Glück und Unglück liegen nahe beieinander. [2]

「人間万事塞翁が馬」
Ningen banji sai ō ga uma
Alles im menschlichen Leben ist wie die Geschichte vom Pferd des alten Mannes.
Glück im Unglück, Unglück im Glück
In allem Schlechten liegt das Gute im Ansatz schon verborgen.
Es hat alles sein Gutes.
Glück kann jederzeit in Unglück umschlagen und umgekehrt.
Glück und Unglück liegen nahe beieinander.

「人間万事塞翁が馬」
Ningen banji sai ō ga uma
Everything in human life is like the story about the horse of the old man.
Misfortune begets fortune, and fortune begets misfortune.
A setback may turn out to be a blessing in disguise.
Every cloud has a silver lining.
A joyful evening may follow a sorrowful morning.
Joy and sorrow are today and tomorrow.

Anmerkung
Die obengenannte japanische Redewendung stammt ursprünglich aus China und ist eine sprichwörtliche Redensart [ch. chéngyǔ 成语 / 成語, jp. seigo], die auf einer alten Begebenheit [ch. gùshì 故事, jp. koji seigo 故事成語] beruht. Auf Japanisch kann Ningen banji sai ō ga uma「人間万事塞翁が馬」 auch Sai ō ga uma 「塞翁が馬」 abgekürzt werden. Und ningen 「人間」 kann auch jinkan gelesen werden. Chinesischen Grund- und Mittelschülern begegnet das obenstehende Gleichnis der untenstehenden Erzählung in etwa wie folgt: „War es nicht letztlich ein Glück, dass dem Alten an der Grenze sein Pferd davonlief?“ [「塞翁失马,焉知非福」 Sài wēng shī mǎ, yān zhī fēi fú]. Die Parabel kann daher auch frei „Glück im Unglück, Unglück im Glück“ übersetzt werden.

Kurze Zusammenfassung: Im alten China wohnte im nördlichen Grenzland in der Nähe einer Festung ein älterer Mann, der sich auf Zeichendeutung verstand. Sein Pferd entlief ihm eines Tages in das Gebiet der Xiongnu 匈奴 [ch. Xiōngnú, jp. Kyōdo], einem Volk von Reiternomaden. Die Leute hatten Mitleid mit ihm, aber er glaubte fest an eine positive Wendung: Das Glück wird mir bald wieder lachen. Und tatsächlich. Nach einiger Zeit kam sein Pferd zusammen mit einem anderen, viel edleren Pferd aus dem Gebiet der Xiongnu zurück. Die Leute beglückwünschten ihn wegen des rassigen Pferdes, und er dachte deshalb bei sich: Das wird nicht gut enden. Und so kam es auch. Als sein Sohn eines Tages auf dem neuen Pferd ritt, fiel er herunter und brach sich ein Bein. Als die Leute ihm einen Krankenbesuch abstatteten und ihn bedauerten, dachte der Greis bei sich: Das Unglück wird sicher bald wieder in Glück umschlagen. Und so kam es auch. Als die Xiongnu später im Grenzgebiet angriffen, wurde sein Sohn als Kranker nicht zum Kriegsdienst eingezogen, sondern davon befreit und wurde deshalb weder verletzt noch getötet, wie die meisten waffentauglichen Freiwilligen damals.

Als ursprüngliche Quelle der sprichwörtlichen Redensart aus dem Gleichnis gilt das chinesische philosophische Werk Huainanzi [ch. Huáinánzǐ 《淮南子》, jp. Enanji/Wainanji 『淮南子』] der Frühen Han-Dynastie (206 v.u.Z.–8 n.u.Z.). Ursprünglich wurde es als Honglie [ch. Hóngliè《鴻烈》] bezeichnet, ist aber auch bekannt unter den Werktiteln Huainan honglie [ch. Huáinán hóngliè 《淮南鴻烈》], Huainan neipian [ch. Huáinán nèipiān 《淮南內篇》], Huainan wangshu [ch. Huáinán wángshū 《淮南王書》] und Liuanzi [ch. Liúānzǐ 《劉安子》]. Der letztgenannte Liu An 劉安 (179–122 v.u.Z.) [ch. Liú Ān, jp. Ryū An] war der König von Huainan, heute eine Millionenstadt in der südöstlichen Binnenprovinz Anhui, und fungierte als gelehrter König zugleich als leitender Herausgeber des großenteils daoistischen Werkes, mit konfuzianischen und legalistischen Einschlägen.

