasser in Verbindung gebracht, weil es der Wirbelbewegung eines Wasserstrudels [Mizu no Uzu 水の渦] ähnelt. Das Zeichen wurde jahrhundertelang im japanischen Volk benutzt, um das allgemeine Bewusstsein für Brandschutz zu stärken und auch spirituell vor Feuer zu schützen. Man findet es in Japan in ungezählten Familien-, Schrein- und Tempelwappen sowie als Firmen- oder Vereinslogo und last but not least als Verzierung auf der Bespannung von japanischen Trommeln [Wadaiko 和太鼓]. Die drei archaisch anmutenden krummjuwel- oder kommaförmigen Perlen [Magatama 勾玉] sind als Triskele radialsymmetrisch gleichmäßig angeordnet und wirken dynamisch.

Das oben zitierte Kinderbuch liegt bei der Interpretation des anderen Schreinwappens insofern falsch, als dieses rechte, repräsentative Hauptwappen keine Garten- oder Salatgurke, sondern in Wirklichkeit eine Zuckermelone [lat. Cucumis melo var. makuwa, jp. Makuwauri マクワウリ・真桑瓜] darstellt. Korrekt ist an der kindgemäßen und in der Bevölkerung weit verbreiteten Darstellung wahrscheinlich zumindest, dass Gläubige wegen der subjektiv empfundenen Ähnlichkeit mit dem Querschnitt einer aufgeschnittenen Gurke und wegen der alternativen Lesungsmöglichkeit des Schreinwappennamens irgendwann im Spätmittelalter oder in der Frühmoderne damit begonnen haben, dem Stierköpfigen Himmelskönig [Gozu-Tennō 牛頭天王] als Opfergabe [Osonaemono 御供え物] Gurken darzubieten.

Japan ist ein Land mit zahlreichen Festen [Matsuri 祭り]. Alljährlich werden im ganzen Land Matsuri im dreistelligen Bereich veranstaltet. Das größte der „Drei großen Matsuri Japans“ [Nihon Sandai Matsuri 日本三大祭り] ist das Gion-Fest [Gion-Matsuri 祇園祭] des Yasaka-Schreins, das alljährlich unter Anteilnahme zahlreicher in- und ausländischer Touristen vom 1. bis 31. Juli feierlich begangen wird. Dank Shintoismus, Buddhismus und shintō-buddhistischem Synkretismus [Shinbutsu Shūgō 神仏習合, auch Shinbutsu Konkō 神仏混交] wurde es im Laufe der Zeit durch geistige Flexibilität und japanischen Pragmatismus möglich, im Gion-Schrein (656–1868, seit Ende Mai 1868 Yasaka-Schrein) folgende Gottheiten gleichsam ineinszusetzen: Gion Daimyōjin [Große Leuchtende Gion-Gottheit] = Gozu-Tennō [Stierköpfiger Himmelskönig] = Mutō(shin) oder auch Mutō no Kami [Gottheit für die Abwehr von Epidemien] = Susanoo no Mikoto [Gottheit des Windes und des Meeres] = Bishamon [Gott des Krieges, Beschützer vor Dämonen und Krankheiten] = Yakushi Nyorai [Buddha der Heilung].

Der Yasaka-Schrein war ursprünglich von Kaiserin Saimei 斉明天皇 (594–661) während ihrer zweiten Amtszeit im Jahr 656 n.u.Z. – acht japanische „Töchter des Himmels“ respektive „Himmlische Herrscherinnen“ [Josei Tennō 女性天皇, auch Jotei 女帝] haben in der Vormoderne während zehn von bis dato 126 Tennō-Herrschaften ihren Mann respektive ihre Frau gestanden – als Gion-Schrein [Gion-Jinja 祇園神社 respektive Gionsha 祇園社] oder auch Anstalt zum Dank an die Gottheiten [Kanshin’in 感神院] gegründet worden. Wenn man Gozu Tennō mit dem griechischen Minotauros verwechselte, läge man übrigens vom äußeren Erscheinungsbild her so falsch nicht. Der Gozu Tennō wurde im Laufe der Zeit, wie oben angedeutet, mit verschiedenen Gottheiten gleichgesetzt beziehungsweise als spirituelle Wesenheiten verglichen: Erstens mit Susanoo, der Gottheit des Windes und des Meeres, zugleich Bruder der Sonnengöttin Amaterasu und des Mondgottes Tsukuyomi no Mikoto, alle drei Kinder der zentralen Urgottheiten Izanagi und Izanami gemäß offizieller Schöpfungsmythologie Japans; zweitens mit der Gottheit Mutō, Mutōshin oder auch Mutō no Kami, zuständig für die Abwehr von Epidemien, auch ineinsgesetzt mit Bishamon, Gott des Krieges, Beschützer vor Dämonen und Krankheiten, Wächter des Nordens und last but not least in der allgemeinen japanischen Religion zugleich einer der sieben Glücksgötter (Shichi Fukujin); und drittens mit Bhaisajyaguru, dem Buddha der Heilung von Krankheiten, japanisch Yakushi Nyorai. Der Legende nach soll die Verehrung des Wind- und Meeresgottes [Susanoo no Mikoto 素戔嗚尊] auf den Besuch des koreanischen Gesandten Irishi [伊利之] aus dem Vereinigten Reich Silla in dem Dorf Yasaka im Bezirk Otagi in der Provinz Yamashiro [Yamashiro-no-Kuni Otagi-Gun Yasaka-Gō 山城国愛宕郡八坂郷] zurückgehen.

Wie dem auch sei, der Yasaka-Schrein ist untrennbar mit dem Gion-Fest verbunden, das bis zur Gegenwart im Juli begangen wird, ursprünglich in erster Linie zur Abwehr von Seuchen. Am wichtigsten ist dabei die Woche zwischen dem 17. und 24. Juli, wenn der eingeschreinte Geist des Gozu Tennō in einem tragbaren, sänftenartigen, reich geschmückten Schrein in Miniaturformat [Mikoshi 神輿], durch die Straßen von Kyōto getragen wird. Lange Zeit glaubte das Volk, dass der „Stierköpfige Himmelskönig“ wie die Kappa im nahen Fluss Kamogawa wohnte. Deshalb war es in der Woche vom 17. bis zum 24. Juli in dieser Gegend der Kaiserlichen Hauptstadt verboten, Gurken zu essen, damit der/die Kappa als Abkömmlinge des „Stierköpfigen Himmelskönigs“ Gozu Tennō keine Seuchen verbreiten würden; der Kappa war für den Gläubigen ein Kind des Gozu Tennō [牛頭天王 = Susanoo] und der weiblichen Gottheit Kamuōichi Hime [神大市比売] und zugleich der ältere Bruder von Toshigami [auch Ōtoshi 大歳神 oder Ōtoshi no Kami], einer Shintō-Schutzgottheit für Körner- und Hülsenfrüchte auf den Feldern, vor allem Reis, Gerste, Bohnen sowie Rispen- und Kolbenhirse.

In der japanischen Gegenwartssprache existiert neben „Kappa no kawanagare“ 河童の川流れ [„Selbst ein Wasserkobold wird manchmal von der Flussströmung fortgeschwemmt.“ im Sinne von „Niemand ist vollkommen.“] noch eine weitere sprichwörtliche Redensart im Zusammenhang mit dem Wasserkobold alter Prägung. Nämlich: Oka ni agatta Kappa 陸に上がった河童. Das bedeutet wörtlich etwa „Ein an Land gekommener Wasserkobold.“ und kann im kulturell übertragenen Sinne im deutschen Kontext übersetzt werden mit: „Schuster, bleib bei deinem Leisten!“

Literatur
• Hachinohe-shi Hakubutsukan 八戸市博物館 (Hg.) (2016): „Kappa-ten“ tenji zuroku 「かっぱ展」展示図録 [Illustriertes Buch zur Kappa-Ausstellung]. Heisei Nijūhachi Nendo Tokubetsuten 平成28年度特別展 [Kappa-Sonderausstellung des Städtischen Museums von Hachinohe im Jahr 28 der Ära Heisei]. Hachinohe: Hachinohe Hakubutsukan.
• Kokuritsu Rekishi Minzoku Hakubutsukan 国立歴史民俗博物館 [National Museum of Japanese History, kurz Rekihaku 歴博] und Tsunemitsu, Tōru 常光徹編 (Hg.) (2014): Kappa to wa nani ka 『河童とはなにか』 [Was sind Kappa?]. Rekihaku Fōramu, Minzoku Tenji no Shinkōchiku 【歴博フォーラム 民俗展示の新構築】 [Schriftenreihe: Rekihaku-Forum, Neukonzeption von Ausstellungen über (Geschichte und) Volksbräuche]. Tōkyō: Iwata Shoin 岩田書院.
• Seitōsha Henshūbu 西東社編集部 (Hg.) (2017): Kappa no kōbutsu ga kyūri na no wa dōshite? 『河童の好物がキュウリなのはどうして?』 [Warum sind Gurken die Lieblingsspeise des Kappa?]. In: Seitōsha Henshūbu (Hg.): Kodomo to tanoshimu Nihon omoshiro zatsugaku gohyaku 「子どもと楽しむ日本おもしろ雑学500」 [500 Lektionen und Spaß beim Erwerb von breitem Allgemeinwissen über Japan zusammen mit dem Kind]. Tōkyō: Seitōsha 西東社, S. 192, Nr. 328.
• Yanagita, Kunio (Hg.) und Ronald A. Morse (Übers.) (2008): The Legends of Tono [Original: Tōno Monogatari 「遠野物語」]. Lanham, Maryland; Boulder; New York; Toronto; Plymouth, UK: Rowman & Littlefield.

Schön wie eine Edelpfingstrose

「立てば芍薬、座れば牡丹、歩く姿は百合の花」
Tateba shakuyaku, suwareba botan, aruku sugata wa yuri no hana
She has the charming grace of a peony when standing, the harmonious appearance of a tree peony when sitting, and the elegant figure of a lily when walking.
Im Stehen anmutig wie eine Pfingstrose, im Sitzen ebenmäßig wie eine Strauchpäonie, beim Gehen liebreizend wie eine Lilienblüte.

Löcher im Chrysanthemenvorhang

Zank und Zoff im japanischen Kaiserhaus: Unter jedem Dach wohnt ein Ach
Gerhard Krebs entdeckt Löcher im Chrysanthemenvorhang

Das Beste hienieden
Des Hauses Frieden
(Anonymus)

我が家の平穏
この世の平安
(作者不詳)

Zwist und Zwietracht zwischen zwei, drei, vier zufälligerweise während der japanischen Moderne gegen Ende der Meiji- (1868–1912) und zu Beginn der Taishō-Zeit (1912–1926) in einer ganz bestimmten Reihenfolge in den höchsten Hochadel hineingeborenen Brüdern eigennamens Hirohito 裕仁 (1901–1989), Yasuhito 雍仁 (1902–1953), Nobuhito 宣仁 (1905–1987) und Takahito 崇仁 (1915–2016) – das zweite sinographische Logogramm der obengenannten Eigennamenkomposita [仁 (jp.) Jin, Ni, Nin, in japanischen Eigennamen sind 22 Lesungen möglich, darunter „-hito“; (ch.) Rén = Mitgefühl und Mitmenschlichkeit als höchste der fünf konfuzianischen Kardinaltugenden und Regeln des menschlichen Zusammenlebens] zeigt, dass eine vom ostasiatischen Geist der Humanitas durchdrungene Haltung im östlichsten Ostasien auch und gerade für die nobelste Nobilität als wichtig und wünschenswert angesehen wurde und wird – konnten möglicherweise schon relativ früh und leicht entstehen und zu robust-langlebigem und balladeskem Backstage-Bruderzwist [Kyōdaigenka 兄弟喧嘩] mit eingestreuten Dramen und Komödienstadel-Einaktern im adeligen und militärischen Milieu führen, weil nach den im Jahr 22 der Ära Meiji (1889) festgezurrten Regeln eines vaterrechtlichen Erstgeburtsrechtes (agnatische Primogenitur) [Kōi Keishō no Dankei Danshi no Gensoku 皇位継承の男系男子の原則] der männliche Erstgeborene, also schlicht und schlechterdings grundsätzlich der Ältere den Vorzug für die Nachfolge auf so etwas High-End-Edel-Exklusiv-Einmaliges wie den Thron des Tennō 「天皇」 („Kaiser“) [japanische Synonyme sind Tentei 天帝 = Himmlischer Herrscher, Tenshi 天子 = Sohn des Himmels, Kimi きみ = Himmelsfürst sowie Kunshu 君主 = Erbmonarch, oberster Fürst] zugestanden beziehungsweise auferlegt bekam.

Der japanische Herrschertitel „Tennō“ 「天皇」 (ch. Tiānhuáng) sowie der endonymische Ländername „Nihon“ 「日本」 (ch. Rìběn) – ostentativ-patriotischer und vollmundiger auch „Nippon“ (der Text der Fangesänge rezenter Fußballweltmeisterschaften besteht aus diesem einen Wort) – beziehungsweise „Nihonkoku“/„Nipponkoku“ 「日本國」 [ch. Rìběnguó, wörtlich „Sonnenursprungsreich“ oder raffiniert-romantisierend „Land der aufgehenden Sonne“] sind im Altertum aus der geistigen und materiellen Auseinandersetzung mit dem Kaiserreich der chinesischen Mittellande [ch. Zhōngguó, jp. Chūgoku 中國, poetisch „Reich der Mitte“] hervorgegangen und wurden im 7. Jahrhundert n.u.Z. in Japan nach innen und außen proaktiv eingeführt und offensiv verbreitet. Das couragiert-culturkaempferische Credo der beiden damaligen Neologismen Tennō und Nihon/Nippon ist wie die zwei Seiten derselben magnifik-martialischen Medaille; der japanische „Himmlische Herrscher“ – gemäß überlieferten chinesischen Göttersagen war ein in Japan als [recte:] „Tenkō“ 「天皇」 bezeichnetes übernatürliches Wesen unter den Welterschaffern die höchste Gottheit und wurde zudem in der taoistischen „Lehre des Weges“ [ch. Dàojiào, jp. Dōkyō 道教] verehrt, was die finale Entscheidung gegen den noch gar nicht so alten japanischen „Großkönig“ [jp. Ōkimi/Daiō, ch. Dàwáng 大王] der Hügelgräber- (ca. 300–ca. 600) und der Asuka-Zeit (ca. 593–710) und für den neuen „Himmlischen Herrscher“ der Nara-Zeit (710–794) enorm erleichterte – war ein Gegenentwurf zum chinesischen „Erhabenen Gottkaiser“ [ch. Huángdì, jp. Kōtei 皇帝], um als royaler Underdog und imperialer Latecomer eine geistig-spirituell-kulturelle Gleichrangigkeit nach innen und außen zu konstruieren, zu legitimieren und insolenterweise schon jetzt auf Augenhöhe zu insistieren als Zwischenschritt auf dem Weg zu einer offenbar schon früh angedachten militärischen Dominanz und Expansion in spe.

