Grundsatzentscheidung in Taiwan für und Grundsatzdiskussion in Südkorea über den stufenweisen Ausstieg aus der Kernstromerzeugung

Die ostasiatischen Nachbarländer Japans verfolgen aktuell eine sehr unterschiedliche Energiepolitik. Während die VR China den Ausbau der installierten Kernstromerzeugungskapazität und von erneuerbaren Energien wie Windkraft und Photovoltaik weltweit so stark wie kein anderes Land forciert, haben die politischen Spitzen von zwei der „vier asiatischen kleinen Drachen“ [jp. Ajia Yonshōryū アジア四小龍, ch. Yàzhōu sì xiǎo lóng 亚洲四小龙 (Kurzzeichen), 亞洲四小龍 (Langzeichen) = Taiwan, Hong Kong, Südkorea und Singapur, auf Englisch besser bekannt als die “Four Asian Tigers”], namentlich Taiwan und Südkorea, einen stufenweisen Atomausstieg angekündet und zum Teil bereits konkrete legislative Schritte zu seiner Realisierung unternommen.

Die taiwanesische Präsidentin Tsai Ing-wen (geb. 1956), Amtsinhaberin seit Mai 2016, und das taiwanesische Parlament haben im Januar 2017 gesetzlich verfügt, dass die Kernkraftwerke des Landes zum Zwecke der Stromerzeugung bis zum Jahr 2025 abgeschaltet und stillgelegt werden sollen. Taiwan und Südkorea gelten als relativ arm an Bodenschätzen und müssen Energierohstoffe großenteils importieren. Der Anteil von Kernenergie an der Stromerzeugung liegt in Taiwan aktuell bei etwa 16 Prozent, in Südkorea bei rund 30 Prozent.

Zum Vergleich: Die japanische Regierung hat nach der Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011 (Erdbeben, Riesenflutwelle, Kernschmelzen) für das Jahr 2030 im Rahmen des nationalen Energiemixes einen Kernstromanteil zwischen 20 und 22 Prozent als Zielvorgabe formuliert. In Deutschland fiel der Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung von 30,6 Prozent im Jahr 2000 auf 13,1 Prozent im Jahr 2016. Schon im Jahr 2011 lag der Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung „nur“ noch bei 17,8 Prozent. Das Atom-Moratorium der Regierung Merkel vom 14. März 2011 läutete dann den Einstieg in den definitiven Atomausstieg ein, der in Japan von Regierungsseite – noch – nicht gewünscht ist.

In Europa war zunächst Italien nach der Volksabstimmung vom 8. November 1987 mit seinen vier Kernkraftwerken vollständig aus der Kernstromerzeugung ausgestiegen. Nicht zuletzt unter dem Einfluß der Nuklearkatastrophen von Tschnernobyl (1986) und Fukushima (2011) haben neben Deutschland schließlich auch Belgien, die Schweiz und mittlerweile auch Österreich einen Atomausstieg aus der mittlerweile nur noch als „Brücken- und Übergangstechnologie“ apostrophierten Kernstromerzeugung angekündigt und zum Teil bereits in die Wege geleitet.

Selbst die Atomnation par excellence Frankreich hat im Jahr 2015 – als verspätete Einlösung eines zentralen Wahlkampfversprechens von Präsident François Hollande – definitiv zugesagt, dass der Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung von rund 75 Prozent bis zum Jahr 2025 auf 50 Prozent reduziert, erneuerbare Energien verstärkt gefördert und Treibhausgasemissionen reduziert werden sollen.

Südkorea peilt unter seinem neuen Präsidenten Moon Jae-in (geb. 1953), Amtsinhaber seit Mai 2017, bis zum Jahr 2030 eine Reduzierung seiner Treibhausgasemissionen des Basisjahres 2005 um 37 Prozent an. Taiwan ist mit minus 20 Prozent nicht ganz so ambitioniert. Beide Länder wollen den Anteil erneuerbarer Energien signifikant ausbauen und werden dafür zeitweilig eine Erhöhung von Flüssigerdgasimporten hinnehmen, um den Atom- sowie den Kohleausstieg vollziehen und gleichzeitig Energieversorgungssicherheit gewährleisten zu können. Die Regierung von Präsident Moon arbeitet gerade an einem neuen Langzeitplan zum Stromangebot und zur Stromnachfrage in Südkorea, der möglichst noch vor Ablauf des Jahres veröffentlicht werden soll.

