Unterwasserroboter liefert erstmals Bilder des Coriums in Reaktor 3 des F1-KKW

Ein wegen seiner Form „Kleiner Mondfisch“ [engl. „Little Sunfish“, jp. „Mini Manbō“ 「ミニマンボウ」] genannter Unterwasserroboter hat seit dem 19. Juli 2017 über drei Tage hinweg bei drei Einsätzen das Innere des Primärsicherheitsbehälters von Reaktor 3 des Fukushima-Daiichi-Kernkraftwerkes (F1-KKW) der Tokyo Electric Power Company Holdings, Inc. (TEPCO) inspiziert. Er hat digitale Bilder des mutmaßlichen Coriums unterhalb des Reaktordruckgefäßes sowie Temperaturdaten und Strahlenwerte übermittelt.

Bei seiner – aktuellen und zukünftigen – Mission geht es vor allem um die Lokalisierung, Kartierung und Quantifizierung des geschmolzenen Brennstoffes, damit effiziente, effektive, ökonomische und sichere Methoden der Stilllegung und des Rückbaus vor allem der havarierten Reaktoren 1 bis 3 des F1-KKW entwickelt werden können. Man geht dabei allgemein von einem Zeithorizont von drei bis vier Jahrzehnten aus. Die Kosten sind realistisch noch nicht bezifferbar, dürften nach bisherigen Erfahrungen jedoch exorbitant und sicherlich sozialisiert werden.

Da das Einstiegsloch in den Primärsicherheitsbehälter für „Kleiner Mondfisch“ nur einen Durchmesser von 14 cm besitzt, durfte die Breite beziehungsweise Dicke des Roboters nicht mehr als 13 cm betragen. Er ist 30 cm lang und mit 2 kg viel leichter als seine schlangen- – virtuell auch U-förmigen – und skorpionförmigen Vorgänger, die im Februar und März 2017 in den Reaktoren 1 und 2 des F1-KKW an einer identischen Mission gescheitert sind.

Ein Grund für den relativen Erfolg von „Kleiner Mondfisch“, der bis zu 200 Sievert tolerieren kann, dürfte seine verbesserte Strahlungsresistenz sein. Ein Mensch würde bei einer so hohen Strahlendosis sofort sterben. 100 Sievert haben schwere Verbrennungen zur Folge, lassen das zentrale Nervensystem versagen und führen innerhalb von Stunden bis wenigen Tagen zum Tod. Der Magen-Darm-Trakt wird bei einer Strahlendosis von 10 Sievert irreparabel geschädigt. 5 Sievert führen selbst bei sofortiger medizinscher Behandlung zum Exitus mindestens der Hälfte aller Bestrahlten. 3 Sievert zerstören Knochenmark und machen Transplantationen erforderlich, die manchmal helfen und manchmal auch nicht. Akute Verstrahlung, die nicht direkt zum Tod führt, ruft Übelkeit, Durchfall und Blutungen hervor, läßt die Haare ausfallen, schwächt das Immunsystem und erhöht allgemein die Infektionsgefahr.

Der Unterwasserroboter „Kleiner Mondfisch“ wurde von Toshiba und dem japanischen Forschungskonsortium IRID [engl. International Research Institute for Nuclear Decommissioning, jp. Kokusai Hairo Kenkyū Kaihatsu Kikō 国際廃炉研究開発機構] entwickelt. IRID wurde im August 2013 gegründet und ist in Japan rechtsförmlich eine „Genossenschaft für Technologieforschung“ [Gijutsu Kenkyū Kumiai]. Das ist ein Zusammenschluß aus 18 juristischen Personen, namentlich der Japanischen Agentur für Kernenergie JAEA [engl. Japan Atomic Energy Agency, jp. Nihon Genshiryoku Kenkyū Kaihatsu Kikō, kurz Genshiryoku Kikō] unter der Ägide des Forschungs- sowie des Wirtschaftsministeriums, des Staatlichen Forschungsinstituts für Industriewissenschaften und Technologie [engl. National Institute of Advanced Industrial Science and Technology (AIST), jp. Sangyō Gijutsu Sōgō Kenkyūjo, kurz Sansōken], zwölf Stromunternehmen mit Nuklearanlagen, d.h. allen alteingesessenen ohne Okinawa Electric Power Co., Inc. sowie den Anlagenbauern Toshiba Corp., Hitachi-GE Nuclear Energy, Ltd., Mitsubishi Heavy Industries, Ltd. sowie ATOX Co., Ltd. Für IRID arbeiten neben drei internationalen Beratern auch externe Fachleute aus den USA, England, Frankreich, Rußland und der Ukraine, die ihre Expertise aus den Nuklearunfällen von Three Mile Island (1979) und Tschernobyl (1986) einbringen.