Denn aus der Perspektive eines Erhabenen Gottkaisers der chinesischen Mittellande war das nur auf dem Seeweg zugängliche, bergige Inselreich im Meer als „Land der Zwerge“ [ch. Wōguó, jp. Wakoku, kor. Waeguk 倭國] jahrhundertelang ein peripheres, potenzielles Vasallenreich von kleinen, krummrückigen „Ostbarbaren“ [ch. Dōngyí, kor. Dongi 東夷, auch als Kollektivum für alle Nicht-Han-Chinesen – und -Chinesinnen – gebraucht] mit unpardonierbar langen Langbögen und deren oberster Anführer und Zwergenmonarch [ch. Wōwáng, jp. Waō 倭王] mindestens bis zum 7. Jahrhundert ein unzivilisierter, irrelevanter, subalterner, insularer „König“ [ch. Wáng, jp. Ō 王] am östlichsten Rand der einigermaßen bekannten Welt. In der euphemistischen Innen- und Binnensicht figurierte Japan – gefühlt seit Äonen und in aeternum – als das Land der Berge, der Libellen, der ungezählten Inseln, der sumpfigen Schilfebenen, der fruchtbaren, goldgelben Getreideähren, der großen Harmonie und des Friedens, der aufgehenden Sonne und der zahllosen Gottheiten/Götter [Yamato 大和・倭, Yamato no Kuni 大和國, Wakoku 倭國・和國, Washū 和州, Akitsushima/Akizushima 秋津島・秋津洲, Ōyashimaguni 大八島國・大八洲國・大八嶋國, Ōyashima no Kuni 大八洲國・大八島國・大八嶋國, Ōyamato Toyoakitsushima/Toyoakizushima 大倭豐秋津島・大日本豐秋津洲, Toyoashihara no Mizuho no Kuni 豐葦原の瑞穂の國, Nihon(koku)/Nippon(koku) 日本[國], Shinkoku 神國, Shinshū 神州] und ähnlich Anheimelndes mehr.

Das Schriftzeichen 「倭」 [jp. Wa, ch. Wō, kor. Wae = Zwerg(e), Japan] wurde nach innen und außen mitnichten stillschweigend, sondern mit diplomatischem Geklingel, Geklapper und Getöse gegen das Schriftzeichen 「和」 [jp. Wa, ch. Hé, kor. Hwa = Harmonie, Frieden, Japan] ausgetauscht. Das galt auch für den zusätzlichen, neuen, offiziellen Ländernamen „Land der aufgehenden Sonne“/„Sonnenursprungsreich“ [Nihon(koku)/Nippon(koku) 日本[國]]. Die erste günstige Gelegenheit zur diplomatischen Demonstration einer imaginierten aristokratischen Äquivalenz und eines bilateralen Äquilibriums auf absoluter Augenhöhe, obwohl zu jener Zeit eine kulturelle Imbalance im geistigen Überbau allfällig und unabweisbar vorgelegen hatte, ergab sich anno domini 607/608 für Ono no Imoko, den Gesandten von Kaiserin Suiko (554–628) [Suiko-Tennō 推古天皇, Regierungszeit 592–628, offiziell 33. Tennō], die historisch erste von bis dato acht japanischen „Töchtern des Himmels“ beziehungsweise „Himmlischen Herrscherinnen“ [Josei Tennō 女性天皇, auch Jotei 女帝], und zwar anläßlich eines offiziellen Besuches in der damaligen Millionenstadt Chang’an (Xi’an) am Hof von Kaiser Yangdi (569–618), dem letzten „Sohn des Himmels“ [ch. Tiānzǐ, jp. Tenshi 天子] der Sui-Dynastie (581–618). Der Anfang seines Kreditivs von Kaiserin Suiko an den Erhabenen Gottkaiser und Sohn des Himmels der chinesischen Mittellande soll auf einer Idee des anscheinend alert-abgefeimten japanischen Kronprinzen Shōtoku (574–622) [Shōtoku Taishi 聖徳太子] beruht haben und begann bewusst und absichtsvoll mit einem affrösen Affront: „Vom Sohn des Himmels, wo die Sonne aufgeht [Reich des Kaisers im Osten = Japan/Yamato no Kuni/Nippon/Nihon etc. = Land des Lichts, implizit Land auf dem aufsteigenden Ast], an den Sohn des Himmels, wo die Sonne untergeht [Reich des Kaisers im Westen = China/Zhōngguó/Reich der Mitte etc. = Land der Dunkelheit, implizit Land auf dem absteigenden Ast], möge die Absenz von Gebrechen vorwalten etc. pp.“ [„rì chū chù tiān zǐ zhì shū rì méi chù tiān zǐ wú yàng yún yún“ 「日出處天子致書日沒處天子無恙云云」]. Dieses kurze Schlaglicht auf einen kleinen Ausschnitt aus der langen und abwechslungsreichen Geschichte der japanisch-chinesischen Beziehungen gehört zum historischen Grund- und Allgemeinwissen und kollektiven Gedächtnis nicht nur des adulten Homo sapiens in Ostasien, weil es mündlich und schriftlich verbreitet und in Bildungseinrichtungen, Büchern, Zeitungen, Zeitschriften und Comics sowie per Radio, Television und mittlerweile auch im Internet in jeder Generation reproduziert wurde und wird. Wie viele kostbare Vasen nach der Lektüre des japanischen Beglaubigungsschreibens wegen der alsdann gleichsam vorhersagbaren Gefühlsaufwallung des Erhabenen Gottkaisers im Affekt devastiert wurden, ist nicht überliefert. War das Wortspiel „Land der aufgehenden Sonne“ versus „Land der untergehenden Sonne“ schon starker Tobak, so stellte die impertinente Anmaßung und Übernahme des Titels „Himmlischer Herrscher“ respektive „Sohn des Himmels“ durch den König der zwergenhaften, krummrückigen Ostbarbaren einen a fortiori affröseren Affront dar, weil es nach damaligem chinesisch-imperialem Selbstverständnis unter dem Himmel, das heißt weltweit faktisch überhaupt nur einen einzigen „Sohn des Himmels“ gab und geben konnte. Mit der japanesischen Retourkutsche vom „Land der aufgehenden/untergehenden Sonne“ retournierte Nippon/Nihon das pejorativ-diskriminierende Etikett und die schinösische Sottise für Japanesien als das „Land der Zwerge“ [ch. Wōguó, jp. Wakoku 倭國]. Die offiziellen Beziehungen zwischen Japanesien und Schinösien waren also schon lange vor den 1930er und 1940er Jahren, recht eigentlich betrachtet von Anfang an mehr oder weniger durchwachsen und leidlich bis delikat.

Kaiser – und Kaiserinnen – sind als professionelle Population und aristokratische Art welt- und zivilisationsgeschichtlich sowie kulturübergreifend eine tendenziell von Extinktion bedrohte Subspezies unter den Trockennasenprimaten. Nicht zuletzt deshalb war und ist eine relative Surplusprinzenpopulation erwünscht, ja nachgerade obligat. Der Zweitgeborene, Prinz Chichibu (1902–1953) [Chichibu no Miya Yasuhito Shinnō 秩父宮雍仁親王], war mit etwa einem Jahr geburtszeitlich am knappesten am Kaiserthron vorbeigeschrammt. Hatte der Drittgeborene, Prinz Takamatsu (1905–1987) [Takamatsu no Miya Nobuhito Shinnō 高松宮宣仁親王], schon einen Altersabstand von etwa vier Jahren, so belief dieser sich beim Viertgeborenen, Prinz Mikasa (1915–2016) [Mikasa no Miya Takahito Shinnō 三笠宮崇仁親王], auf fast fabulöse eineinhalb Jahrzehnte. Als Nachzügler und Nesthäkchen wurde er als einziger nicht in der Meiji-Zeit, sondern in der vorgeblich freigeistigeren Taishō-Zeit geboren. Welch unikale Position den drei jüngeren brüderlichen Prinzen da entgangen ist, wird allen Betroffenen früher oder später mehr oder weniger schmerzlich bewusst geworden sein, zumal die Differenz der Alternative über ein Menschenleben hinweg täglich spür- und fühlbar war, weil sie gelebt werden musste: Vater des Vaterlandes (Pater Patriae) oder Stille Reserve (Riserva Occulta) im Wartestand, Ersatzreserve I, II und III auf Abruf, lebenslang in Diensten des ältesten Bruders und des Kaisertums japanischer Prägung.

Das Japanische Kaiserhaus [Kōshitsu 皇室] respektive die Kaiserliche Familie [Tennōke 天皇家] existierte lange gleichsam verborgen hinter einem „undurchdringlichen ‚Chrysanthemenvorhang‘“ [Kiku no Kāten 菊のカーテン]. Dieser subtil ironisierende Begriff soll erstmals von Prinz Mikasa, dem jüngsten der drei leiblichen Brüder des Shōwa-Kaisers Hirohito 裕仁 (1901–1989) [posthum Shōwa-Tennō 昭和天皇, Regierungszeit 1926–1989, offiziell 124. Tennō], gegen Mitte des 20. Jahrhunderts benutzt worden sein. Zierchrysanthemen waren nämlich vom Mittelalter bis zur Moderne ein beliebtes Motiv für Siegel, Lampen, Vorhänge, Süßigkeiten, Altargerätschaften und Dekorationen aller Art nicht nur beim Hof- und Schwertadel, sondern auch bei Händlern und Handwerkern sowie Shintō-Schreinen und buddhistischen Tempeln und somit letztlich im ganzen Volk. Aber erst während der Meiji- und gegen Ende der Taishō-Zeit wurde eine stilisierte Chrysantheme für das Siegel des Kaisers und die Reichsstandarte definiert, exklusiv reserviert und eine missbräuchliche Verwendung – bis auf den heutigen Tag und in aeternum – unter Strafe gestellt. Laut Staatsanzeiger [Kanpō 官報] vom 21. Oktober 1926 ist das heute weltbekannte Kaiserliche Siegel- und Wappensymbol eine gefüllt blühende 16-blättrige Chrysanthemenblüte mit doppelter Blütenhülle in der Vorderansicht [Kiku no Gomon 菊の御紋, offiziell Jūrokuyō Yae Omotegiku 十六葉八重表菊].

Mit dem hinteren Teil des Kompositums („-vorhang“) werden die japanischen „Imperials“ – ein Vergleich mit der „Firma“ der britischen „Royals“ aus dem Hause Windsor verböte sich nicht erst seit dem Erscheinen der partiell penetrant priapeischen Autobiographie von Prinz Harry selbstverständlich von selbst – und der ganze Kaiserhof gleich mit hauchzart als ein professionelles Theaterensemble insinuiert. Als imperialer Insider musste Prinz Mikasa es schließlich wissen. Die moderne Monarchie Japans war und ist ein Gesamtkunstwerk sui generis und erschien aus seinem Blickwinkel im übertragenen Sinne eventuell wie ein unvollendeter Bühnenzyklus aus verschiedenen Genres eines Mehrspartentheaters. Womöglich dachte er eingedenk seiner persönlichen Erfahrungen mit dem Kaiserhof und der zeitgenössischen Unterhaltungsindustrie bei der Wortprägung kraft seiner Imagination auch einfach nur an ein leicht aus der Zeit gefallenes, frühmodernes Kabuki-Theaterstück kombiniert mit operettenhaftem Tschingderassabumm in einer durch die industrielle Revolution und konkurrierende imperialistische Nationen sich rasch wandelnden, immer moderner werdenden Zeit. Der lange als schallschluckend und blickdicht geltende Chrysanthemenvorhang wurde von den Webern, Strickern, Posamentierern und Färbern des Ministeriums für den Kaiserlichen Haushalt [Kunaishō 宮内省, gegründet im 7. Jh. n.u.Z., seit 1947 ein signifikant redimensioniertes Amt (Kunaichō) unter der langleinigen Oberaufsicht des jeweiligen Premierministers mit gegenwärtig rund eintausend Festangestellten] hergestellt und von seinen Seilern und Bühnenarbeitern bewegt. Immerhin waren für dieses Ministerium auf seinem Höhepunkt mehr als sechstausend Festangestellte tätig. Vermutlich hatten die schon im frühmodernen Kabuki hochgradig ausgefeilte Bühnentechnik mit Vor-, Haupt-, Hinter-, Ober-, Unter- und Hebebühnen sowie Personenliften und die hohe Kunst der Charakterdarstellung, die zugleich Populärkunst war und ist, Prinz Mikasa zu dieser vigilant-eleganten Wortschöpfung angeregt.

Der Verfasser des Standardwerkes Spannungen im japanischen Kaiserhaus. Prinzen als Oppositionelle in Krisen- [1930–1937], Kriegs- [1937–1945] und Besatzungszeit [1945–1951] 1930–1951 schildert auf der quellengesättigten Grundlage langjähriger Forschungen zur neueren japanischen Militär- und Diplomatiegeschichte unaufgeregt und quellenkritisch reflektiert, „wie es eigentlich gewesen“ (L. Ranke). Möglich geworden ist dieses Prinzen-Buch zu den vier Söhnen [Jikimiya 直宮] von Kronprinz/Kaiser Yoshihito 嘉仁 (1879–1926) [posthum Taishō-Tennō 大正天皇, Regierungszeit 1912–1926, offiziell 123. Tennō] im engeren Sinne – der Begriff Jikimiya wird per definitionem eigentlich weiter verstanden und umfasst alle direkten Blutsverwandten des Kaisers, wie z.B. seine leiblichen und ehelichen Kinder sowie Geschwister – sowie den Prinzen aus elf im Jahr 1947 abrogierten Häusern Kaiserlicher Nebenlinien im weiteren Sinne [Kyū Miyake 旧宮家], weil vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg im Laufe der Jahre und Jahrzehnte eine zunehmend kritische Masse insbesondere von japanischsprachigen Tagebüchern [Nikki 日記] – darunter Diarien von mittlerweile verblichenen Kaiserlichen Prinzen –, Erinnerungen (Memoiren), Notizen, Biographien und Autobiographien sowie Dokumentensammlungen und Chroniken zum Beispiel von ehemaligen Premierministern und Ministern, Generälen und Admiralen, Lordsiegelbewahrern, Kammer- und Oberkammerherren, Diplomaten sowie Sekretären und Verbindungsmännern von zeitgeschichtlich relevanten historischen Persönlichkeiten erschienen ist. Der opake Chrysanthemenvorhang wurde zwischen der Meiji- und der gegenwärtigen Reiwa-Zeit (2019–) nicht miteins transluzent, aber „zum Glück für den Historiker“ erweist er sich nicht zuletzt wegen der in den letzten Dekaden abundant edierten Diarien als so „löchrig“ (Vorbemerkung), dass sich der Autor des Buches zunehmend animiert sah, sich den Kaiserlichen Prinzen im engeren Sinne [Jikimiya 直宮] sowie den Kaiserlichen Prinzen im weiteren Sinne [Kyū Miyake 旧宮家] näher zu widmen.

Die elf Familien der Kaiserlichen Prinzen i.w.S., die nicht Brüder des aktuellen Kaisers waren, lauteten im Einzelnen: Fushimi no Miya 伏見宮, Higashifushimi no Miya 東伏見宮, Yamashina no Miya 山階宮, Kuni no Miya 久邇宮, Kitashirakawa no Miya 北白川宮, Kan’in no Miya 閑院宮, Kaya no Miya 賀陽宮, Higashikuni no Miya 東久邇宮, Nashimoto no Miya 梨本宮, Asaka no Miya 朝香宮 und Takeda no Miya 竹田宮. Sie wurden nach dem Zweiten Weltkrieg, Mitte Oktober 1947, auf einen Schlag zu „gewöhnlichen Bürgern“ [Ippan Shimin 一般市民] erklärt, mit allen – nicht zuletzt auch steuerrechtlichen – Konsequenzen. Diese neue »Lean Monarchy« mit einem Numerus clausus für die Nobilität bedeutete weniger apanagierte Aristokraten und weniger exorbitant-expensives Brimborium und Konzentration auf den Kern einer Kaiserfamilie und eines etwas weniger numinosen Nationalsymbols im Zentrum: den alten und zugleich neuen Tennō, nun als Symbolkaiser. Der nach dem Pazifischen/Großostasiatischen Krieg bis auf die Kaiserfamilie abgeschaffte Adel ging seiner nicht zuletzt auch geldwerten Privilegien wie der Steuerfreiheit verloren. Auf Liegenschaften wie Landsitze und -häuser, Stadtvillen und Gärten mussten nun Grundsteuern gezahlt werden, der Betrieb und das Dienstpersonal waren selbst aufzubringen, so dass der Ex-Adel zum Teil gezwungen war, importierte Luxusautos und angehäufte Kunstschätze zu veräußern sowie Bündnisse und Bünde der Ehe mit dem Geldadel einzugehen.