Wegen Verzögerungen bei der Fertigstellung von erdgasbefeuerten Kraftwerken und der Außerbetriebnahme von Kernreaktoren hat sich in Taiwan der Spielraum bei der angebotenen Regelleistung zwischen den Jahren 2010 und 2016 von 25 auf 10 Prozent vermindert. Mit über die letzten Jahre sukzessive reduzierter Stromreserve fielen die Grenzkapazitäten im August 2017, dem Monat mit der Jahreshöchstlast in Ostasien, auf unter 5 Prozent. Als die verbliebenen Spitzenlastkraftwerke die Stromnachfrage nicht befriedigen konnten, waren Stromausfälle die Folge.

Südkorea und Taiwan sind wie Japan nicht an überseeische Stromnetze angeschlossen und können Strom nicht – wie zwischen vielen Ländern in der Europäischen Union üblich – importieren oder exportieren. In Japan kommt noch erschwerend hinzu, dass West- und Ost-Japan Strombedarfsschwankungen überregional beziehungsweise landesweit nicht ausgleichen können; das japanische Stromnetz weist mit einer auch im weltweiten Vergleich sehr niedrigen Netzspannung (100 Volt) seit der Industrialisierung in der Meiji-Zeit (1868–1912) Frequenzunterschiede in Ostjapan (50 Hertz) und Westjapan (60 Hertz) auf, weil in Ostjapan deutsche Stromgeneratoren und in Westjapan amerikanische Stromgeneratoren importiert wurden. In den Präfekturen Nagano und Niigata verläuft bis auf weiteres die Netzfrequenzgrenze des japanischen Stromversorgungsnetzes.

Mischoxidbrennstoff aus Frankreich in Japan eingetroffen

Zwei Spezialschiffe, die am 5. Juli 2017 den Hafen des nordfranzösischen Cherbourg verlassen hatten, sind nach einer rund zweieinhalbmonatigen Schiffsreise auf den Weltmeeren am 21. September 2017 gegen 7 Uhr morgens im Hafen der Kleinstadt Takahama (Takahama-chō) in der Präfektur Fukui mit einer Fracht Uran-Plutonium-Mischoxidbrennstoff (MOX) [jp. purutoniumu-uran kongō sankabutsu nenryō (mokkusu nenryō) プルトニウム・ウラン混合酸化物(MOX燃料)] angekommen. Er ist für den Druckwasserreaktor 4 (870 MWe = Megawatt elektrisch) des Takahama-Kernkraftwerkes von Kansai Electric Power Co., Inc. [KEPCO, jp. Kansai Denryoku KK 関西電力株式会社, kurz Kanden 関電] bestimmt.

KEPCO hatte im Jahr 2008 einen Liefervertrag mit dem japanischen Kernbrennstoffhersteller Nuclear Fuel Industries, Ltd. [NFI, jp. Genshi Nenryō Kōgyō KK 原子燃料工業株式会社, kurz Gennenkō 原燃工] mit Sitz in Tokyo abgeschlossen, der das französische Kerntechnikunternehmen Areva NP [Areva Nuclear Power, bis März 2006 Framatome] mit der Herstellung von 16 Mischoxid-Brennelementen zwischen August 2016 und März 2017 beauftragt hat.

Der Transport der MOX-Brennelemente per Schiff war der zweite seit der Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011 (Erdbeben, Riesenflutwelle, Kernschmelzen) und der sechste seit 1999. Im Juni 2013 war schon einmal Mischoxidbrennstoff für den Druckwasserreaktor 3 (870 MWe) des gleichen Kernkraftwerkes verschifft worden. Die zwei jeweils 108 Tonnen schweren und 6,2 Meter langen Container wurden mit einem Kran an Land gebracht und mit einem Spezialanhänger zu einem Zwischenlager transportiert.