„Kleiner Mondfisch“ wird von vier Hinterradpropellern und einem Vorderradpropeller angetrieben, verfügt vorn und hinten über Leuchtdioden und je eine Kamera, sammelt Strahlungsdaten mit Hilfe eines Dosimeters und wird von vier Toshiba-Operateuren über ein Kabel ferngesteuert. Die Bilder, die der Unterwasserroboter vor allem am dritten und letzten Einsatztag geliefert hat, zeigen eine nukleare Wüstenei: Sedimente und massive Ablagerungen in rund ein Meter dicken Schichten unterhalb des Reaktordruckgefäßes, lavaartige Zapfen und rotbraune Klumpen und Trümmerteile. TEPCO vermutet, dass sich geschmolzener Kernbrennstoff mit Steuerstäben, Steuerstabantrieben sowie mit dem Sockel des Druckgefäßes vermischt und mit Wasser, Luft und Dampf chemisch reagiert haben. Gitterroste, Bodenplatten, Betoneinspannungen, Einbettungen des Sicherheitsbehälters und Kabelschächte sind ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen.

Ablagerungen und im Kühlwasser treibende Sedimente stellen ein Hindernis für zukünftige Untersuchungen und die Beseitigung von Nuklearmüll dar. Diese sollen nach dem Robotereinsatz mit Schläuchen und vermittels Röntgenfluoreszenzanalyse identifiziert werden, um entscheiden zu können, wie sie behandelt und beseitigt werden können. Die Lage und die Menge des geschmolzenen Kernbrennstoffes konnten in den havarierten Reaktoren 1 bis 3 noch nicht exakt festgestellt werden, aber das Ausmaß der strukturellen Schäden erscheint in Reaktor 3 größer als in Reaktor 2.

Das von der Bergseite her in die ehemaligen Reaktorräume einströmende Grundwasser wird weiterhin täglich in einem Umfang von rund 300 Tonnen radioaktiv verstrahlt und ist die Quelle für weit über tausend Stahltanks mit einem Fassungsvermögen von rund 300 Tonnen je Einheit, die auf dem Gelände des F1-KKW bereits dicht an dicht stehen und seit Jahren mit Leckagen immer wieder für Schlagzeilen sorgen, weil viele Tanks aus Stahlplatten gefertigt sind, die mit Schrauben und Muttern zusammengehalten werden und leichter lecken können, vor allem wenn das Fundament unter den Stahltanks nachgibt.

Von den rund 6.000 auf dem Kernkraftwerksgelände tätigen Arbeitern ist die Hälfte allein mit dem Problem der Behandlung und der Entsorgung des täglich anfallenden kontaminierten Wassers befaßt. Da die Kapazität der Tanks nahezu erschöpft ist, denkt TEPCO laut über eine Entsorgung von tritiumhaltigem Wasser ins Meer nach. Die Halbwertszeit von Tritium beträgt mehr als zwölf Jahre. Die regionalen Fischereigenossenschaften protestieren gegen die Einlassung von radioaktiv kontaminiertem Wasser ins Meer. Der Verweis auf eine gängige Praxis von Nuklearanlagenbetreibern weltweit konnte die Fischer auch nicht überzeugen. Die japanische Atomaufsichtsbehörde wird sich zu diesem Thema zeitnah erklären müssen.

Mittel- bis langfristig wird auch Japan nicht darum herumkommen, eine Energiewende des Inhalts Wind, Wasser und Sonne statt Kohle, Öl und Kernenergie in Kombination mit Elektromobilität politisch und gesellschaftlich anzustreben und technisch und wirtschaftlich zu verwirklichen. Für langfristig angelegte globale Entwicklungsstrategien – anfänglich nachholend, mitterweile in nicht wenigen Bereichen technologisch führend –, wie sie die VR China betreibt und mit Macht weiter forciert, in relativ wenigen Jahren Wind-, Wasser- und Solarenergiesysteme installiert zu haben, deren Kapazität aktuell den Potenzen der USA, Indiens, Deutschlands und Spaniens zusammen entsprechen, den Kohlestromausstieg zu vollziehen und gleichzeitig [!] das größte nationale Atomstrom-Ausbauprogramm der Welt inklusive Nukleartechnologieexporten zu realisieren, besitzt zur Zeit anscheinend kein anderes Land der Erde den politischen Willen und die materiellen sowie immateriellen Ressourcen.