Der im Werktitel angegebene Untersuchungszeitraum im engeren Sinne (1930–1951) erstreckt sich im Hauptteil faktisch und sinnvollerweise im mittelweiten Sinne von der Meiji-Zeit (1868–1912) über die Taishō- (1912–1926) und die Shōwa- (1926–1989) bis hin zur Heisei-Zeit (1989–2019), definiert seit der Moderne (1868–1945) nach der Regierungs-/Amtszeit und der Regierungsdevise des jeweiligen Kaisers. Die darin zentrale Regierungsdevise der Ära Shōwa 昭和, wörtlich „Erleuchtete(r)/Leuchtende(r) Harmonie/Frieden“, wurde traditionsgemäß einem chinesischen Klassiker [ch. Shūjīng, jp. Shokyō 書經] entnommen. Diese Harmonie, dieser Friede sollte – auch nach japanischem Verständnis – dann herrschen, wenn alle Untertanen und jeder an seinem Platze seine in diesem Herrschaftsverhältnis von oben und vom beredten Zwang der Verhältnisse bestimmten Aufgaben treu und pflichteifrig erledigte. Hier dachte man in älterer Zeit in den chinesischen Mittellanden zuvörderst an die fleißigen Bauern und Handwerker auf der einen Seite und die käuflichen, aber zugleich auch tunlichst unbestechlichen höheren Beamten des Kaisers auf der anderen Seite; wie die Lotusblüten auf blauweißen Keramikvasen – ein beliebtes Antrittsgeschenk und eine versteckte Warnung des Kaisers an hohe Beamte – sollten sie zwar im Dreck gedeihen und florieren, das heißt auch mit dem gemeinen Volk bis zum Gelichter der Gesellschaft in Diensten des Kaisers verkehren, sich dabei aber gefälligst nicht schmutzig machen, kurz: Korruption unter keinen Umständen zugänglich sein. Bei der Lektüre des vorliegenden Buches schwang zwischen und hinter den Zeilen ein spiritueller Spannungsbogen im weiteren Sinne vom 7. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung bis zur jüngsten Gegenwart mit; für das Kunaishō/Kunaichō und jedes moderne Regierungskabinett seit 1885 bis dato steht qua Amt unverhandelbar und gemäß offizieller altjapanischer Akten- und Quellenlage aus dem 8. Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung – gemeint sind hier das nicht nur okkasionell, sondern präferenziell weit- und durchgehend als hehre Quelle und wortgetreu für bare Münze genommene, in klassischem Chinesisch gehaltene Kojiki (712) 『古事記』 [Aufzeichnung alter Geschehnisse] und das Nihon Shoki (720) 『日本書紀』 [Reichschronik von Japan] – felsenfest fest, dass eine direkte Blutlinie von der Sonnengöttin Amaterasu über den (putativ) ersten japanischen Kaiser Kamuyamato Iwarebiko no Mikoto 神倭伊波礼琵古命 (711–585 v.u.Z.) [posthum Jimmu-Tennō 神武天皇, Regierungszeit 660–585 v.u.Z., offiziell 1. Tennō] bis zum gegenwärtigen Symbolkaiser [Shōchō Tennō 象徴天皇] Naruhito 徳仁 (1960–) der Reiwa-Zeit (1. Mai 2019–, offiziell 126. Tennō) führt.

Der erste – sowie zweite und dritte – Kaiser der japanischen Moderne namens Mutsuhito 睦仁 (1852–1912) [posthum Meiji-Tennō 明治天皇, Regierungszeit 1868–1912, offiziell 122. Tennō] war nach der Proklamation der Meiji-Verfassung [Dai Nippon Teikoku Kenpō 大日本帝國憲法] und des Kaiserlichen Hausgesetzes [Kōshitsu Tenpan 皇室典範] vom 11. Februar 1889 – dieser Tag war seit 1873 ein offizieller Nationalfeiertag zum Gedenken an die mythologische Reichsgründung [Kigensetsu 紀元節] im Jahr 660 ante Christum respektive im Jahr 109 vor Konfuzius durch Kaiser Jimmu – nach Buchstabe und Geist der oberste spirituelle und militärische Führer des Großjapanischen Kaiserreiches [Dai Nippon Teikoku 大日本帝國], kurz: eine Galionsfigur, Ikone, Lichtgestalt und lebende Legende in einem. Das neue, mit Moos-, Patina- und Firnis-Effekt restaurierte respektive revolutionierte Kaiserhaus verkörperte in Gestalt des Himmlischen Herrschers, mit Militäruniformen aus Paris schick, schneidig und schnittig zurechtgemacht, zentrale nationalideologische Lebenslügen seiner Zeit; er schwebte fortan gleichsam als supranaturaler, familistischer und nichtleiblicher Übervater über seinen guten und treuen, höchstens noch semi-feudalen Untertanen. Unter und hinter des Kaisers honetter Reichsstandarte sollte sich die sich industrialisierende, kapitalistische und nach Maßgabe von Rüstungsfortschritten auch kontrolliert imperialistisch auftretende Nation in Krieg(en) und Frieden versammeln und jeder an seinem Platze auf der gleichen Seite an einem Strang ziehen und seinen Beitrag leisten: im Frieden studieren, arbeiten und unternehmen, im Krieg töten und sterben zu Nutz und Frommen eines sich idealiter wechselseitig bedingenden „wachsenden Wohlstandes der Nation und einer größeren militärischen Machtentfaltung“ [Fukoku Kyōhei 富國強兵]; das war neben der „Förderung von Industrie und Produktion“ [Shokusan Kōgyō 殖産興業] und „Zivilisation und Aufklärung/Fortschritt“ [Bunmei Kaika 文明開化] ein Staatsmotto der frühen Meiji-Zeit zur Revision der gegen Ende der Edo-Zeit (1603–1868) in der Bakumatsu-Phase (1853/54–1868/69) unter dem Druck westlicher Kanonenbootdiplomatie nolens volens vom Tokugawa-Shogunat geschlossenen und besiegelten Ungleichen Verträge [Fubyōdō Jōyaku 不平等条約].

Der alte feudale Hof- und Schwertadel [Kugyō Shokō 公卿諸侯] – von den mehr als 400 Familien mit weniger als 3.000 Personen gehörten etwa ein Drittel zum Hofadel [Kuge 公家] und zwei Drittel zum Schwertadel [Buke 武家] – wurde nach 1868/69 mit einem modernen Verdienstadel (Meritokratie) für Leistungen zu Nutz und Frommen des jungen Meiji-Staates zu einem neuen Adel [Kazoku 華族] verschmolzen. Inspiriert von einer anglo-franko-sinophonen Nomenklatur verteilte er sich zwischen 1884 und 1947 absteigend auf die folgenden fünf Titel: Fürst [Kōshaku 公爵], Marquis [Kōshaku 侯爵], Graf [Hakushaku 伯爵], Vicomte [Shishaku 子爵] und Baron [Danshaku 男爵]. Das Kaisertum und der – neue – Adel wurden vom jungen Meiji-Staat als antikommunistischer Anker zusammen mit einem bourgeoisen Bollwerk geschätzt im Kampf gegen neue westliche Ideen sowie unjapanische Japaner und Japanerinnen.

Dem modernen Militär zugeneigte, das heißt durch frühkindliche Erziehung, Ausbildung und Disziplin sowie verstärkende Faktoren – flotte Uniformen und schmissige Märsche galten als très chic – interessiert und zugeneigt gemachte, wehrtaugliche Prinzen wurden seit der Meiji-Zeit in der Regel Offiziere in einer der beiden Teilstreitkräfte. Ein unerläßlicher Bestandteil der prinzlichen Fortbildung war in der Regel ein horizont- und bewusstseinserweiternder Aufenthalt in britischen, französischen oder deutschen Militärakademien, standesgemäße Skandale (Liebesaffären, Autounfälle et cetera) inklusive. Das moderne japanische Militär war eine Pflanzstätte konfuzianischer Zucht und vaterländischer Tugend; denn eines war und ist im östlichsten Ostasien gewiss: Die menschliche Seele ist von Natur aus konfuzianisch [anima humana naturaliter confuciana], und aus dem Osten kommt das Licht [ex oriente lux]. Heer und Marine abgeneigte oder gänzlich wehruntaugliche Prinzen fanden stattdessen oder auch nach dem Militärdienst in Shintō-Schreinen, deren Anzahl sich im Bereich des Schrein-Shintō [Jinja-Shintō 神社神道] im höheren fünfstelligen Bereich bewegt(e), auch ein Betätigungsfeld als Priester oder Abt. Beschäftigungen im Schreinwesen und beim Militär ließen sich auch zeitversetzt kombinieren, schlossen sich also wechselseitig nicht aus. Das Bewusstsein von Schreinpriestern und -äbten war insofern auch politisch geprägt, als sie ihre geistigen und geistlichen Tätigkeiten häufig mit einer staatsdienlichen und -nützlichen Sinnhaftigkeit versahen. Das galt und gilt ganz besonders für den Kaiser-Shintō [Tennō-Shintō 天皇神道] respektive Kaiserhaus-Shintō [Kōshitsu-Shintō 皇室神道]. Prinz Chichibu und Prinz Mikasa gingen zum Heer, Prinz Takamatsu zur Marine und wurden Offiziere. Der letzte militärische Dienstgrad der drei jüngeren Söhne des Taishō-Kaisers – dem erstgeborenen Sohn war als Tennō-Nachfolger per se der höchstmögliche militärische Titel Generalissimus und Oberbefehlshaber aller Land- und Seestreitkräfte [Daigensui 大元帥] gewiss – war weder sehr hoch noch ganz niedrig, gleichsam konfuzianisches Maß und Mitte. Prinz Chichibu schaffte es bis zum Generalmajor [Shōshō 少将], Prinz Takamatsu wurde schließlich Kapitän zur See [Taisa 大佐] – obwohl er unter Kinetose litt und auf Kriegsschiffen leicht seekrank wurde –, und Prinz Mikasa erreichte den Rang eines Majors [Shōsa 少佐]. Der Rufname im Kindesalter des Erstgeborenen und späteren Kaisers Hirohito lautete Michi no Miya 「迪宮」. Der Eigenname Hirohito 「裕仁」 war recht eigentlich ein Tabuname [Imina 諱], den man in Ostasien seit alters wegen negativer magischer Konsequenzen zu Lebzeiten vermied, in den Mund zu nehmen. Mit dem vollendeten 11. Lebensjahr erklomm Michi no Miya respektive Hirohito nach im Jahr 1912 geänderten Bestimmungen für den Status und die Stellung der Mitglieder der Kaiserfamilie den untersten Offiziersrang eines Leutnants [Shōi 少尉]. Zum Kronprinzen und Nachfolger seines Vaters Yoshihito als Kaiser von Japan wurde er im Jahr 1916 ernannt [Rittaishi 立太子] und erhielt deshalb Unterricht auch in strategisch-taktischem Denken, Militärtechnik und -geschichte sowie Diplomatiegeschichte und politischer Geschichte.

Wie war eigentlich das brüderliche Verhältnis zwischen dem Erstgeborenen und – ab 1916 – designierten Thronfolger und späteren Kaiser Hirohito und seinen drei Brüdern Yasuhito respektive Prinz Chichibu, Nobuhito respektive Prinz Takamatsu und Takahito respektive Prinz Mikasa im Großen und Ganzen? Streitereien gibt es in jeder Familie. Wenig ist allgemein bekannt geworden über das frühkindliche Verhältnis und die Jugend der behüteten und von Anfang an – vor, während und nach dem Besuch der alten Adelsschule [Gakushūin 學習院, wörtlich Lernanstalt/-akademie, im Jahr 1947 privatisiert] des Ministeriums für den Kaiserlichen Haushalt – privat unterrichteten vier Prinzen. Waren die Kaiserlichen Prinzen gleichsam Ästlingen, die sich beim geschwisterlichen Futter- beziehungsweise Konkurrenzkampf aus lebensgefährlicher Höhe wechselseitig aus dem Greifvogelhorst zu schubsen suchten? Die Erinnerung an einen verlorenen brüderlichen Wettstreit (Gedichtwettbewerb, Bogenschießen, Kartenspiel etc.), ein aus Versehen ausgeschlagener Zahn, ein verbotenerweise eingesehenes Tagebuch, ein kaputtes Schaukelpferd, eine beschmutzte Ritterrüstung, eine versteckte Brille, ein zerbrochener Kalligraphiepinsel, ein verletzendes Wortspiel, viele Dinge können der Anfang einer lebenslang angespannten Beziehung unter Brüdern hinter dem Chrysanthemenvorhang gewesen sein; denn auch und gerade unter prinzlichen Brüdern gilt: Das falsche Wort, am falschen Ort, zur falschen Zeit, gibt richtig Streit! Aber über die Jugend weiß man allgemein weniger; denn Erzieher und Erzieherinnen sowie Privatlehrer und -lehrerinnen von Kronprinzen und Prinzen entstamm(t)en häufig selbst dem mehr oder weniger alten Adel und waren/sind monarchistisch eingestellt und schwiegen/schweigen loyalerweise in aller Regel still, vermutlich sogar gegenüber engen Angehörigen der eigenen Familie und mach(t)en höchstens bei ihrem Diarium eine Ausnahme. Aber nicht jedes Tagebuch wird veröffentlicht, und die publizierten werden häufig überarbeitet, in der Regel im Sinne eines vorteilhaften Ansehens der Monarchie japanischer Prägung. Auch auf diese Weise pfleg(t)en die Urheber ihre Schweige- und Sorgfaltspflicht treu bis in den Tod und erweisen sich so quasi für immer treu (semper fidelis).