Sie werden in einem Brennelementlagerbecken gelagert und von der japanischen Atomaufsichtsbehörde NRA [engl. Nuclear Regulation Authority, jp. Genshiryoku Kisei Iinkai 原子力規制委員会] untersucht; in der Vergangenheit war es zu Unregelmäßigkeiten im Rahmen des Qualitätsmanagements für Brennstoffpellets durch französische und britische Lieferanten gekommen. Außer den Kernreaktoren Takahama 3 und 4 benutzen auch die Kernreaktoren Ikata 3 auf Shikoku und Genkai 3 auf Kyushu gleichartige MOX-Brennelemente. Der letztgenannte Kernreaktor soll die Stromproduktion plangemäß im Januar 2018 wieder aufnehmen.

Die japanische Regierung plant, mittelfristig die Herstellung von MOX-Brennelementen im eigenen Land durchführen zu lassen. Die Argumente für und gegen MOX-Brennelemente hinsichtlich der (Non-) Proliferation von waffenfähigen Stoffen erinnern bisweilen an politische Glaubensfragen und Wunschdenken. Die Sicherheitsanforderungen für Wiederaufarbeitung und die Herstellung von Brennelementen aus Urandioxid und Plutoniumdioxid sind sehr hoch. Es gibt mit MOX-Brennelementen eine Reihe von Problemen, so zum Beispiel die schwer vermeidbare Emission von gasförmigen Spaltprodukten wie Xenon und Krypton sowie Alphateilchen (Heliumkerne), die über die Atmung ins Blut gelangen können und negative Folgen für die Gesundheit unter anderem des Bedienungspersonals haben. Wird Plutoniumstaub eingeatmet, lagert er sich in menschlichen Organen und Knochen ab und führt bei geringsten Dosen zu Lungenkrebs, Knochenkrebs und Leukämie. Auch reduzieren MOX-Brennelemente aus physikalischen Gründen – erhöhter Innendruck durch höhere Spaltgasfreisetzung – die Wirksamkeit der Steuerstäbe und werden deshalb auch von Teilen der Atomindustrie als nicht unproblematisch angesehen.

10 Gramm versus 47 Tonnen Plutonium

Die USA und Japan schlossen 13 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1958 erstmals ein Kooperationsabkommen auf dem Gebiet der Kernenergie, worin sich der Abnehmer verpflichtete, die gekauften Stoffe – ein großer Fortschritt für Japan, denn davor wurden Radionuklide auf der Grundlage eines sogenannten „Standardabkommens“ nur „gepachtet“ – ausschließlich für zivile Forschungszwecke zu benutzen. Außerdem durften die Stoffmengen des Nuklearabkommens je Transfer „100 g Uran 235, 10 g Plutonium und 10 g Uran 233“ (§ 5) nicht übersteigen. Der Kontrast könnte fast 60 Jahre später kaum größer sein. Wie sehr sich Japan als Musterschüler und eines der 70 Gründungsmitglieder der Internationalen Atomenergieorganisation (International Atomic Energy Agency, IAEA) vom amerikanischen Kontrollregime emanzipiert hat – dass der IAEA-Generaldirektor seit 2009 ein japanischer Diplomat und Abrüstungsexperte namens Yukiya Amano ist, ist Zufall –, wird unter anderem dadurch ersichtlich, dass Japan heute Eigentümer von rund 47 Tonnen Plutonium ist. Davon bevorratet Nippon rund 10 Tonnen auf seinem eigenen Hoheitsgebiet und rund 37 Tonnen in Frankreich und im Vereinigten Königreich.

Seit dem 5. Juli 2017 sind bis voraussichtlich September zwei Spezialschiffe unterwegs auf dem Weg aus dem nordfranzösischen Hafen Cherbourg in die japanische Präfektur Fukui, wo der Druckwasserreaktor Takahama 4 mit Uran-Plutonium-Mischoxidbrennstoff (MOX) beladen werden soll. Nukleare Optimisten sagen, dass überschüssiges waffenfähiges Plutonium, das sonst Nuklearmüll wäre und gestohlen werden könnte, auf diese Weise zur Stromerzeugung genutzt werden könne. Nukleare Pessimisten halten dagegen und befürchten, dass genau das Gegenteil eintreten würde, nämlich dass sich das Risiko nuklearer Proliferation gerade durch die globale kommerzielle Nutzung von Mischoxidbrennstoff und die Ausweitung der Wiederaufarbeitung eher erhöhen könne. Außerdem reagiere eine Mischung aus 7% Plutonium und 93% Uran zwar ähnlich, aber nicht identisch wie niedrigangereicherter Uranbrennstoff. Das Plutonium-Uran-Gemisch sei energiereicher als normaler Kernbrennstoff, setze bei einem Unfall aber auch mehr radioaktive Stoffe frei und verlange wegen der großen Hitzeentfaltung mehr Kühlwasser.