Erfahrung ist der beste Lehrer.

門前の小僧習わぬ経を読む
Monzen no kozō narawanu kyō o yomu
Die Laufburschen vor dem Tempeltor rezitieren Sutren, die sie im Vorbeigehen gelernt haben.
Gebrauch thut mehr, als aller Меister Lehr.
Die Übung macht allein die kunsterfahrne Meister. /
Es kommen nicht zum Zwek, blos denkend, scharfe Geister.
Übung macht den Meister.
Erfahrung ist der beste Lehrer.

門前の小僧習わぬ経を読む
Monzen no kozō narawanu kyō o yomu
A shop‐boy near a temple will recite Buddhist scriptures without being taught.
A boy living near a Buddhist temple can learn an untaught sutra by heart.
A saint’s maid quotes Latin.
Solus et artifices qui facit, usus erit.
A good candleholder proves a good gamestar.
Experience is the best teacher.

Anmerkung
Diese sprichwörtliche Redensart steht auf der 45. von 48 Karten des traditionellen Iroha-Kartenspiels von Edo (Edo Iroha Karuta), heute Tokyo.

Wer wagt, gewinnt oder verliert.

当たって砕けろ
Atatte kudakero
Nutze die Gelegenheit, aber sei darauf gefaßt, pulverisiert zu werden.
Versuche dein Bestes und rechne gleichzeitig damit, zerschmettert zu werden.
Einen Versuch ist es vielleicht wert.
Was kann es schaden, wenn man es versucht?
Streng dich an, wenn du alles auf eine Karte setzt!
Geh auf’s Ganze, und lass es darauf ankommen!
Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.
Wer wagt, gewinnt oder verliert.

当たって砕けろ
Atatte kudakero
Try your best but be ready to get pulverized.
Take your chance and be prepared to crumble into dust.
Go for broke.
Take your venture, as many a good ship has done.
Sed quid tentare nocebit?
Nothing ventured, nothing gained.
You win or lose by the way you choose.
You win or lose by the way you try.

Anmerkung
Ein menschlich-allzumenschliches Anwendungsbeispiel ist das weite Feld von Yin und Yang. Ein Zeitgenosse, der möglicherweise seine Scheu überwindet, würde sich auf Japanisch unter Abwägung seiner Chancen auf Sieg und Niederlage eventuell wie folgt Mut machen, um seiner Angebeteten tiefempfundene Gefühle der Zuneigung zu gestehen: „Atatte kudakero da, furareru kakuritsu mo takai ga, kokuhaku no chansu o nogashitakunai.“ 「当たって砕けろだ、ふられる確率も高いが、告白のチャンスを逃したくない。」 = „Einen Versuch ist es vielleicht wert; die Wahrscheinlichkeit, einen Korb zu bekommen, ist groß, aber die Gelegenheit für ein Liebesgeständnis möchte ich mir nicht entgehen lassen.“

Nimm dich in Acht, was du zu wem sagst.

人を見て法を説け
Hito o mite hō o toke
Erst schau dir die Zuhörer an, dann halte deine Predigt.
Spalte das Holzscheit nach der Maserung.
Nicht jeder Braten mundet allen Mündern.
Nimm dich in Acht, was du zu wem sagst.

人を見て法を説け
Hito o mite hō o toke
Tailor your speech to the audience.
Cleave the log according to the grain.
All meat pleases not all mouths.
Beware what and to whom you speak.

Der erste Sieg

始めの勝ちは糞勝ち
Hajime no kachi wa kusogachi
Der erste Sieg ist ein Scheiß-Sieg. [vulg.]
Am Anfang gewinnen und am Ende verlieren.
Der erste Sieg bedeutet noch gar nichts.

始めの勝ちは糞勝ち
Hajime no kachi wa kusogachi
The first victory is a shit victory. [vulg.]
Win at first and lose at last.
The first victory is a damned worthless victory.

Anmerkung
Der erste Sieg in einer Reihe von Ausscheidungskämpfen sagt noch nicht viel über den endgültigen Sieger aus. Anstelle von Hajime no kachi wa kusogachi 「始めの勝ちは糞勝ち」 kann man auch Sakigachi wa kusogachi 「先勝ちは糞勝ち」 sagen.