Auf Wunsch und Befehl des Kaisers und ältesten Bruders arbeiteten die drei Jüngeren ihm in gewisser Weise fast wie selbstverständlich, das heißt nolens volens zu und vertraten ihn bisweilen in offizieller Mission, wie Prinz Chichibu bei der Krönungsfeier von Georg VI. in Großbritannien. Dann und wann erfolgte die Zuarbeit auch als inoffizieller oder offiziöser informationeller Transmissionsriemen und Sprachrohr sowie Ohr, Auge und Mund des Kaisers, aber meist herrschte keine Kongruenz der Meinungen. Generalurteile erscheinen – wen wundert’s – untunlich, aber nach vielen Jahren der militär- und diplomatiegeschichtlichen Forschung darf ein Japan-Historiker auf dem Höhepunkt seines produktiven Schaffens auch einmal kurz und knapp seinen allgemeinen Gesamteindruck zu Protokoll geben: Das Verhältnis von Prinz/Kronprinz/Prinzregent/Kaiser Hirohito zu Prinz Chichibu war bis zum Jahr 1937 mutmaßlich „miserabel“, dasjenige zum Drittgeborenen Prinz Takamatsu während des Krieges „am allerschlechtesten“. Zum Nesthäkchen Prinz Mikasa war mit fast eineinhalb Jahrzehnten nicht nur der Altersabstand am größten, auch geistig-intellektuell und politisch-weltanschaulich haben sich Kaiser Hirohito und Prinz Mikasa allerspätestens bis zum Ende der „Krisen- und Kriegszeit“ – wohl auch schon während des Zweiten Chinesisch-Japanischen Krieges – weit voneinander entfernt und entfremdet; so kritisierte Prinz Mikasa nach dem Pazifischen/Großostasiatischen Krieg gegen die USA, Großbritannien und die Niederlande u.a.m. nicht nur das Festhalten seines ältesten Bruders an dem Amt und der Position des Kaisers, sondern stellte auch den offiziellen Reichsgründungsmythos offen und öffentlich – nicht vor Barfußhistorikern, sondern coram publico vor Dutzenden von Professionellen der Zunft im Club der Akademikervereinigung der sieben (bis 1945 neun) ehemaligen Kaiserlichen Universitäten [Gakushikai 學士会] – als wissenschaftlich mehr als fragwürdig dar und rüttelte damit im geistigen Überbau an den Grundfesten der Monarchie japanischer Prägung.

Japanische Politiker und Militärs verfolgten expansionistische und imperialistische Ziele vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg, aus dem Japan in Ostasien als Mitsieger und Deutschland als großer Verlierer hervorging. Japan durfte sich im Jahr 1919 ganz offiziell besonders enttäuscht geben und auch sein, nachdem sein auf der Pariser Friedenskonferenz mit großem Ernst und Pathos für sich sowie alle anderen Länder außerhalb Europas und Nordamerikas vorgetragener und vorgelegter „Vorschlag zur Abschaffung von ethnischer Diskriminierung“ [Jinshuteki Sabetsu Teppai Teian 人種的差別撤廃提案] schließlich und endlich nicht in den Friedensvertrag von Versailles aufgenommen wurde. Die sich wechselseitig als kulturell niedrigstehend(er) verachtenden Nationalismen legten im Fall von Asiaten, Afrikanern und Südamerikanern noch mindestens eine Schippe drauf. Rassismus konnte man den hochnäsigen, weißen Langnasen [Kōmanchiki na Hakujinme! 「高慢ちきな白人め!」] selbstverständlich nicht durchgehen lassen. Kriegsenthusiasmus, Kriegsverherrlichung sowie Kriegstreiberei (Bellizismus) existierten im Untersuchungszeitraum und darüber hinaus sowohl unter Politikern und Militärs als auch in der Zivilgesellschaft nicht nur in Japan, sondern auch in den USA, Großbritannien, Russland, Frankreich, den Niederlanden, Italien und last but not least Deutschland und trieben Generation für Generation ihre Blüten neben den neuen gefährlichen Ideen und Ideologien wie Liberalismus, Demokratie, Pazifismus, Anarchismus, Kommunismus, Sozialismus und Feminismus. Für die Bekämpfung und Eindämmung dieser Geistesströmungen war in Japan seit der frühen Shōwa-Zeit die Höhere Sonderpolizei [Tokubetsu Kōtō Keisatsu 特別高等警察, kurz Tokkō 特高] zuständig und waltete fleißig ihres Amtes.

Im Jahr 1921 unternahm Kronprinz Hirohito eine halbjährige Europareise und besuchte vom 3. März bis zum 3. September offiziell vier Monarchien und eine Republik (England, Frankreich, Belgien, die Niederlande und Italien) und übertrumpfte dabei seinen Vater Yoshihito, der im Jahr 1907 als erster Kronprinz überhaupt eine Auslandsreise – zur koreanischen Halbinsel – unternommen hatte, die drei Jahre später von Japan für dreieinhalb Jahrzehnte annektiert werden sollte. Kronprinz Hirohito soll ob der großbritannisch-royalen Freiheiten bass erstaunt gewesen, darob dennoch wenig expressiv geworden sein und kaum merklich bis gar nicht gestikuliert haben und zog beim Schweigen oder Sprechen auch nicht die Augenbrauen hoch und begleitete das Nichtssagen und das Nichthochziehen auch nicht mit einer leichten Nach-vorne-Bewegung des Kopfes, wie bei gewöhnlichen erstaunten Sterblichen. Der junge Hirohito zeigte offensichtlich schon ganz früh sehr alte Schule und in sich gefestigtes, beherrschtes Himmlisches Herrschersein. Beredtes Schweigen signalisierte in der Regel Zustimmung und gehörte zu seinen Spezialitäten, vor allem zum Beispiel circa zwanzig Jahre später in Kaiserlichen Konferenzen [Gozen Kaigi 御前会議], die seit der Meiji-Zeit außerkonstitutionell so denominiert waren, weil die Präsenz des Tennō eine conditio sine qua non war, in Anwesenheit von hochrangigen Politikern, Militärs und Staatsberatern (Genrō) vor schicksalhaft-verhängnisvollen Entscheidungen, wie zum Beispiel einer unangekündigten Kriegseröffnung mit alsdann folgenden jahrelangen Gemetzeln praktisch zeitgleich gegen mehrere westliche Großmächte und rund ein Dutzend Nachbarländer mit mehr als fünfundzwanzigtausend weitflächig verteilten Inseln, inter alia. Kriegsbeendigungen zur Rettung der Monarchie japanischer Prägung – auf Japanisch damals „Kokutai“ 「國體」 [Nationalwesen] genannt – wegen einer schier unerträglichen bedingungslosen Kapitulation nach einer strategischen Überdehnung in fast alle Himmelsrichtungen wegen Fehlein- und Selbstüberschätzungen waren schweigend ungleich schwieriger, weshalb der Tennō dann doch irgendwann – spät, aber gerade noch rechtzeitig, quasi in letzter Minute – die Stimme erhob und eine „heilige Entscheidung“ [Seidan 聖断] fällte, nach der üblichen monatelangen kriegsbegleitenden Geheimdiplomatie. Wenn nicht formell und offiziell, so wurde Kaiser Hirohito doch in aller Regel über alle wichtigen Fragen selbstredend vorab informell informiert und angemessen gebrieft. Wenn dem Tennō etwas zu Ohren kam, was Seiner Majestät nicht konvenierte, war im Nachgang in der Regel genügend Gelegenheit für Korrektur, Sanktionierung oder Totschweigen. Kurz: Kaiser Hirohito dürfte der bestinformierte Himmlische Herrscher in der Historie Japans bis dato gewesen sein. Der Verfasser des Buches berichtet von einer hinreichenden Zahl von Prinzen, die in China Kommandogewalt besaßen und/oder Stabsstellen bekleideten und Kaiser Hirohito zusätzlich zu seinen offiziellen Kanälen hinreichend mündlich und schriftlich berichteten: „Auch an Plünderungen in erobertem Gebiet waren Prinzen mitunter beteiligt. So nahm Higashikuni im Januar 1939 wertvolle chinesische Kunstobjekte nach Japan mit und präsentierte sie dem Kaiser mit den Worten, man bringe solche Stücke immer als Beute zurück. Der Tennō wählte zwei Porzellanvasen aus, ließ sich versichern, dass es sich dabei bestimmt um wertvolle Werke handele, und ordnete an, sie dem Museum in Tokyo-Ueno zu übergeben.“ Zudem genoß der Tennō zeitlebens Privatunterricht im Allgemeinen sowie wissenschaftliche Aus- und Weiterbildung im Besonderen und veröffentlichte vor allem in seiner zweiten Lebenshälfte einschlägig akademisch auf dem Gebiet der Meeresbiologie. Auch ziert hunderte von modernen japanischen Unternehmensgeschichten ein Foto „Seiner Majestät des Kaisers“ [Tennō Heika 天皇陛下], auf Zelluloid gebannt anlässlich einer persönlichen Fortschrittsbeschau japanischer Innovationen bei Fabrik- und Firmenbesuchen; das lebenslange, brennende Interesse des Shōwa-Tennō für Wissenschaft und Technik wird darin manifest.

Im Untersuchungszeitraum i.e.S. waren zahlreiche Spieler und Gegenspieler in einer Reihe von meist staatlich bestallten oder apanagierten Ämtern und Funktionen in diversen Institutionen und Organisationen beteiligt: Lordsiegelbewahrer Kido Kōichi 木戸幸一 (1889–1977) hatte im Kaiserpalast eine Art quasi-natürliches „weitgehendes Monopol auf Zugang zum Ohr des Tennō“, gleichwohl ein direkter Zugang zur monarchischen Ohrmuschel (Auricula auris imperialis), eine hohe Dialogfrequenz und eine lange Gesprächsdauer nicht notwendigerweise größeren Einfluss verbürgten. Es folgten die Prinzen i.e.S., das heißt die leiblichen Brüder des Kaisers, die Prinzen Chichibu, Takamatsu und Mikasa, seine Mutter Sadako 節子 respektive Kaiserwitwe Teimei (1884–1951) [Teimei Kōtaigō 貞明皇太后], der jeweils amtierende Premierminister – der schon im letzten Kriegsjahr intern von dem einen oder anderen und dann vor allem post bellum orbis terrarum secundum auch von der US-Besatzungsmacht auserkorene optimale Hauptverantwortliche für den Pazifischen/Großostasiatischen Krieg Tōjō Hideki 東條英機 (1884–1948) genoss bei Kaiser Hirohito dauerhaft ein hohes Ansehen: „Der Kaiser (…) äußerte sich auch in seinen Nachkriegserinnerungen nicht negativ über ihn.“ –, das Ministerium für den Kaiserlichen Haushalt [Kunaishō 宮内省] und die Hofbeamtenschaft, der letzte Älteste [Genrō 元老] Saionji Kinmochi 西園寺公望 (1849–1940), der Geheime Staatsrat [Sūmitsuin 枢密院], Heeres- und Marineminister, Außen- und Innenminister, Stabschefs von Generalität und Admiralität, adelige Diplomaten und Ex-Diplomaten, Sekretäre von Kaiserlichen Prinzen und weitere wichtige Persönlichkeiten und Verbindungsmänner. Last but not least fanden zahlreiche Konferenzen statt, um auf optimal informierter Grundlage wohlabgewogene Entscheidungen zu treffen, schicksalsträchtige Beschlüsse zu fällen und nicht in geopolitische Güllegruben hineinzuschlittern: Verbindungskonferenzen aus Oberkommando und Regierungsspitze mit und ohne Gegenwart des Kaisers [Daihon’ei Seifu Renraku Kaigi 大本営政府連絡会議, kurz Renraku Kaigi 連絡会議], die Konferenz der erfahrenen Staatsmänner (z.B. Ex-Premierminister) [Jūshin Kaigi 重臣会議], die Kaiserliche Konferenz [Gozen Kaigi 御前会議], die Konferenz der (Generalfeld-)Marschälle und Großadmirale [Gensuiin 元帥院], der Oberste Kriegsrat [Gunji Sangiin 軍事参議院] als beratendes Organ des Kaisers und last but not least der Kaiserliche Familienrat [Kōzoku Kaigi 皇族会議] – nach dem Krieg aboliert respektive reorganisiert als Konferenz des Kaiserhauses [Kōshitsu Kaigi 皇室会議] – sind hier in erster Linie zu nennen.

Einerseits war dem Himmlischen Herrscher allein die Ehre [soli Tennō gloria], und die Prinzen i.e.S. sollten sich nach den Wünschen von Kaiser Hirohito politischer Aktivitäten möglichst enthalten, andererseits galt beim Meinen und Glauben, Beckmessern und Räsonieren zu Themen der Zeit, des Zeitgeistes und den Zeitläuften überhaupt: wie viele Prinzen, so viele Meinungen [quot principes, tot sententiae]. Die Prinzen i.w.S. gehörten von Anfang bis Ende, im Frieden wie im Krieg maßgeblich dazu und übernahmen standesgemäße Rollen und Funktionen: Wenn die Generalität Prinz Kan’in Kotohito (1865–1945) [Kan’in no Miya Kotohito Shinnō 閑院宮載仁親王] zum Chef des Generalstabes (1931–1940) [Sanbō Sōchō 参謀総長] ernannte, musste die Marine in etwa mindestens auf Augenhöhe nachziehen und ernannte Prinz Fushimi (1875–1946) [Fushimi no Miya Hiroyasu Ō 伏見宮博恭王] zum Stabschef der Marine (1932–1941) [Kaigun Gunrei Buchō 海軍軍令部長 respektive Kaigun Gunreibu Sōchō 海軍軍令部総長]. Heer und Marine sollen sich nicht immer einig gewesen sein: Nordstoß versus Südstoß? Am Ende entschied man sich Pi mal Daumen für beides, mehr oder weniger frei skalierend, gleichwohl sich der eine oder andere während des Pazifischen/Großostasiatischen Krieges (1941–1945) womöglich schon nach Jahresfrist nicht ganz vorbereitet fühlte auf die rasch wachsenden Aufgaben in einem rapide eskalierenden und expandierenden Konflikt mit einem immer größer und unübersichtlicher werdenden Wirtschaftsraum und Gefechtsfeld von binnen weniger Monate ein paar Millionen Quadratkilometern Fläche. Innerhalb der Teilstreitkräfte gab es divergierende Gruppen, wie zum Beispiel die Faktion des Kaiserlichen Weges [Kōdōha 皇道派] mit ihrem großen Ziel einer neuen Shōwa-Restauration [Shōwa-Ishin 昭和維新] unter direkter kaiserlicher Herrschaft zuvörderst gegen die Sowjetunion versus die Faktion für Kontrolle [Tōseiha 統制派] mit einer industriellen und planwirtschaftlichen Aufrüstung sowie totalen Mobilisierung der Wirtschaft für die Kriegsproduktion. Die Frage lautete manchmal scheinbar ganz schlicht: Wer ist eigentlich der Feind? Die USA, Großbritannien, die Niederlande, Frankreich, Russland oder China oder alle zusammen? Das vormalige Königreich Ruchu (lokal Rūchū, ch. Liúqiú, jp. Ryūkyū) war schon lange „Heim ins Reich“ (1871) geholt, das zaristische Russland militärisch zurechtgewiesen (1904/05), Taiwan (1895) und die koreanische Halbinsel (1910) annektiert, die Mandschurei besetzt und kontrolliert (1931). Der Zweite Japanisch-Chinesische Krieg (1937–1945) zählte mit und ohne das wochenlange Massaker von Nanking [ch. Nánjīng Dàtúshā 南京大屠杀, jp. Nankin Daigyakusatsu 南京大虐殺] Ende 1937, Anfang 1938 schon Millionen von Toten, als Premierminister und Heeresminister im Generalsrang Tōjō Hideki (1884–1948) nach den ersten militärischen Erfolgen im Pazifischen/Großostasiatischen Krieg begehrlich tiefer in den Süden schaute.