Die beiden MOX-Transporter auf den bewaffneten Spezialschiffen Pacific Heron und Pacific Egret von Pacific Nuclear Transport Ltd. (PNTL), ein Tochterunternehmen des britischen Unternehmens International Nuclear Services (INS), enthalten unter anderem etwa 736 Kilogramm Plutonium aus der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague. Nukleare Pessimisten gehen davon aus, dass 5 Kilogramm Plutonium für eine Atombombe hinreichend wäre, rein rechnerisch wären das 147,2 Atombomben. Von den aktuell in Betrieb befindlichen fünf Kernreaktoren können drei Mischoxidbrennstoff nutzen. Sollte die Wiederaufarbeitungsanlage in Rokkashomura im Norden der Hauptinsel Honshū nach langjährigen Verzögerungen im Jahr 2018 in Betrieb gehen, wären davon potentiell bis zu 18 japanische Kernreaktoren betroffen.

Der aktuelle Transport von Mischoxidbrennelementen von Europa nach Japan ist der sechste seit 1999 und der zweite seit der Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011 (Erdbeben, Riesenflutwelle, Kernschmelzen). Nukleare Optimisten sagen: „Die beiden Spezialschiffe sind bewaffnet und ihre Rumpfkonfiguration besitzt eine Doppelhülle.“ Nukleare Pessimisten in Japan sagen: „Was bereits zweimal passiert ist, wird auch ein drittes Mal passieren.“ [Nido aru koto wa sando aru  「二度あることは三度ある」 ].

Mit Druckwasserreaktor Takahama 3 wieder fünf Kernreaktoren im kommerziellen Betrieb in Japan

Am 4. Juli 2017 nahm der Kernreaktor Takahama 3 (870 MWe = Megawatt elektrisch, erste Inbetriebnahme Januar 1985) von Kansai Electric Power Co., Inc. (Kansai Denryoku) den kommerziellen Betrieb wieder auf. Dieser Druckwasserreaktor (DWR) war am 6. Mai wieder angelaufen, wurde am darauffolgenden Tag kritisch und nahm die Stromerzeugung am 9. Juni wieder auf. Der Kernreaktor Takahama 4 (870 MWe, Inbetriebnahme Juni 1985), der wie die Reaktoreinheit 3 seit März 2016 durch eine gerichtliche einstweilige Verfügung im Offline-Modus gehalten worden war, wurde am 17. Mai neu angefahren, begann mit der Stromnetzeinspeisung am 22. Mai und nahm am 16. Juni den kommerziellen Stromerzeugungsbetrieb vollumfänglich wieder auf. Zusammen mit den DWR Sendai 1 und 2 (jeweils 890 MWe) von Kyushu Electric Power Co., Inc. (Kyūshū Denryoku) und Ikata 3 (890 MWe) von Shikoku Electric Power Co., Inc. (Shikoku Denryoku) sind das insgesamt fünf Druckwasserreaktoren, die den Stromerzeugungsbetrieb nach der Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011 (Erdbeben, Riesenflutwelle, Kernschmelzen) wieder aufgenommen haben. Die von niederen Gerichten erlassenen einstweiligen Verfügungen gegen die Wiederinbetriebnahme von Kernreaktoren wurden von der höheren Gerichtsbarkeit in Japan wieder einkassiert.

Japanische Atomaufsichtsbehörde genehmigt Stilllegungsplan für Ikata 1

Die japanische Atomaufsichtsbehörde NRA (Nuclear Regulation Authority, jp. Genshiryoku Kisei Iinkai) hat am 28. Juni 2017 den Plan des Energieversorgers Shikoku Electric Power Co., Inc. (Shikoku Denryoku) zur Stilllegung seines ältesten von drei Druckwasserreaktoren namens Ikata 1 (DWR, 566 MWe = Megawatt elektrisch) in Ikata-cho (rd. 9.000 Einwohner) in der Präfektur Ehime auf der Halbinsel Sadamisaki im Südwesten der Insel Shikoku genehmigt.