Gehüpft wie gesprungen

五十歩百歩
Gojippo hyappo
Fünfzig Schritte oder hundert Schritte.
Das ist Jacke wie Hose.
Das ist gehüpft wie gesprungen.

五十歩百歩
Gojippo hyappo
Fifty steps or one hundred steps.
Six of one and half a dozen of the other.
It makes no odds.

Anmerkung
Die sprichwörtliche Redensart von den fünfzig oder hundert Schritten, die keinen Unterschied ausmachen, stammt aus der Zeit der Streitenden Reiche (5. Jh. v.u.Z. bis 221 v.u.Z.) beziehungsweise der östlichen Zhou-Dynastie (770–256 v.u.Z.) von dem chinesischen Gelehrten Mengzi 孟子 [ch. Mèngzǐ, jp. Mōshi, 372–289 v.u.Z., latinisiert Mencius]. Mengzi machte sich um die Durchsetzung des Konfuzianismus in China verdient, glaubte an das Gute in der menschlichen Natur und war ein früher Verfechter des Umweltgedankens unter besonderer Berücksichtigung von Nachhaltigkeit.

Eines Tages trifft König Hui 惠王 [ch. Huì Wáng, jp. Kei Ō] des Reiches Liang 梁 [ch. Liáng, jp. Ryō; vor der Hauptstadtverlegung nannte man das Reich eher Wei 魏 (ch. Wèi, jp. Gi)] Mengzi und klagt ihm sein Leid: Die Herrscher der benachbarten Reiche dächten beim Herrschen nicht – so wie er – an das Wohlergehen ihres Volkes; wenn sich zum Beispiel wegen einer Naturkatastrophe in Hedong eine Mißernte ereignet, hilft er seinem Volk selbstverständlich, versorgt es mit Lebensmitteln und siedelt es nach Henei um. Aber obwohl er ein so vorbildlicher, moderner Herrscher ist, wächst seine Bevölkerung genau so wenig wie die in den benachbarten Reichen mit altbackener Führung.

Was mag wohl der Grund sein, richtet er sich fragend an den Gelehrten. Mengzi denkt nach und antwortet sinngemäß: Seine Majestät mögen Kriege. Ich erlaube mir daher, den Krieg als Analogie zu benutzen. Auf dem Schlachtfeld läßt der Kampflärm den Himmel erschüttern. Zwei Armeen mögen sich in einer Pattsituation befinden, aber am Ende gibt es sicher einen Sieger und einen Verlierer. Die besiegten Soldaten werfen ihre Helme und ihre Rüstung weg und rennen flüchtend um ihr Leben. Manche fliehen fünfzig Schritte und halten an, während andere hundert Schritte laufen und abstoppen. Dann lachen die fünfzig Schritte Geflohenen über die Feigheit der hundert Schritte Enteilten. Denken seine Majestät, dass es hier angebracht sei, zu lachen? König Hui schlägt mit der Faust auf den Tisch und sagt: Natürlich nicht. Ganz gleich, ob sie fünfzig oder hundert Schritte fliehen, es sind die gleichen Deserteure. Mengzi erwidert lächelnd: Da seine Majestät den Sinn meiner Worte verstanden haben, können seine Majestät nicht erwarten, dass die Bevölkerung des Reiches Liang größer als die der Nachbarn ist.

Mehr ist nicht immer besser.

過ぎたるは及ばざるが如し
Sugitaru wa oyobazaru ga gotoshi
Niemals zuviel von etwas.
Mehr als genug ist zuviel.
Zuviel ist ebenso schlecht wie zu wenig.
Mehr ist nicht immer besser.

過ぎたるは及ばざるが如し
Sugitaru wa oyobazaru ga gotoshi
Never too much of anything.
More than enough is too much.
Too much is as bad as too little.
More is not always better.

Anmerkung
Für die sprichwörtliche Redensart „Zuviel ist nicht immer gut.“ erscheinen Sugitaru wa oyobazaru ga gotoshi 「過ぎたるは及ばざるが如し」 und Ōkerya yoi to wa kagiranai 「多けりゃよいとは限らない」 beziehungsweise das standardsprachliche Ōkereba yoi to wa kagiranai 「多ければよいとは限らない」 weitgehend bedeutungsgleich.