Kaiser Hirohito war klar, dass das Heute das Gestern von Morgen ist. Genau deshalb durfte und darf kein dunkler Fleck, kein „düsterer Schatten“ auf die Geschichte und das Ansehen des Kaiserhauses in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fallen. Wer als dynastische Erbmonarchie still und bescheiden seit Äonen und in aeternum für den „Weltfrieden“ [Sekai Heiwa 世界平和] sowie das Glück und die Wohlfahrt des japanischen Volkes betet(e), erwarb und erwirbt sich bleibende Verdienste bei den edlen Vor- und Nachfahren sowie beim geliebten japanischen Volk. Je nachdem, wie man „Weltfrieden“ synonymisch ausdrückt – zum Beispiel „Großostasiatische Wohlstandssphäre“ [Daitōa Kyōeiken 大東亜共栄圏], „Acht Himmelspfeiler = Die ganze Welt unter einem Dach“ [Hakkō Ichiu 八紘一宇; ein Slogan und Schlachtruf, der vor allem in den 1930er und 1940er Jahren in Japan ideologisch aufgeladen popularisiert und in den Massenmedien verbreitet wurde] oder „Pax Iaponica“ –, intoniert, konnotiert und kontextualisiert, kann das harmlos erscheinende Wort semantisch von einem matten, freundlich-frommen Wunsch bis hin zu einer imperialistischen Drohung und einem Welteroberungs- (militärisch) beziehungsweise -dominierungsprogramm (wirtschaftlich) reichen. Und hinterher heißt es dann womöglich, dass der Himmlische Herrscher von schlechten Beratern (Lordsiegelbewahrer, Premierminister, Heeresminister et al.) und „unfähigen“ (Kaiser Hirohito und Kaiserin Nagako in einen Brief de dato 1. September 1945 an Sohn Akihito in Nikkō, wo es während des letzten Kriegsjahres weniger unsicher war als in Tokyo), weil letztlich erfolglosen Militärs falsch oder unzureichend informiert worden sei. Außerdem war der Pazifische/Großostasiatische Krieg jahrelang akribisch und akkurat in seiner ganzen Breite und Tiefe auf allen Ebenen von Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und last but not least Militär, flankiert von Abrüstungsverhandlungen – Flottenkonferenzen begleiteten die maritime Aufrüstung vor allem und unter anderem der USA, Japans und Großbritanniens –, vorbereitet worden, und alle waren praktisch einmütig dafür; da konnte er als einzelner Himmlischer Herrscher, nur ein kleines Rädchen im großen Getriebe, ja wohl schlecht nein sagen und die gut geplanten und vorbereiteten gigantischen Gemetzel zur Eroberung/Befreiung Ost- und Südostasiens einfach absagen. Außerdem haben die USA, Großbritannien und die Niederlande 1940/41 mit Handels- und Finanzsanktionen angefangen und recht eigentlich betrachtet darum gebettelt, unangekündigt angegriffen zu werden [US-Kriegsminister Henry L. Stimsons (1867–1950) Tagebucheintrag wenige Tage vor dem Angriff auf Pearl Harbor lässt hier tief und weit blicken], oder etwa nicht?!

Aus der agnatischen Primogenitur folgte nicht notwendigerweise Deszendentenmord, aber unter Umständen lebenslange Spannungen und Neid, inklusive Klatsch, Tratsch und Knatsch zwischen den geistreichen, gebildeten, graziös-gravitätischen Gemahlinnen, kapablen Kindern und extraordinär-exzellenten Enkelkindern, sofern vorhanden; von den vier Söhnen des Taishō-Kaisers Yoshihito hatten später nur der Älteste, Prinzregent/Kaiser Hirohito (1901–1989), sowie der Jüngste, Prinz Mikasa (1915–2016), Nachkommen. Der zweitgeborene Sohn, Prinz Chichibu (1902–1953), und der Drittgeborene, Prinz Takamatsu (1905–1987), blieben mit ihrer jeweiligen Gemahlin kinderlos. Letzterer gewahrte an sich schon früh uranistische Neigungen, weil er sich aus Mädchen nichts machte, aus jungen Kameraden schon. Aber das ist recht eigentlich betrachtet – fast – schon ein Chrysanthementabu.

Der Kindersegen von Hirohito und Mikasa belief sich summa summarum auf ein rundes Dutzend unmittelbarer Nachkommen: fünf Söhne und sieben Töchter. Aber das war in den ersten drei bis vier Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts so nicht ab- und vorhersehbar. Auf jeden Fall: Alle vier Brüder waren – ein notabel-notabiles Novum in Japan – leibliche Kinder des Kronprinzen/Kaisers Yoshihito und der Kronprinzessin Sadako respektive Kaiserin Teimei [Teimei Kōgō 貞明皇后], weil gegen Ende der Meiji-Zeit auch für die ätherische Aristokratie offiziell die Monogamie [Ippu Issai Sei 一夫一妻制] eingeführt worden war; denn zum Beispiel Yoshihitos Vater Mutsuhito 睦仁 (1852–1912), sein edo-zeitlicher Großvater Osahito 統仁 (1831–1867) [posthum Kōmei-Tennō 孝明天皇, Regierungszeit 1846–1867] und sein Urgroßvater Ayahito 恵仁 (1800–1846) [posthum Ninkō-Tennō 仁孝天皇, Regierungszeit 1817–1846] stammten samt und sonders nicht von der jeweiligen Hauptfrau und Kaiserin, sondern von einer der circa fünf bis sieben passenderweise durchnummerierten Konkubinen – die nach dem konfuzianischen Gewohnheitsrecht von Mitte und Maß [ch. Zhōng Yōng, jp. Chūyō 中庸] maximal mögliche Anzahl von rund einem Dutzend Kaiserlicher Konkubinen wurde probablerweise wegen pekuniärer Probleme nicht erreicht – und wurden offiziell von jener einfach adoptiert und dadurch hochoffiziell respektable Thronfolger. Andererseits: Die Schriftstellerin und frühe, moderne Frauenrechtlerin Nakajima Shōen 中島湘烟 (geborene Kishida Toshiko 岸田俊子, 1864–1901) kündigte die ihr angetragene Anstellung als Literaturratgeberin von Meiji-Kaiserin Haruko 美子 (1849–1914) respektive Kaiserin Shōken [Shōken Kōgō 昭憲皇后] wegen des misogynen Macho-Konkubinenwesens („wie bei Hempels unterm Sofa“) am Hofe des Meiji-Kaisers. Wohl nicht ganz zufällig war Schluss damit – zumindest offiziell und nach Recht und Gesetz – beim nächsten Kronprinzen/Kaiser Yoshihito und seiner Kronprinzessin/Kaiserin Sadako, möglicherweise um nach außen europäischen hypokritischen Standards zu genügen und nach innen ein gesellschaftliches Vorbild zu verkörpern. Indes gehörte das offene und das versteckte Nebenfrauenwesen mit Konkubinen und Mätressen [Mekake 妾, eine beliebte, rezente, pejorativ gemeinte, faktische/kontrafaktische Bezeichnung vor japanischen Familiengerichten bei Scheidungen] nicht nur in den oberen Gesellschaftsschichten noch lange Zeit zur Realität der japanischen Gesellschaft, mit fließenden Übergängen zum parallel perennierenden und repetitiven Phänomen der Geliebten und Gunstgewerblerinnen.

Kronprinz/Prinzregent/Kaiser Hirohito und Kronprinzessin/Kaiserin Nagako 良子 (1903–2000) [Kōjun Kōgō 香淳皇后] bekamen zwischen 1925 und 1939 sieben Kinder, fünf Töchter und zwei Söhne. Das Ministerium für den Kaiserlichen Haushalt (Kunaishō) hegte jahrelang die Hoffnung auf einen männlichen Thronfolger, aber der Hofstaat musste fast bis Weihnachten 1933 hoffen und harren; zunächst kamen nämlich vier Töchter zur Welt: Shigeko 成子 (1925–1961), Sachiko 祐子 (1927–1928), Kazuko 和子 (1929–1989) und Atsuko 厚子 (1931–). Letztere fungierte von 1988 bis 2017 als Hohepriesterin des für den Tennō-Shintō zentralen Ise-Schreins. Schließlich und endlich wurde zur großen Erleichterung des Kunaishō am 23. Dezember 1933 der designierte Thronfolger Akihito 明仁 geboren, Kaiser der späteren Ära Heisei (1989–2019), seit dem 30. April 2019 krankheitshalber Kaiser Emeritus [Jōkō Heika 上皇陛下]. Im Jahr 1935 folgten noch Sohn Masahito 正仁 respektive Prinz Hitachi [Hitachi no Miya Masahito Shinnō 常陸宮正仁親王], aktuell Dritter in der Thronfolge, und vier Jahre später Tochter Takako 貴子 (1939–) und komplettierten den noblen Nachwuchs.

Nach der Heirat von Prinzregent Hirohito und Kronprinzession Nagako Anfang 1924 und der Geburt von Prinz Akihito im Dezember 1933 galt die Nachfolge auf den Kaiserthron theoretisch als gesichert, aber wenn man standes- und klassenübergreifende medizingeschichtliche Fakten bemüht, war die Lage der Monarchie in Wirklichkeit schon damals nicht ganz sorgenfrei; zwischen 1900 und 1920 gehörten Lungenentzündung (Pneumonie) und Bronchitis zu den häufigsten Todesursachen in Japan. Es folgte die Tuberkulose, die von den 1930er Jahren bis in die frühen 1950er Jahre sogar Platz 1 unter den Todesursachen einnahm. In den 1980er Jahren nahmen bösartige Neubildungen (Tumore) erstmals Platz 1 unter den Todesursachen ein. Es traf sich, dass sich diese Statistik in den Todesursachen der Prinzen Chichibu und Takamatsu sowie des Kaisers Hirohito widerspiegelte: Chichibu verstarb im Jahr 1953 an einer Lungentuberkulose, die er in Vertretung seines Bruders Hirohito im April/Mai 1937 anläßlich der Krönungsfeier von Georg VI. in der Westminsterabtei von einem Großbritannien-Aufenthalt mitgebracht hatte. Prinz Takamatsu verstarb im Jahr 1987 an Lungenkrebs (Bronchialkarzinom). Kaiser Hirohito verstarb nach offiziellen Angaben am 7. Januar 1989 gegen 6:33 Uhr an Zwölffingerdarmkrebs (Duodenalkarzinom) [Jūnishichō Nyūtō Shūi Shuyō (Sengan) 十二指腸乳頭周囲腫瘍(腺癌)]. Dem jüngsten Bruder Kaiser Hirohitos, dem famos-freigeistigen Prinzen Mikasa blieb nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende der Besatzungszeit die Islamwissenschaft – er legte unter anderem eine japanische Übersetzung des Korans vor – und natürlich Longävität; er erlebte sein Zentenarium.

Die für das Prinzen-Buch als Informationsquelle bedeutsamen Tagebücher besitzen als Literaturgenre einen hybriden Charakter und gehören zur chronikalischen Selbstbeobachtungs-, Selbstdarstellungs-, Selbstzeugnis-, Selbstvergewisserungs-, Selbstentblößungs- und Bekenntnisliteratur. Der autobiographische Monolog beziehungsweise das Selbstgespräch (Soliloquium) kann fiktionale sowie nichtfiktionale Elemente enthalten. Realitätsdarstellungen können bewusst oder unbewusst authentisch fiktionalisiert oder (un-)absichtlich verfälscht und/oder verwässert werden. Das gilt tendenziell auch für publizierte Memoiren. Dabei sind Wahrnehmungs-, Einschätzungs- und Beobachtungsfehler sowie Informationsmängel und sich wandelnde Beurteilungskriterien zu berücksichtigen. Gerhard Krebs weiß das und benutzt methodisch geschickt den Vergleich von Diarien, Memoiren und anderen Quellen für den Prozess der Erkenntnisgewinnung. In diesem Kontext sei hier wegen seiner Aussagekraft ein kurzes Beispiel mit einem Hauch von Leseprobe-Fluidum im Übergangsjahr und mit Bezug zur Geschichte der deutsch-japanischen Beziehungen von der „Krisenzeit“ zur „Kriegszeit“ im Jahr 1937 präsentiert [Prinz Chichibu besucht Adolf Hitler in Nürnberg bei einem Zwischenstopp zwischen einem krankheitsbedingten Erholungsaufenthalt (Lungentuberkulose) in der Schweiz und einem Arbeitsaufenthalt in Großbritannien anläßlich der Krönungsfeier von Georg VI. auf Wunsch und in Vertretung seines Bruders Kaiser Hirohito]:

„Bei dem von Hitler gegebenen Essen auf der Nürnberger Burg ließ der ‚Führer‘ den Erinnerungen Musha[no]kōjis [Mushanokōji Kintomo 武者小路公共 (1882–1962) hatte im Vorjahr in Berlin als Botschafter für Japan den Antikominternpakt unterzeichnet.] zufolge hasserfüllte Tiraden gegen Stalin los. Chichibu äußerte kühl in englischer Sprache seine Verwunderung, dass ein Staatsmann über den Vertreter eines ander[e]n Landes derart verachtungsvoll rede. Dolmetscher Paul Schmidt übersetzte. Die Kritik des Prinzen soll Hitler die Sprache verschlagen haben. Danach redete man nicht mehr über internationale Probleme, sondern tauschte nur noch Belanglosigkeiten aus. (…) Der Inhalt des Gesprächs zwischen Chichibu und Hitler kam der deutschen Botschaft in Tokyo als spannungsfrei zu Ohren, basierend auf einem Telegramm Musha[no]kōjis an das japanische Außenministerium, von dort an den Generalstab zur Information weitergeleitet, dann dem deutschen Heeresattaché mitgeteilt, von diesem wiederum an Botschafter [Herbert von] Dirksen übermittelt, der einen Bericht an das Auswärtige Amt nach Berlin sandte.“

Der Verfasser des Prinzen-Buches ist nicht nur quellenkritisch geschult, er befindet sich auch weitgehend auf dem neuesten Forschungs- und Wissensstand. Er besitzt durch den Vergleich diverser Diarien und Memoiren etc. ein geschärftes Urteilsvermögen und weiß mit großer Sicherheit, wann welcher historischen Persönlichkeit warum bei welcher Gelegenheit die Kinnlade herunterfiel, wer mit wem auf gutem/schlechtem Fuß stand oder zu welchen Zeiträumen und Begebenheiten in Tagebüchern nichts verzeichnet steht oder Seiten fehlen und welche Ereignisse von wem abweichend dargestellt oder möglicherweise bewusst und absichtsvoll falsch beschrieben oder sogar frei erfunden wurden. Ein eingängiges Beispiel für quellenkritische Reflektiertheit und historiographisch-japanistische Urteilskraft ist nach dem Verständnis des Rezensenten die begründete Infragestellung der vorgeblichen verbalen Verantwortungsübernahme für den Zweiten Weltkrieg – i.e.S. Pazifischer Krieg (07/.08.12.1941–14.08.1945) [Taiheiyō Sensō 太平洋戦争], in Japan damals kurz nach dem Beginn offiziell Großostasiatischer Krieg [Daitōa Sensō 大東亜戦争], i.w.S. nachträglich Pi mal Daumen Fünfzehnjähriger Krieg (18.09.1931–14.08.1945) [Jūgonen Sensō 十五年戦争], in China unter anderem Vierzehnjähriger Widerstand [Shísìnián Kàng 十四年抗] genannt – durch den Shōwa-Kaiser Hirohito am 27. September 1945 beim ersten von insgesamt elf persönlichen Treffen während der Besatzungszeit mit General Douglas MacArthur (1880–1964), dem amerikanischen Oberkommandierenden der Alliierten Streitkräfte, wie dieser sie an seinem Lebensabend wenige Wochen vor seinem Tod in dem Buch Reminiscences (1964) aus dem Mund des Kaisers exklusiv enthüllt veröffentlichte: „Ich komme zu Ihnen, General MacArthur, um mich selbst dem Urteil der Mächte, die Sie repräsentieren, zu stellen als derjenige, der alleine verantwortlich ist für jede politische und militärische Entscheidung und Unternehmung [es geht hier um das übliche Programm in großen Angriffs-/Befreiungskriegen, in concreto um geschätzt mindestens 20.000.000 Tote in Ost- und Südostasien, weit über die Hälfte davon in China, das heißt (il)legale Erschießungen, Bombardierungen, Vergewaltigungen, Enthauptungen, Folter, Enteignungen, Raub, Todesmärsche, Bajonettübungen am lebenden und leidenden Objekt und systematische Menschenversuche zum Beispiel im Zusammenhang mit der Entwicklung von biologischen und chemischen Waffen und deren Anwendung im Feindesland et cetera], die mein Volk in der Verfolgung des Krieges getroffen und durchgeführt hat.“