Nach den Reaktoren Mihama 1 (DWR, 340 MWe) und 2 (DWR, 500 MWe, Präfektur Fukui) von Kansai Electric Power Co., Inc. (Kansai Denryoku), Tsuruga 1 (SWR, 357 MWe, Präfektur Fukui) von The Japan Atomic Power Company (JAPC, jp. Nihon Genshiryoku Hatsuden), Shimane 1 (SWR = Siedewasserreaktor, 460 MWe, Präfektur Shimane) von Chugoku Electric Power Co., Inc. (Chūgoku Denryoku) und Genkai 1 (DWR, 559 MWe, Präfektur Saga) von Kyushu Electric Power Co., Inc. (Kyūshū Denryoku) ist Ikata 1 der sechste Stilllegungsplan, den die NRA seit dem Inkrafttreten strengerer Atomsicherheitsbestimmungen im Jahr 2012 als Folge der Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011 (Erdbeben, Riesenflutwelle, Kernschmelzen) genehmigt hat.

Der Vorstand von Shikoku Denryoku hatte bereits im März 2016 entschieden, dass sich eine Investition von rund 170 Milliarden Yen zur Erfüllung der seit dem Nuklearunfall im Fukushima Daiichi-Kernkraftwerk von Tokyo Electric Power Company Holdings, Inc. (Tōkyō Denryoku) komplexeren Sicherheitsauflagen nicht rechnen würde und eine Laufzeitverlängerung über die 40-Jahre-Regel hinaus deshalb nicht in Betracht käme. Ikata 1 war im Jahr 1977 nach einer Bauzeit von vier Jahren und drei Monaten in Betrieb gegangen und hat nach Angaben des Betreibers bis zu Inspektionen und Streßtests seit September 2011 insgesamt 126,8 Terawattstunden Strom produziert. Die benutzten Kernbrennelemente von Ikata 1 müssen viele Jahre rund um die Uhr in einem Abklingbecken des jüngsten Kernreaktors Ikata 3 (DWR, 890 MWe, Inbetriebnahme 1994) von Shikoku Denryoku gekühlt werden.

Bei der Stilllegung fallen mehr als 3.000 Tonnen niedrigradioaktiver Atommüll an. Rund 40.000 Tonnen sollen als nichtradioaktiver Industriemüll klassifiziert und behandelt werden. Eine offizielle Endlagerstätte für hochradioaktiven Atommüll gibt es in Japan mehr als 63 Jahre nach der Verabschiedung des ersten Nuklearbudgets vom 3./4. März 1954 als Nachtragshaushalt und Kompromiß von drei konservativen Regierungsparteien des 5. und letzten Kabinetts von Premierminister Shigeru Yoshida noch nicht.

Das hat – nach dem Fukushima Daiichi-Nuklearunfall – dazu geführt, dass der frühere Vorsitzende der stärksten Regierungspartei (Liberaldemokratische Partei, jp. Jiyū Minshutō) und konservative Ex-Premierminister Jun’ichirō Koizumi (Amtszeit 2001–2006) nach einer Informationsreise in Deutschland und Finnland im August 2013 gegenüber japanischen Journalisten nach seiner Rückkehr aus voller Überzeugung den folgenden Satz fallen ließ: „Kernkraftwerke sind wie Häuser ohne Toilette.“ [Genpatsu wa toire naki manshon]. Von diesem Standpunkt ist der aktuelle liberaldemokratische Premierminister Shinzō Abe (Amtszeit 26.09.2006–26.09.2007, 26.12.2012–) mindestens soweit entfernt wie Koizumi zu seiner Zeit als amtierender Premierminister.

Erfinder der Trockenbatterie: Sakizō Yai

Außerhalb Japans ist wenig bekannt, daß der Erfinder der weltweit ersten Trockenbatterie [engl. dry battery, jp. kandenchi 乾電池] nicht der Deutsche Carl Gassner (1855–1942) und auch nicht der Däne Wilhelm Hellesen (1836–1892), sondern der japanische Autodidakt und Erfinder Sakizō Yai 屋井先蔵 (1864–1927) war, weil er wegen Geldarmut die Gebühren für die Patentanmeldung nicht bezahlen konnte und ihm das Know-how fehlte, wie man sie eventuell hätte vermeiden können.