Der Urheber des Buches hält es für wahrscheinlich(er), dass „Hirohitos Schuldbekenntnis“ – der hochgebildete, soignierte und multilinguale Kaiser sprach auf Japanisch, ein Protokoll wurde im gegenseitigen Einvernehmen nicht erstellt, der Diplomat Okumura Katsuzō (1903–1975) fungierte als Dolmetscher – in MacArthurs spät erschienenen Reminiszenzen im Rahmen einer amerikanischen Rehabilitierungspolitik frei erfunden war. Diese erste Begegnung kam auf Wunsch und Initiative des Kaisers und durch die Vermittlung seines Legaten und Adjutanten, dem Oberkammerherren Fujita Hisanori (seines Zeichens vormals auch Admiral der Marine, 1880–1970), zustande und fand in MacArthurs Privaträumen im amerikanischen Botschaftsgebäude in Tokyo statt. Das Meinungsspektrum über das berühmte Foto von General MacArthur (ca. 183 cm) und Kaiser Hirohito (ca. 165 cm), das nach dieser ersten Zusammenkunft gemacht wurde, gehört zum kollektiven zeitgeschichtlichen Gedächtnis großer Teile der Menschheit, weil es in Zeitungen und Zeitschriften in Japan und weltweit sowie später auch in Schulgeschichtsbüchern und noch später im Internet eine überaus weite Verbreitung gefunden hat, reicht je nach politischer Position und Perspektive von „Hochzeitsfoto“ bis „zweite Kapitulationszeremonie“. Auch ohne Generalsschirmmütze wirkte der charismatische, leger gekleidete MacArthur vergleichsweise hünenhaft – das Hypokoristikum „Big Mac“ erscheint jedem Betrachter unmittelbar sinnfällig – und gewaltig gelassen, aber zugleich untriumphal, ohne Orden und Rangabzeichen. Kaiser Hirohito – der Körperwuchs des Monarchen galt als natürlich-normosom und entsprach in etwa dem Durchschnitt seiner Generation – war vestimentär einen Hauch traditionsverhafteter, stilecht steif gekleidet und wirkte etwas nervös, erschöpft und übermüdet. Des Monarchen Hand soll nach MacArthurs veröffentlichten Erinnerungen leicht gezittert haben, als dieser jenem unter Tabak-Aficionados Feuer für die angebotene amerikanische Zigarette gab; möglicherweise war Kaiser Hirohito auch über die abschließende Bewertung seiner technischen, juristischen, politischen und/oder moralischen „Kriegsverantwortung“ [Sensō Sekinin 戦争責任] und die letztendlich daraus für ihn persönlich sowie das Tennō-System [Tennō-Sei 天皇制] erwachsenden Konsequenzen noch nicht hinreichend im Klaren. Einer juristischen und politischen Verantwortung [Hōteki, Seijiteki Sekinin 法的・政治的責任] wurde von Anfang an und wird im Grunde bis heute eine moralische Verantwortung [Dōgiteki Sekinin 道義的責任] gegenübergestellt, um personenabhängig regelmäßig zu einem sehr breiten Spektrum einer völkerstrafrechtlichen Verantwortlichkeit zu gelangen.

Auf Japanisch wurden trotz oder auch wegen des Chrysanthementabus [Kiku Tabū 菊タブー] bereits hunderte von Büchern, tausende von Aufsätzen und zehntausende von Zeitungsartikeln zum Shōwa-Tennō veröffentlicht, mit alles in allem sehr divergierenden Darstellungen und voneinander abweichenden Urteilen. Das Gros mögen bemooste, patinierte, gefirnisste und weichgespülte unwissenschaftliche Darstellungen sein. Das Prinzen-Buch beantwortet eine Reihe von relevanten historischen Fragen gleichsam in einem Aufwasch, darunter zum Beispiel die folgende: War Kaiser Hirohito ein „Kriegsverbrecher“ [Sensō Hanzainin 戦争犯罪人, kurz Senpan 戦犯]? Ja, nein oder jein? „Der für die Auswahl der Anzuklagenden zuständige Offizier, Brigadegeneral Elliott R. Thorpe, war der Ansicht, man hätte allen Grund gehabt, Chichibu auf die Liste zu setzen, und zwar wegen seiner Verbindungen zu allerlei geheimen Gesellschaften. Lange nach dem Krieg räumte Thorpe ein, auch der Kaiser sei alles andere als ein unschuldiges Kind gewesen, aber die Einsicht, er sei für die USA von großem Nutzen, habe zu der Empfehlung veranlasst, ihn auf dem Thron zu belassen.“

Dabei war Kaiser Hirohito schon früh von einer Präsenzpflicht anläßlich der Unterzeichnung der japanischen Kapitulationsurkunde nicht nur suspendiert, sondern er wurde von der siegreichen US-Besatzungsmacht militärpolizeilich oder -gerichtlich weder zum Verhör abgeführt noch vorgeladen, um ihn in persona zu seiner Kriegsverantwortung zu befragen. Die von amerikanischer Seite interessierenden Auskünfte reduzierten sich binnen Kurzem auf die Frage, ob der Kaiser von Großjapan und Oberbefehlshaber der japanischen Teilstreitkräfte von den umfassenden Kriegsplanungen im Allgemeinen und vornehmlich von den streng geheimen Planungen des Angriffs auf Pearl Harbor im Besonderen vorher gewusst habe. Hierbei hervorgetan hat sich nicht zuletzt auch Premierminister Prinz Higashikuni (1887–1990, Amtszeit 17.08.–09.10.1945) [Higashikuni no Miya Naruhiko Ō 東久邇宮稔彦王], der ein Großonkel von Kaiser Hirohito war, weil er nach seinem Abschluss an der japanischen Militärakademie im Jahr 1915 die neunte Tochter des Meiji-Tennō geehelicht hatte. Er versuchte, der amerikanischen Besatzungsmacht ein X für ein U vorzumachen und lancierte penetrant wider besseres Wissen und bar basaler Fakten, Hirohito habe nichts von den Plänen für einen Überraschungsangriff auf das Hauptquartier der US-Pazifikflotte gewusst. Die Beteuerungen zur „Unschuld“ des Monarchen von interessierter, nicht nur japanischer Seite, dürfte wohl niemand je ernsthaft geglaubt haben. Auch hier gilt das Bonmot von Wilhelm Busch: „Nur was wir glauben, wissen wir gewiß.“

Etwa drei Monate nach dem „Hochzeitsfoto“ mit General MacArthur ging Kaiser Hirohito einen weiteren Teil seiner semi-celestialen, numinosen Aura verlustig und wurde per Neujahrsansprache und qua Erlass Anfang Januar 1946 eilends und ex tempore vermenschlicht/menschgeworden [Ningenka 人間化] – der Anstoß und das erste Manuskript für die „Menschlichkeitserklärung des Kaisers“ [Tennō Ningen Sengen 天皇人間宣言] stammte mutmaßlich aus dem amerikanischen Hauptquartier der Alliierten Streitkräfte in Tokyo –, gewann dafür aber als Ausgleich ein gerüttelt Maß an terrestrisch-sozialer Erdung und etwas mehr Volksnähe durch – ausgenommen Okinawa – Präfekturreisen und landesweite Fabrikbesuche, sozusagen ein geerdeter Himmlischer Herrscher zum Zujubeln und – fast – zum Anfassen. Obwohl mancher Experte für Göttlichkeit argumentiert(e), Divinität könne man nicht wegerklären, schwörte Kaiser Hirohito ihr auftrags-/wunsch-/erwartungsgemäß öffentlich mündlich sowie schriftlich ab. Die entscheidende Stelle des Originals in einer Sondernummer des Staatsanzeigers (Kanpō) lautet grob zusammengefasst: „Die Ideen, der Tennō sei die Fleischwerdung (Inkarnation) einer Gottheit, das japanische Volk sei anderen Völkern überlegen und vom Schicksal dazu bestimmt, die Welt zu beherrschen, entbehre jeder Grundlage und sei eine Fiktion“ [Tennō o motte Akitsumikami to shi, katsu Nihon kokumin o motte hoka no minzoku ni yūetsu seru minzoku ni shite, hiite sekai o shihai subeki unmei o yūsu to no kakūnaru gainen ni motozuku mono ni mo arazu. 「天皇ヲ以テ現御神トシ、且日本國民ヲ以テ他ノ民族ニ優越セル民族ニシテ、延テ世界ヲ支配スベキ運命ヲ有ストノ架空ナル観念ニ基クモノニモ非ズ。」].

Für die Kriegsbeendigung hatten sich die Prinzen i.w.S. als behilflich erwiesen; wer überbrachte den Soldaten, die auf den Schlachtfeldern möglicherweise mit den Worten „Lang lebe Seine Majestät der Kaiser!“ [„Tennō Heika Banzai!“ 「天皇陛下万歳!」] töteten und starben beziehungsweise „krepier[t]en wie Hunde“ (Prinz Mikasa; loco citato), den Befehl zur Kapitulation? Dazu waren Kaiserliche Prinzen – selbstredend im Militär dienende prinzliche Offiziere aus Nebenlinien, keine nächsten Blutsverwandten Hirohitos –, ausgestattet mit einem vom Kaiser unterzeichneten und gesiegelten Schriftstück, am probatesten und viabelsten, weil niemand sonst – außer dem Tennō oder seinen leiblichen Brüdern, aber wer will schon Überbringer einer subjektiv als katastrophal empfundenen Botschaft sein und mit der größten militärhistorischen Niederlage in der Geschichte des Landes auch nur näherungsweise in einen irgendwie gearteten temporalen oder gar kausalen Nexus gebracht werden und inkommode Konsequenzen ziehen?! – den kaiserlichen Willen mit der nötigen Autorität und Souveränität verkörpern und überzeugend vermitteln konnte. Dazu wurden vom Kaiser, der eine ordnungsgemäße, reibungs- und verlustarme Entwaffnung, Demobilisierung und Repatriierung von Soldaten und Zivilisten anstrebte, entsandt: nach Saigon und Singapur Generalmajor Prinz Kan’in Haruhito (1902–1988) [Kan’in no Miya Haruhito Ō 閑院宮春仁王], nach Peking und Nanking General Prinz Asaka Yasuhiko (1887–1981) [Asaka no Miya Yasuhiko Ō 朝香宮鳩彦王] und in die Mandschurei Oberstleutnant Prinz Takeda Tsuneyoshi (1909–1992) [Takeda no Miya Tsuneyoshi Ō 竹田宮恒徳王], die ortskundig waren. Und siehe da: „Innerhalb einer Woche nach Verkündigung der Kapitulation schwiegen so gut wie an allen Fronten die Waffen.“

Die Ereignisse zwischen Mitte August und Anfang September 1945 – der Tennō wies die Regierung am 14./15. August an [die Zeit vom Mittag des 14. bis zum High Noon des 15. August 1945 gilt seit dem episch und dramaturgisch einfühlsam und formvollendet inszenierten Film „Japan’s Longest Day“ („Nihon no Ichiban Nagai Hi“ 『日本のいちばん長い日』) als nicht enden wollender Tag in der Geschichte Japans], die Bedingungen der Potsdamer Erklärung vom 26. Juli 1945 anzunehmen, und am 2. September unterzeichneten der Außenminister und ein General für den Tennō und im Auftrag des Kaisers und des Generalhauptquartiers die japanische Kapitulationsurkunde auf einem amerikanischen Kriegsschiff in der Sagami-Bucht im Westen der Präfektur Kanagawa unweit Yokohama – gelten in der japanischen Geschichtsschreibung als Zeitenwende und Epochengrenze zwischen Moderne [Kindaishi 近代史] und Gegenwarts- beziehungsweise Zeitgeschichte [Gendaishi 現代史].

Da es sich aus der Sicht der erwiesenermaßen mehrheitlich patriotisch befangenen Japaner, wie man sie unter Politikern und Militärs sowie im ganz gewöhnlichen Volk auch und gerade in den 1930er und 1940er Jahren als Nationalismus nipponistischer Prägung zuhauf fand, beim Pazifischen/Großostasiatischen/Fünfzehnjährigen Krieg – auch ohne Jurastudium – ganz eindeutig um die völker[gewohnheits]rechtliche Kategorie eines total gerechten Krieges [lat. (ius) Bellum iustum; jp. Seisenron 正戦論, auch Tadashii Sensōron 正しい戦争論] handelte, waren und sind Kategorien wie Schuld und Sühne als tiefempfundenes persönliches, menschliches, wahrhaftiges Gefühl fehl am Platze für die militärisch unterlegene Partei; alles andere wäre ja auch Heuchelei. Gefälligkeits- und Notlügen wie die von Premierminister Prinz Higashikuni zur – moralischen – Unschuld und Friedensliebe von Kaiser Hirohito wurden von General MacArthur und anderen einflussreichen Figuren nicht für bare Münze genommen, aber auch nicht samt und sonders in Frage gestellt, verworfen oder zurückgewiesen. Aus der Sicht des Buchautors „(erwies) sich Higashikuni für die vorliegende Studie als von größter Bedeutung“; obwohl dieser Prinz i.w.S. im Feindesland China seit 1937 die Heeresfliegerhauptabteilung und danach die 2. Armee befehligte, seit 1939 als General im Generalstab diente und während des Pazifischen/Großostasiatischen Krieges als Oberkommandierender der Luftverteidigung für das japanische Mutterland fungierte, wird er unter dem Gesichtspunkt der „Friedenssuche“ und der „Kriegsbeendigung“ [Shūsen Kōsaku 終戦工作] gemäß einer dichotomischen Betrachtungsweise – „Friedensfaktion“ [Waheiha 和平派] versus „Kriegsfaktion“ beziehungsweise „Entscheidungsschlachtfaktion“ [Shusenha, Shusen Ronsha 主戦派・主戦論者] – unter jene subsumiert und läutete während seiner relativ kurzen, 54-tägigen Übergangszeit auch und gerade als Premierminister eine neue Zeit ein.

Fragen einer etwaigen oder allfälligen Kriegsverantwortung des Kaisers wurden von der amerikanischen Hauptbesatzungsmacht ex cathedra aus pragmatischen, fiskalischen und zukunftsorientiert-weltpolitischen Erwägungen heraus relativ früh und klar durch selektives Handeln und Nichthandeln beantwortet; da konnte sogar ein Fürst Konoe Fumimaro 近衞文麿 (1891–1945), der selbst bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges unter anderem als Premierminister (06/1937–01/1939, 07/1940–10/1941), Präsident des Adelshauses (06/1933–06/1937), Präsident des Geheimen Staatsrates (01/1939–06/1940), Außen- und Kolonialminister sowie im ersten Nachkriegskabinett unter Prinz Higashikuni als Staatsminister (Kokumu Daijin) fungiert hatte und für seinen ausgeprägt spärlichen, aber charaktervollen Oberlippenbartwuchs bekannt war und am Ende Suizid mit Cyanid beging, noch so penetrant vor den Augen und Ohren der US-Besatzungsmacht sowie der Weltpresse einer Abdankung des Kaisers das Wort reden. Kaiser Hirohito und seine Familie i.e.S. wurden im Wesentlichen aus zwei Gründen ex post mit einer Quasi-Immunität und -Indemnität exkulpiert: Erstens wegen seiner zentralen Rolle bei der für die USA vergleichsweise verlustarmen Beendigung des Pazifischen/Großostasiatischen Krieges und der geregelten Besetzung Japans mit einer überschaubaren Truppen- und Personalstärke, indem weitgehend die japanische Verwaltungsorganisation für amerikanische Reformen genutzt werden konnte, was auch für die Besetzten unverhoffte Vorteile bot. Wegen der Reduzierung der Truppenstärke um rund zwei Drittel – von 600.000 auf 200.000 Mann – im ersten Jahr der Okkupation konnte die US-Besatzungsmacht im Rahmen des operativ-taktisch-strategischen Ziele-Mittel-Quidproquos und der kurz-, mittel- und langfristigen Bekämpfung von Kommunismus und Bolschewismus auch rund 800.000 Tonnen Nahrungsmittel einsparen und an die japanische Bevölkerung verteilen. Das geschah zweitens, weil die USA im Rahmen von zahlreichen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Reformen für Japan vorausschauenderweise schon früh ein demokratisiertes Symbolkaisertum [Shōchō Tennō Seido 象徴天皇制度], eine politisch-militärische Bündnispartner- beziehungsweise moderne Vasallenschaft sowie eine Rolle als antikommunistischer „unsinkbarer Flugzeugträger“ [Fuchin Kūbo 不沈空母] bereits zeitig ventiliert hatten und nach und nach auf den Weg brachten und sukzessive verwirklichten.

Auf einen Amtszeitweltrekord Kaiser Hirohitos hätten gegen Ende des Zweiten Weltkrieges Mitte August 1945 vermutlich weder seine prinzlichen Brüder noch seine Mutter einen Yen gewettet. Im Gegenteil: Die Genannten sollen gemäß dem Buchautor innerfamiliär eine heilige (= kaiserliche) Entscheidung [Seidan 聖断] für einen proaktiven Rücktritt herbeigesehnt, ja -gefleht und zum Teil sogar halböffentlich und mehr oder weniger höflich verklausuliert angeregt bis gefordert haben; auf einer Sitzung des Geheimen Staatsrates (Sūmitsuin) Ende Februar 1946 „erhob sich Prinz Mikasa [die Teilnahme eines Prinzen an Beratungen des Sūmitsuin war neu] und forderte, die Stellung des Tennō eindeutig festzulegen, da sonst die Regierung später in Schwierigkeiten geraten und Versäumnisse bedauern könnte. Kabinett und Kaiserhaus müssten altes Denken ablegen und sich zu einer kühnen Tat durchringen. Der anwesende Tennō soll daraufhin kreidebleich geworden sein.“ Gemäß Prinz Higashikuni soll Kaiser Hirohito bei drei Gelegenheiten eine Abdankung erwogen haben: Bei der Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde (1945), bei der Revision der neuen Verfassung (1946) und bei Abschluss des Friedensvertrages von San Francisco (1951), ohne die Volksrepublik China, die Sowjetunion und Indien. Der Verfasser des Buches hat herausgefunden, dass vor allem Lordsiegelbewahrer Kido Kōichi 木戸幸一 (1889–1977), Langzeit-Premier- und Außenminister Yoshida Shigeru 吉田茂 (1878–1967) sowie das Besatzungsoberkommando in Person von General Douglas MacArthur zeitweilige Neigungen von Kaiser Hirohito für eine Abdankung zugunsten seines ältesten Sohnes Akihito niedergeschlagen und im Keim erstickt haben. Der demokratisch geläuterte und obendrein mit dem Oktroi des Frauenwahlrechtes beschenkte Kaiser Hirohito – dass die in den Artikeln 14 und 24 der neuen japanischen Verfassung von 1946/47 klarer und deutlicher als in der amerikanischen Verfassung formulierte Gleichberechtigung von Männern und Frauen enthalten ist, verdankt sich nicht zuletzt der österreichischstämmigen Amerikanerin Beate Sirota Gordon (1923–2012) und der amerikanischen Ökonomin Eleanor Martha Hadley (1916–2007), die damals für die US-Besatzungsmacht tätig waren – war fortan ein antikommunistischer Symbolmonarch [Shōchō Tennō 象徴天皇]. Er symbolisiert(e) gemäß Artikel 1 der neuen Verfassung von 1946/47 die Lebenslüge des kapitalistischen Klassenstaates, die „Einheit der Nation Japans“ [Nihon Kokumin Tōgō no Shōchō 「日本国民統合の象徴」], in der alle sozialen und ökonomischen Gegensätze und Widersprüche in einem nationalen Wir aufgehoben sind respektive seien.

Gerhard Krebs weist auf die Wichtigkeit der Quäker beziehungsweise der Religiösen Gesellschaft der Freunde für die Besatzungszeit hin: Die Beziehungen zwischen amerikanischen und japanischen Vertretern und Vertreterinnen des Quäkertums waren durch den Pazifischen Krieg zeitweilig unterbrochen worden und durften nun – nicht zuletzt zu Nutz und Frommen der Monarchie – wiederbelebt und -gepflegt werden. Auch wurde die im Geistesleben großer Teile der Bevölkerung eminent bedeutsame Trinität des Weges der Gottheiten [Shintō 神道], des Konfuzianismus [Jukyō 儒教] und des Buddhismus [Bukkyō 仏教] um das Christentum [Kirisutokyō キリスト教] erweitert: MacArthur brachte „2500 Missionare und 10.000 Bibeln in japanischer Übersetzung ins Land“, und im Kaiserpalast fanden über Nacht mit einem Mal „Bibelstunden“ statt und bereicherten die Hofkultur, zumindest bis zur Unterzeichnung des Friedensvertrages von San Francisco im Jahr 1951.

Das Prinzen-Buch endet im letzten Absatz auf elf Zeilen mit einem staatsmännisch-symbolkaiserlichen [Nicht]-Entschuldigungen-[tiefe]-Trauer-[tiefes]-Bedauern-[tiefe]-Pein-[wieso, weshalb, warum]-Reue-Vergleich zwischen Vater/Kaiser Hirohito (1901–1989) der Shōwa-Zeit (1926–1989) und Sohn/Kaiser Akihito (1933–) der Heisei-Zeit (1989–2019, seitdem Kaiser Emeritus) exempli causa gegenüber dem historischen und gegenwärtigen (süd-)koreanischen Volk für 35 Jahre Kolonialgeschichte (1910–1945) sowie dem (vr-)chinesischen Volk für den, ja für welchen Krieg eigentlich? Den Ersten Japanisch-Chinesischen Krieg (1894/95), also für 50 Jahre Kolonialgeschichte Taiwans? Das wäre historisch ungenau und geht außerdem schon aus Gründen der aktuellen japanischen Staatsräson nicht, weil Japan damit anerkennen würde, dass Taiwan aktuell und historisch eine Provinz Festlandchinas sei. Also, wenn überhaupt, dann wohl eher für den Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg (1937–1945) oder – Japan läßt sich hier möglicherweise nicht lumpen – den Fünfzehnjährigen Krieg (1931–1945). Gerhard Krebs reißt zum Ausklang seines reputierlichen Werkes ein Thema an, das es wert wäre – der Eindeutigkeit und Deutlichkeit halber gern auch mit originalsprachlichen Zitaten und Übersetzung – eingehender diskursiv und analytisch diskutiert zu werden; aus der Sicht des Buchautors soll Sohn/Kaiser Akihito gegenüber Vater/Kaiser Hirohito – schließlich und endlich moralisch gleichsam als kompromissloser Versöhner der Völker – gepunktet haben, zum Beispiel weil jener nicht nur als erster Tennō überhaupt – zusammen mit Seiner Majestät der Kaiserin (Michiko) – vom 23. bis zum 28. Oktober 1992 China besucht, sondern auch „‚Trauer‘ über den [Fünfzehnjährigen/Zweiten Japanisch-Chinesischen?] Krieg“ (1931/1937–1945) zum Ausdruck gebracht habe. Ob man seiner Majestät dem Kaiser (Akihito) hier soviel Vergegenständlichung (Konkretion) bei- und unterlegen darf, erscheint dem Rezensenten fraglich; nicht umsonst wird das Eigenschaftswort „diplomatisch“ im übertragenen Sinne allgemein auch als „gewandt, klug und berechnend“ verstanden.

Ob man Seiner Majestät dem Kaiser (Akihito) und Ihrer Majestät der Kaiserin (Michiko) [Tennō Kōgō Ryō Heika 天皇皇后両陛下] eine China-Reise, die beiden nach übereinstimmender Aussage die japanische Regierung respektive der japanische Premierminister als Obliegenheit und Dienstreise angetragen hatte, sich also Kaiser und Kaiserin beide gar nicht selbst frei ausgesucht hatten – drei Tage nach Michikos 58. Geburtstag –, im Vergleich zu Vater/Kaiser (Hirohito) zugute halten sollte, erscheint diskussionswürdig. Und Trauer respektive Bedauern respektive Pein oder gar eine gefühlte und an den Haaren herbeigezogene, also irgendwie geartete „Entschuldigung“ [Shaizai 謝罪] per se in abstracto ohne konkreten Bezug zu bestimmten explizit verbalisierten Gründen und Inhalten besitzt wenig Aussagekraft.

Selbstverständlich hat der Verfasser des Buches recht, wenn er feststellt, dass Kaiser Hirohito es bis zum Ende der japanisch-vr chinesischen Eiszeit vom 29. September 1972 (Gemeinsame Erklärung zur Normalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen Japans und der VR China) – Japan hatte sich Taiwan und vice versa Anfang der 1950er Jahre aus antikommunistischer Staatsräson heraus bewusst schon früh(er) angenähert – und bis zum Beginn der vermeintlichen japanisch-vr chinesischen Warmzeit vom 23. Oktober 1978 (Ratifikation des Friedens- und Freundschaftsvertrages zwischen Japan und der VR China) gegenüber dem faktisch hochrangigsten Repräsentanten der VR China „bei der knappen Bemerkung belassen (habe)“, dass es in der Moderne „unglückliche Ereignisse in der langen Geschichte der chinesisch-japanischen Beziehungen (gab)“. Aber: Dieselbe Bemerkung zur „unglückseligen Geschichte“ [„Kindai ni oite, fukō na rekishi ga arimashita.“ 「近代において,不幸な歴史がありました。」] und weitere kommensurable wohlüberlegte, formelhafte politische Floskeln sowie diplomatisch signifikanten elaborierten Code hat freilich auch Hirohitos Sohn Akihito während seiner Amtszeit als Kaiser von Japan gegenüber chinesischen und koreanischen Spitzenpolitikern benutzt, zum Beispiel am 15. Oktober 1992, wenige Tage vor der in Rede stehenden historisch ersten Reise eines japanischen Tennō zusammen mit seiner Ehegemahlin in die Volksrepublik China (23.–28.10.1992). An diesem Tag nahmen Seine Majestät der Kaiser (Akihito) und Ihre Majestät die Kaiserin (Michiko) vor akkreditierten Journalisten im Kaiserpalast in Tokyo an einer Pressekonferenz teil und beantworteten gemeinsam zehn Fragen sowie eine Bonusfrage, die intersubjektiv überprüfbar im Wortlaut bis gestern und möglicherweise „in aeternum“ auf der Homepage des Ministeriums für den Kaiserlichen Haushalt nachzulesen ist [www.kunaicho.go.jp/okotoba/01/gaikoku/gaikoku-h04-china.html].

Seine Majestät der Kaiser (Akihito) stellte in seiner Antwort auf Frage 2/10 zum Charakter der sechstägigen China-Reise im Oktober 1992 klar, dass es sich um einen Staatsbesuch und eine Dienstreise aus Anlass des 20. Jahrestages wegen der „Normalisierung der japanisch-chinesischen Beziehungen“ handelt [„Kono tabi, kokkō seijōka nijū nen no kikai ni Chūgoku o hōmon suru koto ni narimashita.“ 「この度,国交正常化20周年の機会に中国を訪問することになりましたが,(…)。」]. Seine Majestät der Kaiser (Akihito) geruhte in seiner Antwort auf die offiziell letzte Frage 10 – er sprach übrigens in einem Stil und Schwierigkeitsgrad, dass ein japanischer Grundschüler ihn vermutlich auch nachträglich recht gut verstünde, hier hat sich seit dem 14. August 1945 doch viel getan, als man noch einen japanischen Sinologen und Spezialisten für Klassisches Chinesisch benötigte, um der Regierung und dem Volk eine (fast) bedingungslose Kapitulation nahezubringen – auf der Pressekonferenz vom 15. Oktober 1992 den Anwesenden mitzuteilen, dass er sich darauf freue, während seines bevorstehenden China-Besuches viele Chinesen zu treffen [„Chūgoku hōmonchū, ōku no Chūgoku no hitobito ni o-ai suru koto o tanoshimi ni shite orimasu.“ 「中国訪問中,多くの中国の人々にお会いすることを楽しみにしております。」]. Da es sich um eine kurze Reise handele – „Dienstreise“ gab nicht nur Seine Majestät der Kaiser (Akihito) in der Pressekonferenz sowie später noch wiederholt zu Protokoll, auch Ihre Majestät die Kaiserin (Michiko) erhellte diesen Umstand der Unfreiwilligkeit gleich in ihrer ersten kurzen Bemerkung [„Kono hōmon o tanoshimi ni, kokoro o komete tsutome o hatashite mairitai to omoimasu.“ 「この訪問を楽しみに,心を込めて務めを果たしてまいりたいと思います。」] –, „bedauere er“ [„(…) zannen ni omotte imasu.“] grammatikalisch kontinuativ, d.h. mindestens bis zum Ende der China-Reise, nicht genügend Zeit für Gespräche mitzubringen [im ganzen Wortlaut: „Shikashi, tankikan de arimasu no de, jūbun o-hanashi suru jikan ga torenai koto o zannen ni omotte imasu.“ 「しかし,短期間でありますので,十分お話しする時間がとれないことを残念に思っています。」]. Das ist – bis auf die Kontinuativform des Verbs – dieselbe Formulierung, die er schon gegenüber Li Peng im Jahr 1989, nach etwa drei Monaten im Amt als neuer „Symbolkaiser“ (Shōchō Tennō) des „demokratischen“ [Seine Majestät der Kaiser (Akihito)] „Landes der aufgehenden Sonne“ (Nihon/Nippon) benutzt hat. Als Gewährsmann kann hier reliablerweise Seine Majestät der Kaiser (Akihito) höchstderoselbst angeführt werden; denn die Dokumentation der Pressekonferenz auf der Homepage des Amtes für den Kaiserlichen Haushalt endet mit der Bonusfrage [Kanren Shitsumon 関連質問], die auf Seine Majestät des Kaisers (Akihito) „Gefühlslage“ gegenüber Li Peng im April 1989 hinsichtlich der Geschichte der japanisch-chinesischen Beziehungen in der Moderne abhob. Der Journalist sagte, er habe früher einmal vernommen, Seine Majestät der Kaiser (Akihito) habe dem hochrangigen chinesischen Politiker gegenüber damals „Ikan no i o arawashimasu“ 「遺憾の意を表します」 (eine ältere, formelle Form des Bedauerns) geäußert. Gemäß einer anderen Quelle habe er auch gehört, dass Seine Majestät der Kaiser (Akihito) tatsächlich doch vielleicht eher „Zannen ni omoimasu“ 「残念に思います」(eine modernere, persönliche Form des Bedauerns) eingeflochten habe. Um welche „Gefühlslage“ handelte es sich wohl damals [„(…) Sono toki no o-kimochi wa ika ga datta no ka (…)“.(…)その時のお気持ちはいかがだったのか,(…)], schiebt der Journalist noch (einmal) fragend hinterher?! Seine Majestät der Kaiser (Akihito) antwortet, auf seine symbolkaiserliche „Gefühlslage“ ostensiv nicht eingehend, am Ende freilich gleichsam als Höhepunkt oder Tusch wirkend, woran er sich erinnere, was er zu Li Peng gesagt habe (man beachte die als Resultativ deutbare Verbform, das ist grammatikalisch und diplomatisch aber möglicherweise auch negligierbar): „Zannen ni omoimasu“ 「残念に思います」, oder die ganze Antwort auf die Bonusfrage im vollen Wortlaut, Seine Majestät der Kaiser: „Ich erinnere mich, dass ich damals sagte, dass ich (etwas) bedauere.“ [Tennō Heika: „Sono toki ni wa, zannen ni omoimasu to iu koto o itta yō ni kioku shite imasu.“ 天皇陛下:その時には,残念に思いますということを言ったように記憶しています。] Dass Seine Majestät der Kaiser (Akihito) hier in der mit einem Satz beantworteten Bonusfrage der Pressekonferenz in der Verbform nicht den Kontinuativ benutzt, wie in seiner direkt vorhergehenden Antwort auf Frage 10, worin er „bedauert“, (zu) wenig Gesprächszeit für die vielen Chinesen zu haben (man beachte die als Kontinuativ auffassbare Verbform), die er auf seiner China-Reise voraussichtlich treffen werde [„Zannen ni omotte imasu.“ 「残念に思っています」], ist aufschlussreich. Seine Majestät der Kaiser (Akihito) fügte übrigens noch an, dass er sich ganz besonders für die japanischen Gesandtschaften ins China der Tang-Dynastie (618–907) [ch. Tángcháo, jp. Tōchō 唐朝] zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert n.u.Z. und ihre Hauptstadt Chang’an (später Xi’an) interessiere und in diesem Gebiet sich ihrer zu erinnern gedenke; während der Tang-Zeit wurde bekanntlich der Titel Tennō und der Ländername Nihon/Nippon im „Land der aufgehenden Sonne“ dauerhaft etabliert.