Yai wurde gegen Ende der Edo-Zeit (1603–1868), der japanischen Frühmoderne, in Nagaoka in der Präfektur Niigata (damals Provinz Echigo) am Japanischen Meer (Nihonkai) als Sohn eines niederrangigen Samurai mit einem jährlichen Reiseinkommen von 300 Koku (1 Koku = ca. 180 Liter) geboren. Sein wichtigstes väterliches Erbe für seine späteren Erfindungen war möglicherweise wissenschaftliche Neugierde und eiserne Disziplin. Er war sechs Jahre alt, als sein Vater verstarb und wurde von seinem Onkel adoptiert. Mit 13 Jahren begann er eine Lehre in einer Uhrenwerkstatt, konnte seine Lehrzeit zunächst wegen Krankheit jedoch nicht vollenden und mußte deshalb in seinen Heimatort zurückkehren.

Nach später vollendeter Lehrvertragszeit legte er zweimal erfolglos die Aufnahmeprüfung ab für die 1881 gegründete Gewerbliche Schule Tokyo [Tōkyō Shokkō Gakkō 東京職工学校, später Tōkyō Kōtō Kōgyō Gakkō 東京高等工業学校, Nachfolgeorganisation war das Tokyo Institute of Technology (Tōkyō Kōgyō Daigaku 東京工業大学)]. Aus formalen Gründen wie Alterbegrenzungsvorschriften mußte er die Verfolgung seines Wunsches, an einer Höheren Technischen Schule zu studieren, aufgeben. In den folgenden drei Jahren forschte er ohne Stipendium und ohne Mäzen auf eigene Rechnung und eigenes Risiko an ständig in Bewegung bleibenden Geräten [jp. eikyū jidōki 永久自動機] und interessierte sich vornehmlich für Phänomene mit ruhender oder bewegter elektrischer Ladung.

Im Alter von 23 Jahren erfand Yai eine konstante elektrische Uhr [engl. continuous electric clock, jp. renzoku denki dokei 連続電気時計]. Seine Patentanmeldung Nr. 1205 war 1891 die erste in Japan zum Bereich der Elektrizität. In der Uhr war ein Daniell-Element aus einer Zink- und einer Kupfer-Halbzelle verbaut. Im Winter fror die Flüssigkeit der Naßzelle bei Minustemperaturen ein und machte die Uhr störungsanfällig. Yai machte sich daran, dieses Problem zu lösen und setzte sich das Ziel, eine Trockenbatterie zu entwickeln. Yai ging am Tage als Arbeiter dem Gelderwerb nach, arbeitete nachts als Erfinder und gönnte sich über Jahre hinweg nur drei, vier Stunden Schlaf pro Tag.

Er hatte das Glück, Assistent in einem Labor der privaten Tokyoter Akademie für Physik [The Tokyo Academy of Physics, später Science University of Tokyo, jp. Tōkyō Butsuri Gakkō 東京物理学校] zu werden, die 1881 von ein bis zwei Dutzend Physik-Absolventen der staatlichen Kaiserlichen Universität zu Tokyo [Tōkyō Teikoku Daigaku 東京帝国大学, heute The University of Tokyo, Tōkyō Daigaku 東京大学] gegründet worden war. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Science University of Tokyo im Jahr 1949 in Kagurazaka im Tokyoter Stadtbezirk Shinjuku in Tokyo University of Science [Tōkyō Rika Daigaku 東京理科大学] umbenannt und reorganisiert und existiert bis heute unter dieser Bezeichnung.

Yai war ein Pionier für die Kooperation zwischen Industrie und Forschung [sangaku kyōdō 産学協同] und tauschte sich oft mit Wissenschaftlern seines Labors aus, um Probleme bei der Entwicklung der Trockenbatterie zu diskutieren. So liefen häufig Chemikalien aus dem Pluspol, und unedle Metalle korrodierten und wurden unbrauchbar. Yai versuchte einen Graphitstab mit Paraffin zu imprägnieren und experimentierte so lange, bis er erfolgreich war. Es war jedoch nicht Yai, sondern Ichizaburō Takahashi 高橋市三郎, der die Trockenbatterie in Japan als Patent anmeldete (Patent Nr. 2086).