Ganz allgemein empfiehlt der Rezensent, formelhafte Floskeln und elaborierte Codes nicht als mehr oder weniger inhaltsleer, ausdrucksarm, inadäquat und substanzlos anzuprangern, was sie unbestritten auch sind. Stattdessen rät er, ihre Signifikanz, Relevanz und Funktion[alität] zu decodieren und in aufklärerischer Absicht zu erklären. Denn im Zweifel sind eine bemängelte vordergründige semantische Leere, Unkonkretheit, Inhaltsarmut und Kontexlosigkeit sowie lauwarme, reueähnliche Bekundungen die zentrale Botschaft: sprachlich elaboriert formulierte, ausgesucht-erlesene, dezidierte Nicht-Entschuldigungen.

Der Wahrnehmung des Rezensenten zufolge haben Vater/Kaiser Hirohito und Sohn/Kaiser Akihito bislang beide erfolgreich gepunktet auf dem Gebiet der demonstrativ kurz, allgemein, ausdrucks-, bedeutungs- und inhaltsarm sowie unkonkret gehaltenen Nichtentschuldigungs-Entschuldigungen [engl. non-apology apology, jp. Shazaifū no Shazai 謝罪風の謝罪] gegenüber offiziellen und hochrangigen Staatsgästen der japanischen Regierung aus der VR China und Südkorea. Vater/Kaiser Hirohito und Sohn/Kaiser Akihito sollte man in dieser Hinsicht besser nicht auseinanderdividieren; nach dem Dafürhalten des Rezensenten fällt der Apfel in dieser Frage nämlich nicht so weit vom Stamm wie der Autor des Buches es auf den letzten Zeilen vermeint. Oder mit einem japanischen Sprichwort: „Das Kind eines Frosches ist ein Frosch.“ [Kaeru no ko wa kaeru 蛙の子は蛙 = Wie der Vater, so der Sohn.]

Japanische Staatsgäste und offizielle Gesprächspartner waren während der Amtszeit der beiden obengenannten Kaiser die chinesischen Politiker Deng Xiaoping (1904–1997) und Li Peng (1928–2019) sowie die südkoreanischen Präsidenten Chun Doo-Hwan (1931–2021, Amtszeit 1980–1988) und Roh Tae-Woo (1932–2021, Amtszeit 1988–1993). Letzterer, so legen am 29. März 2021 deklassifizierte Dokumente des südkoreanischen Außenministeriums nahe, war anscheinend kognitiv so herausgefordert, eine konkrete(re), ehrliche(re) und wahrhaftige(re) Entschuldigung und tief(er) empfundenes Bedauern (im Vergleich zum Vater gegenüber seinem präsidialen Vorgänger) schon im Vorfeld des Staatsbesuches gegenüber dem japanischen Außenministerium diplomatisch vorsichtig anzumahnen respektive zu prätendieren. Für einen später Präsident gewordenen Ex-General, der im japanisch annektierten Korea geboren wurde und aufwuchs, kann man menschlich Verständnis für solch eine unkluge diplomatische Äußerung entwickeln, intellektuell herausfordernd und leicht unkomfortabel bleibt so eine Forderung in jedem Fall. Weder „Ikan ni omoimasu.“ 「遺憾に思います」 noch „Zannen ni omoimasu.“ 「残念に思います」 waren/sind darauf berechnet, als Entschuldigungen oder Einleitungen für ebensolche zu dienen. Sie drücken auf unterschiedliche Weise „Bedauern“ aus und sind kontextabhängig.

„Ikan ni omoimasu.“ [「遺憾に思います」] respektive „Ikan no i o arawashimasu.“ [「遺憾にの意を表します」], „Zannen ni omoimasu.“ [「残念に思います」] und „Tsūseki no nen o kinjiemasen.“ [「痛惜の念を禁じえません」] und ähnliche diplomatische Formeln des (tiefen/tiefempfundenen) „Bedauerns“, der (tiefen/tiefempfundenen) „Trauer“ und der (tiefen/tiefempfundenen) „Pein“ kann auch und gerade ein symbolkaiserlicher Himmlischer Herrscher (Tennō) mit soviel Höflichkeitssprache [Keigo 敬語] und Höflichkeitsformen (Honorifika), wie zum Beispiel ehrerbietig-höflichen Ausdrücken [Sonkeigo 尊敬語], bescheiden-höflichen Ausdrücken [Kenjōgo 謙譲語] und höflichem desu/masu-Stil etc. [Teineigo 丁寧語] sowie freundlichen Zwischen-, Neben- und Untertönen sowie Bei- und Anklängen von reueähnlichen Anflügen versehen und ausschmücken, daraus wird keine (tiefe/tiefempfundene) „Entschuldigung“ [Shazai 謝罪]. Anders liegt der Fall selbstredend, wenn man (nur) heraushört, was man heraushören und glauben will.

Was ist nun eigentlich der Unterschied zwischen „Zannen“ 「残念」 und „Ikan“ 「遺憾」? Welche Gemütsbewegungen transportieren und signalisieren „Zannen“ 「残念」 und „Ikan“ 「遺憾」? Vielleicht liegt der Unterschied in der Differenz und ist in unserem symbolkaiserlichen Pressekonferenz-Beispiel (15.10.1992) letztlich Jacke wie Hose; in Verbindung mit dem Suffixverb -masu (formeller Stil) erscheinen beide zunächst einmal grundsätzlich höflich, wie es der Natur einer Höflichkeitsform (Honorifikum) geschuldet ist. Aber was heißt und bedeutet das im Zusammenhang mit Angriffs-/Befreiungskriegen für/gegen mehr als ein Dutzend Länder in Ost- und Südostasien mit Opferzahlen im zweistelligen Millionenbereich eines Rechtsnachfolgers der Täter-/Befreiernation gegenüber hochrangigen Politikern aus zwei benachbarten Opfernationen/kriegerisch befreiten Nationen im Laufe der Jahre und Jahrzehnte? „Zannen (ni omoimasu).“ ist subjektiv-persönlicher; jeder Grundschüler in Japan kennt und versteht den Begriff und könnte ihn anwenden. Als Ausdruck des Bedauerns ist dieser Satz zugleich „schlicht und einfach“ [tanjun 「単純」], wirkt in der japanischen Gegenwartssprache als „leicht“ [karui 「軽い」] und wird gern und häufig benutzt beziehungsweise mehr oder weniger wohlüberlegt dahingesagt. Darüber hinaus wirkt er deshalb zugleich als verhältnismäßig „schwach“ [yowai 「弱い」], ist aber wichtig als zwischenmenschliches kommunikatives Signal des Bedauerns. Der Benutzer dieser Phrase respektive Formel findet etwas bedauerlich, schade, betrüblich, eben deplorabel, aber was, das ist kontextabhängig und (per se noch) nicht unbedingt expliziert und kann von beiden Seiten unterschiedlich interpretiert und somit auch (miss-)verstanden werden. Es handelt sich dabei auf jeden Fall um ein Bedauern, nicht um eine Entschuldigung!

Noch delikater wird die Sache im Fall von „Ikan ni omoimasu.“ [「遺憾に思います」] respektive „Ikan no i o arawashimasu.“ [「遺憾の意を表します」], weil ein Sprecher mit Hilfe von „Ikan“ 「遺憾」 situativ und kontextabhängig sowohl eigenes Bedauern als auch Kritik am Gegenüber zum Ausdruck bringen kann. Es handelt sich in jedem Fall um einen formelleren Ausdruck, über den Japaner in den meisten Fällen wohl in der Regel frühestens als Oberschüler oder Studierende nachdenken, weil er nicht selten auf der gesellschaftlichen Bühne oder im Rampenlicht der Öffentlichkeit von Politikern und Unternehmern oder Firmenangestellten in ganz bestimmten Situationen verwendet wird. In diesen treten sie demonstrativ modest, aber dezisiv und prononciert als Repräsentanten ihres Staates oder ihrer Organisation für ein ex- oder auch intern als Fehlverhalten identifiziertes Handeln auf und gerieren sich gleichsam als höflich-bescheiden-(reuige?) Büßer oder auch höflich, aber bestimmt als Kritiker des Gegenüber. Der letztere Ausdruck ist somit verhältnismäßig „komplex“ [fukuzatsu 「複雑」], „schwer“ [omoi 「重い」] und „stark“ [tsuyoi 「強い」]. Ikan 「遺憾」 bedeutet im Kern, dass sich etwas nicht erwartungsgemäß entwickelt hat und das war/ist bedauerlich. Der Begriff konfiguriert, großzügig interpretiert, als eine indirekte Entschuldigung, höchstens! Kurz: „Ikan“ 「遺憾」 ist ein amphibolischer Begriff, dessen Ambiguität politisch berechnend eingesetzt werden kann und wird. Auf dem Gebiet des „Bedauerns“, des „tiefen Bedauerns“, des gehoben-geheuchelten sowie des komplex-ehrlichen „Bedauerns“ nicht zuletzt für verlorene Kolonialgebiete, auch das ist je nach Perspektive und Standpunkt bedauerlich.

Der Rezensent empfiehlt das Prinzen-Buch allen, die sich für die japanische Geschichte des Untersuchungszeitraumes im engeren Sinne sowie den spirituellen Spannungsbogen des Werkes im weiteren Sinne interessieren. Glücklich, wer die Ursachen der Dinge zu erkennen vermochte, im Original: „Felix qui potuit rerum cognoscere causas“ (Vergil).

Bibliographische Angaben
Gerhard Krebs: Spannungen im japanischen Kaiserhaus.
Prinzen als Oppositionelle in Krisen-, Kriegs- und Besatzungszeit 1930–1951.
Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens. Iudicium, München, 2021,
325 Seiten, 30,00 EUR
ISBN-13: 9783862056736

Der Verfasser
Gerhard Krebs
Geboren 1943 in Warschau, Studium der Geschichte und der Germanistik in Hamburg und Freiburg i. Br., Stipendiat an der Naganuma-Schule und der Sophia-Universität in Tokyo. Lektor an der Waseda-Universität in Tokyo. Promotion am Historischen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg in Freiburg, Lektor an der Waseda-Universität, im Anschluss daran wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Freiburg. Forscher am Deutschen Institut für Japanstudien in Tokyo sowie am Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam. Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin und der Universität Trier. Habilitation an der Universität Hamburg im Fach Japanologie. Gastprofessor für Japanologie an der Freien Universität Berlin. Zahlreiche Publikationen auf dem Gebiet der japanischen Militär- und Diplomatiegeschichte der Neuzeit und der Gegenwart sowie der deutsch-japanischen Beziehungen im 20. Jahrhundert.

Anmerkung: Die Kurzfassung (ca. 6 S.) und die Langfassung (ca. 28 S.) der Rezension zum Prinzen-Buch von Gerhard Krebs sind in der Februar-Ausgabe Nr. 2 des Jahres 2023 (Themenschwerpunkt: „Krieg und Frieden“) im Rezensionsportal von literaturkritik.de erschienen.

Das Leben ist kurz. [6]

人生蜉蝣の如し
Jinsei kagerō no gotoshi
Das menschliche Leben währt so kurz wie das einer Eintagsfliege.
Das Leben ist kurz.

人生蜉蝣の如し
Jinsei kagerō no gotoshi
Human life is as short as that of a mayfly.
Life is short.

Anmerkung
Synonyme japanische sprichwörtliche Redensarten sind zum Beispiel 「人生は風前の灯」 Jinsei wa fūzen no tomoshibi [Das Leben ist wie eine Kerze im Wind.], 「光陰人を待たず」 Kōin hito o matazu [Die Zeit wartet auf niemanden.], 「光陰に関守なし」 Kōin ni sekimori nashi [Die Zeit lässt sich nicht anhalten. (wörtlich: Die Zeit hat keinen Grenzwächter.)], 「人生は風灯石火の如し」 Jinsei wa fūtō sekka no gotoshi [Das menschliche Leben ist so kurz wie der Funke von Schwefelkies und Feuerstein im Wind.] und 「人生は朝露の如し」 Jinsei wa chōro no gotoshi [Das menschliche Leben ist so vergänglich wie der Morgentau.].

Stille Wasser sind tief. [1]

能ある鷹は爪を隠す
Nō aru taka wa tsume o kakusu
Ein fähiger Falke versteckt seine Klauen.
Katzen verstecken ihre Krallen.
Stille Wasser sind tief.

能ある鷹は爪を隠す
Nō aru taka wa tsume o kakusu
A clever hawk hides his claws.
Cats hide their claws.
Still waters run deep.