Außer Yai haben der oben erwähnte deutsche Arzt und Erfinder Gassner und der dänische Erfinder und Industrielle Hellesen unabhängig voneinander ebenfalls eine Trockenbatterie entwickelt und jeweils in ihrem Land als Patent angemeldet. Beide benutzten 1885/86 nasse Leclanché-Zellen für die Entwicklung ihrer jeweiligen Trockenbatterie. Gassner experimentierte bei einem Uhrmacher und benutzte in Türklingeln Gips als poröses Bindemittel für die Leclanché-Zellen, die oft austrockneten, und fügte wasseranziehende Chemikalien hinzu. Ein weiteres Anwendungsgebiet für die Trockenbatterie wurde die Telegrafie. Gassner meldete seine Trockenbatterie 1886 als Patent Nr. 37758 in Deutschland an, später auch in Österreich-Ungarn, Belgien, Frankreich und England. Er erwarb 1887 in den USA ein Patent für seine Erfindung unter der Nr. 373064 und errichtete in Frankfurt am Main eine Batteriefabrik. Er wurde innerhalb kurzer Zeit wohlhabend, weil seine Trockenbatterien zum Beispiel reichsweit in Türklingeln zur Anwendung kamen.

Yai hatte anfangs für seine Trockenbatterie noch keine Anwendung, in denen er sie gewinnbringend hätte veräußern können. Im Jahr 1891 heiratete er. Die Yai-Trockenbatterie wurde schließlich für die Weltausstellung in Chicago (01.05.–30.10.1893) in einem Seismographen der Kaiserlichen Universität zu Tokyo verbaut. Nach dem Ende der Weltausstellung bemühte sich das United States National Museum (später: Smithsonian Institution) erfolgreich um das japanische Exponat.

Im ersten Chinesisch-Japanischen Krieg (1894–1895) wurde Yais Trockenbatterie in der Mandschurei vom japanischen Militär eingesetzt und in einem japanischen Extrablatt in den höchsten Tönen gelobt [Manshū de no shōri wa hitoe ni kandenchi ni yoru mono 「満州での勝利はひとえに乾電池によるもの」]. Die Journalisten behandelten das Thema am nächsten Tag erneut und stellten den Namen des japanischen Erfinders in den Mittelpunkt ihrer Kriegsberichterstattung. So wurde Yai landesweit bekannt.

Er gründete 1910 die Yai-Trockenbatterie-Kommanditgesellschaft [Gōshi Gaisha Yai Kandenchi 合資会社屋井乾電池] und wählte als Standort für den Vertrieb Nishiki im Tokyoter Stadtbezirk Kanda. Die Produktion wurde im Tokyoter Stadtbezirk Asakusa (später Taitō) in Kamiyoshi-chō aufgebaut. Yais Batteriefabrik entwickelte sich mit einem Output von 200.000 Stück pro Jahr bis 1921 zur größten des Landes, weshalb er auch als „Trockenbatterie-König“ [kandenchi-ō 乾電池王] apostrophiert wurde.

Am 1. September 1923 machte um 11:58 Uhr das Große Kantō-Erdbeben [Kantō Daishinsai 関東大震災] seine Batteriefabrik mit einer Oberflächenwellen-Magnitude von 7,9 dem Erdboden gleich. Die Fabrik wurde in Kawasaki zwischen Tōkyō und Yokohama wieder aufgebaut. Yais Trockenbatterien verkauften sich nicht nur innerhalb Japans gut, sondern wurden auch exportiert. Eine unglückliche Koinzidenz aus Magenkrebs und akuter Lungenentzündung überlebte der chronisch überarbeitete 63-jährige Yai nicht. Ohne eigenen Nachfolger wurde sein Erbe nach einigen Jahren von der Konkurrenz übernommen. Im Jahr 1950 verschwand schließlich auch sein Name aus dem Verzeichnis japanischer Unternehmen.

Quelle: Denchi Kōgyōkai 電池工業会 [Battery Association of Japan].